Maja Haderlap: „Beim Schreiben ist man von Geistern umgeben“

(c) Christine Pichler
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Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap über die Geister der Vergangenheit und ihr Buch „Engel des Vergessens“, demnächst im Akademietheater.

Großmutter gibt mir ein Zeichen mit der Hand, ich solle ihr folgen. Wir gehen durch die schwarze Küche.“ So beginnt Maja Haderlaps Roman „Engel des Vergessens“, für den sie 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Am 8. September wird die szenische Fassung des Buches mit Elisabeth Orth als Großmutter, Alina Fritsch als jungem Ich der Autorin und Gregor Bloéb als Vater im Akademietheater uraufgeführt. Haderlap begeisterte sich früh für die Bühnenkunst, weil siedie Leichtigkeit brachte, die dem Leben oft fehlt. Der Ruhm nach dem Bachmann-Preis erfüllt Haderlap mit Euphorie, aber auch mit Angst. Von Volksgruppen wie den Kärntner Slowenen könne man viel lernen, findet sie, etwa wie man sich behauptet, „wenn man klein und nicht durchsetzungsfähig ist“. Den ehemaligen Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider hat Haderlap, 15 Jahre Dramaturgin am Klagenfurter Stadttheater, hautnah erlebt: „Politisch ließ man ihn gewähren und hat allerorten mit ihm kokettiert“, sagt sie.

Literatur bleibt oft im elfenbeinernen Turm. Freuen Sie sich über die Uraufführung von „Engel des Vergessens“?
Ja! Ich war immer im Burg- und im Akademietheater, seit ich ins Theater gehe, aber ich habe mich immer als Zuschauerin, zumindest jedoch als Dramaturgin gesehen, selbst jetzt ist das noch so. Ich war sehr erstaunt und glücklich über die Einladung. Jetzt hat sich mein Gefühl zwischen Freude und Anspannung eingependelt. Aber grundsätzlich fühle ich mich beschenkt, egal ob die Aufführung ein Flop oder ein Erfolg wird.


Wie hat Ihre Beziehung zum Theater begonnen? Sie waren 15 Jahre Dramaturgin am Klagenfurter Stadttheater.
Wenn man wie ich auf dem Land aufwächst, beginnt die Beziehung zum Theater mit den Muttertagsfeiern in der Pfarre und mit den Weihnachtsmärchen in der Schule. Oft war ich die Jüngste und hatte ältere Frauen mit weißen Haaren zu mimen. Als Mädchen war ich auf der Bühne eine Greisin, wie bizarr! Während meiner Gymnasialzeit sind wir dann ab und zu nach Ljubljana ins Theater gefahren, später hatte ich ein Jugend-Abo im Stadttheater Klagenfurt. Ich habe aber auch selbst gespielt, Molière und Goldoni im örtlichen Slowenischen Kulturverein. Theater als Phänomen hat mir immer gefallen, es hat eine Leichtigkeit ins Leben gebracht, es war eben Spiel, etwas anderes als die komplizierte Wirklichkeit. Ab meinem ­
16. Lebensjahr habe ich mir gewünscht, am Theater zu arbeiten.


„Engel des Vergessens“ handelt von der Geschichte der Kärntner Slowenen, ihrer Vertreibung und Verfolgung, vor allem im
Zweiten Weltkrieg. Das Buch ist aber auch Ihre eigene Familiengeschichte. Was ist Fakt, was Fiktion?
Das Buch basiert auf meiner Familiengeschichte. Historische Fakten habe ich recherchiert. Meine Großmutter war im KZ, sie hat durch eine glückliche Fügung überlebt. Der Großvater war bei den Partisanen. Auch die Geschichten vieler Nachbarn und Verwandten habe ich beschrieben, ihre Namen jedoch ein wenig verfremdet. Ich nenne sie mit den Vulgonamen oder mit den Kosenamen.


