Generation Straight forward

Eine neue Frauengeneration drängt auf den Arbeitsmarkt, entwickelt Lebensperspektiven, beschäftigt Marketingfachleute. Was will die Generation Y?

Da ist die 18 Jahre junge Tavi Gevinson, 1.000.000 Klicks schwere Online-Magazin-Gründerin und neues Face der Clinique-Werbelinie "Face Forward". Und da ist die 25-jährige Absolventin eines Wirtschaftsstudiums, die beim Vorstellungsgespräch fragt, wie es mit den betrieblichen Kinderbetreuungsangeboten aussieht, und damit ihre Ablehnung riskiert.

Gemeinsam ist den beiden Frauen, dass sie der Generation Y angehören, die zwischen 1983 und 2000 geboren wurde und sich von der Vorläufergeneration X angeblich durch mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein unterscheidet. Als Kinder der Babyboomer-Generation haben sie von der Leistungsbereitschaft ihrer Eltern einerseits profitiert sie sind die am besten ausgebildete Generation, die es je gegeben hat andererseits hat sie die antiautoritäre Erziehungshaltung ihrer Elterngeneration untauglich für klare Hierarchien und Karriere um jeden Preis gemacht. "Why?", scheinen sie zu fragen, "sollen wir einen Job annehmen, der uns zwar vielleicht schnelle Autos und gutes Geld beschert, aber eine zerrüttete Beziehung und mit 50 einen Herzinfarkt?" Wo sie doch wissen: Ihre Zeit kommt noch. Sie sitzen demografisch am längeren Ast.

(c) Clinique

Gesellschaftsphänomen Ypsiloner. Was bleibt den Universitätsprofessoren, Firmenchefs und Politikern schon anderes übrig, als sich mit den Wünschen und Erwartungen der "Generation Weichei" bzw. "Null Bock" auseinanderzusetzen, obwohl sie zu ihnen so viel Nähe verspürt wie die Wirtschaftswundergeneration einst zu ihnen. Aber in zwanzig Jahren werden entweder sie unsere Pensionen bezahlen oder keiner. Kein Wunder also, dass die Millenials, wie die unter Dreißigjährigen auch genannt werden, so beliebte Studienobjekte sind. Ersehnte Kundengruppe, begehrte Ware auf dem Arbeitsmarkt, viel beschriebenes Gesellschaftsphänomen in den Feuilletons. Beobachtet, analysiert, vermessen und für die Eingliederung vorbereitet von Personalchefs, Marketingleitern und Entwicklungsabteilungen, die neues, kreatives, flexibles Menschenmaterial für den müden Wirtschaftsmotor brauchen, der sechs Jahre nach der Krise immer noch nicht recht anspringen will. Alles schaut gespannt auf die Ypsiloner.

Und die Ypsiloner schauen gespannt auf ihren Facebook-Account. Denn dort haben sie ihre Friends gefunden, sich zu Occupy-Bewegungen verabredet, beim Mathe-Lernen unterstützt, zu Hilfe für gestrandete Wale aufgerufen, Smoothie-Rezepte ausgetauscht, Selfies geliked und erste McJobs gefunden. Mit Vorliebe in der Kreativszene. Nicht jeder Millenial wird vielleicht ein erfolgreicher Blogger oder Spieleerfinder, aber alle streben es an. Denn Millenials gehören der Mittelschicht an, das Proletariat kann sich den Luxus der Zeitgeistigkeit nicht leisten.

Softies und GenderGap

Was die GenerationY so anders macht als die Vorgängergeneration? Sie zieht keine Grenzlinie mehr zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Ernst und Spaß, zwischen Kind und Karriere, zwischen Professionalität und Dilettantismus. Sie lässt sich nicht mehr von Politikerinnen, Meinungsmachern, Vorgesetzten, Lehrerinnen die Welt erklären, sie postet, liked, twittert sich ihre Welt lieber selbst. Und: Werte wie Familie, Beziehungen, Freundschaften rangieren bei Umfragen vor Geld, Statussymbolen, Karriere, Macht.

Dürfen wir uns also auf eine neue Softie-Generation freuen, die unsere Welt friedlicher, gerechter, menschlicher gestalten und dabei Wege aus der Krise finden und den Planeten retten wird? Oder auf die neuen Bier-meiers, die "Trautes Heim, Glück allein" mit Zuckerguss auf ihre Cupcakes malen? Auf alle Fälle scheinen sich  die Geschlechter mit ihren Wünschen und Lebensentwürfen so anzunähern wie nie zuvor. Die Ypsilonerinnen entscheiden sich nicht mehr für eines, sondern wollen beides: einen coolen Job und Kinder. Sie haben keine Männer mehr, die schneller auf die Karriereleiter flüchten, als der Nachwuchs "Papa!" rufen kann. Diese wollen selbst mit den Kleinen im Sandkasten sitzen und finden nichts dabei, wenn ihre Partnerinnen dafür sorgen, dass genügend Humus auf das Pitabrot kommt. Die Frauen der Millenials können der Zukunft gelassen entgegenblicken.

Können sie? Fragen wir sie lieber in zwanzig Jahren noch einmal. Wenn die ersten Kinder bis zur Matura gebracht, die ersten Kündigungswellen überstanden, die ersten alten Eltern gepflegt worden sind. Kann sein, dass die Ypsilonerinnen sich dann an ihre Mütter erinnern, die auch schon einmal aufgebrochen sind, den Gender Gap zu schließen und dann massenweise an gläsernen Decken zerschellt, in Burn-outs geraten oder mit der Mindestpensionen abgespeist worden sind.

(c) Clinique

Hochrisikogeschäft Bindung. Und wie steht es mit der Liebe? Sie ist vielfältiger, aber nicht unbedingt einfacher geworden in der Multioptionsgesellschaft. Allzu groß ist die Versuchung, die Beziehungskrise mit einer Partnersuche im Web zu beenden. Bindungen werden unter diesen Voraussetzungen zum Hochrisikogeschäft für beide Seiten. Kein Wunder, dass viele Ypsilonerinnen darauf mit einem romantischen Backlash reagieren. Hochzeit in Weiß, Jungfräulichkeit bis zur Ehe Rezepte aus dem vorletzten Jahrhundert sollen als Schadenszauber dienen. Ob er wirkt, werden wir später an den Scheidungsraten erkennen.

Oder doch zurück zur libertinen Sexualauffassung der frühen Siebzigerjahre? Der freizügige Umgang mit Körperlichkeit, die Hotpants-, Superminis- und Bauchfreimode der letzten Jahre, der allgegenwärtige Nonstop-Zugang zu pornografischem Material jeden Härtegrads mag dies wahrscheinlich machen. Und auch das genaue Gegenteil davon: zutiefst verunsicherte, hochgradig gestresste junge Männer und Frauen, die sich nicht mehr von der Aufwärtsspirale der Selbstoptimierung befreien können außer durch Enthaltsamkeit organisiert zum Beispiel in den USA über die Straight-edge-Bewegung mit ihrem Slogan "True Love Waits." Die Liebessehnsucht der jungen Menschen scheint zwischen Neoromantizismus und  Pornografisierung der Zweierbeziehung hin- und herzupendeln. Und was macht die Frauenbewegung? Sie wartet offenbar auf die Generation Z.

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