Wie kann sich ein Roman auf der Bühne entfalten?
Das gleicht einem Spagat und ist immer auch eine Frage der Kompromisse, die sich als Glücksfälle entpuppen können. Ich habe die Bühnenfassung mit dem Regisseur Georg Schmiedleitner eingerichtet, wir haben uns auf die Bühnentauglichkeit der Textpassagen aus dem Roman konzentriert, auf ihre situative Qualität. Natürlich ist es schwierig, auf dem Theater einen Erinnerungs- und Reflexionsprozess darzustellen, gleichzeitig aber erfährt die Sprache über das Darstellen und die Sinnlichkeit, die Präsenz der Schauspielerinnen und Schauspieler eine neue Qualität.


Ihr Buch ist eine Mutter-Vater-Großmutter-Geschichte, wie sie viele erleben. Es rührt ans Herz.
Während meiner Arbeit am Roman habe ich gedacht, dass ich eine ziemlich abseitige Geschichte erzähle, deshalb hat es mich nachher auch so gewundert, wie viele Menschen, und da vor allem Frauen, sich im Text wiedergefunden haben. Natürlich ist die Geschichte prekär, auch in politischer Hinsicht, aber ich habe den Roman nicht als Erinnerungsroman geschrieben, sondern als literarischen Text. Das hat mir beim Schreiben geholfen, die Erfahrung, dass ein Text von sich aus lebt, dass die Realität nur der Brennstoff ist.


Fällt es Ihnen leicht zu schreiben?
Während meiner Zeit als Dramaturgin kam ich nur ganz selten dazu. Man braucht viel Ruhe, und im Theater ist es lärmig, man ist auf die Gruppenarbeit konzentriert. Spät in der Nacht konnte ich nie schreiben, ich bin nicht wirklich eine Nachtarbeiterin. Bei mir hört die Energie um zehn Uhr abends auf. Am frühen Morgen habe ich auch keine Lust. Am kreativsten bin ich am späten Vormittag und am frühen Abend. Das Buch zu schreiben war teilweise sehr anstrengend. Manchmal habe ich ein paar Sätze geschrieben, dann musste ich mich hinlegen.


Sind Geister der Vergangenheit auch unheimlich?
Ich habe mich lange und beharrlich gegen die Geister der Vergangenheit gewehrt. Ich wollte sie überwinden. Aber in Kärnten beziehungsweise in Österreich war das in den vergangenen Jahrzehnten nicht einfach und nicht möglich. Beim Schreiben ist man immer von Geistern umgeben. Manchmal gleicht das Schreiben einem Tanz mit Phantomen.


Ihr Buch wirkt teilweise sehr lyrisch.
Ich habe versucht, lyrische Elemente in die Prosa zu integrieren. Man kann über poetische Bilder viel erzählen. Die Lyrik ist offen für Stimmungen und für das Unbewusste. Sie erweitert den Radius des Nachdenkens.

(c) Burgtheater (Georg Soulek)


Wie haben Sie die plötzliche Bekanntheit, den Ruhm durch den Bachmann-Preis erlebt?
Staunend, euphorisch, aber auch angsterfüllt. Die größten Hürden müssen erst nach und nach genommen werden, sobald man eine öffentliche Person wird. Damit habe ich noch Schwierigkeiten, denn es verändert den Umgang mit Menschen grundlegend. Man will das nicht wahrhaben, man verdrängt es, aber irgendwann kriegt man es plötzlich mit.


Die Ich-Erzählerin im Buch fühlt sich fremd in Slowenien. Auf mich wirken die Slowenen heute, nachdem sie Jugoslawien abgestreift haben, wie 150-prozentige EU-Bürger. Fleißig, freundlich, beflissen. Wie sehen Sie sie?
Die Slowenen habe ich immer so erlebt, als beflissene Europäer. Sie haben, wann immer sich die Gelegenheit bot, betont, wie sehr sie Teil von Europa sind. Dieses Beharren hat mich gewundert, da es für mich das Selbstverständlichste gewesen ist. In Slowenien habe ich mich fremd gefühlt, weil mir dort erst bewusst geworden ist, dass ich eine gänzlich andere Erfahrung des Slowenischen habe, eine Minderheitenerfahrung, im österreichischen Kontext. Die slowenische Sprache war in Kärnten nicht nur in den Siebzigerjahren ein Politikum, sie ist es bis heute geblieben. Sobald man Slowenisch gesprochen hat, hat man sich deklariert. Heute ist das anders.


Inwiefern anders?
Das Slowenische ist selbstverständlicher geworden, alltäglicher. Die politischen Zuspitzungen und Ausnahmezustände gibt es nicht mehr in dieser Form. Da haben die Kärntner etwas dazugelernt, obwohl die Atmosphäre bis herauf ins 21. Jahrhundert vergiftet war. Aber jetzt wachsen die Kinder in Südkärnten zweisprachig auf, auch viele Ortstafeln sind zweisprachig. Trotzdem muss man daran arbeiten, die Sprache im Alltag und in der Öffentlichkeit lebendig zu halten.


Minderheiten verschwinden. Auch in der EU dominieren mehr und mehr amerikanisches Denken und die englische Sprache.
Man kann von Volksgruppen viel lernen. Zum Beispiel, wie man sich unter ungleichen Verhältnissen behauptet, wenn man klein und nicht durchsetzungsfähig ist. Aber auch, welche Folgen Dominanz nach sich zieht. Das Englische und das Amerikanische werden immer mehr zur Lingua Franca, das stimmt, aber das muss nicht nur positiv sein. Unsere Sprachen sind unser Gedächtnis. Es sind die Sprachen und die dazugehörige Literatur, die um die Tiefen der europäischen Geschichte wissen. Sobald man beginnt, die europäischen Sprachen im Hinblick auf deren Wirkungsgrad und deren Effizienz zu bewerten, unterliegt man zerstörerischen Tendenzen. Es ist eine Abwärtsschleife, ein kultureller Abwertungsprozess.


Heute wird vor allem Integration erwartet, verlangt.
Ich bin vom Rand in die Gesellschaft gewachsen. Ich habe viele Integrationen erlebt und mich oft fremd gefühlt. Es gibt einen langen Prozess von Annäherung und Fremdheit, wobei ich die Fremdheit immer mehr schätze. Da gibt es ein grundsätzliches gesellschaftliches und soziales Übereinkommen, das ist wichtig und dient der Orientierung. Aber sonst regiert die Ungleichheit.


Sie haben die Haider-Zeit in Kärnten erlebt – und ihn selbst. Wie hat er auf Sie gewirkt? Der verstorbene Intendant des Klagenfurter Stadttheaters, Dietmar Pflegerl, hatte immer wieder heftige Kämpfe mit Jörg Haider.
Dietmar Pflegerl hatte es sicher nicht leicht mit den Machtspielen von Jörg Haider. Haider hat Pflegerl gedemütigt. Dabei hatte Dietmar Pflegerl am Beginn seiner Intendanz noch gedacht, er könnte Haider als Partner gewinnen. Aber das war mit Jörg Haider nicht zu machen. Was mich besonders bewegt hat am Phänomen Haider, war, dass sich die verunsicherten, enttäuschten Menschen in Kärnten und in Österreich gern auf die Seite desjenigen schlagen, der seine Gegner herabwürdigt und damit Durchsetzungsfähigkeit vortäuscht, und dass man Haider politisch gewähren ließ und mit ihm allerorten kokettierte. Wenn es ein System Haider gegeben hat, dann nur, weil es bedient worden ist.


Woran arbeiten Sie derzeit?
Ich habe die Bühnenfassung des „Wechselbälgchens“ von Christine Lavant abgeschlossen und arbeite an einem neuen Text.

Tipp

„Engel des Vergessens“ von Maja Haderlap, ab 8. 9. im Akademietheater. Regie: Georg Schmiedleitner. Mit Petra Morzé, Alexandra Henkel, André Meyer u. a.

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