Renate Bertlmann: „Man ließ mich wie eine heiße Kartoffel fallen“

Renate Bertlmann.
Renate Bertlmann.(c) Christine Pichler
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Renate Bertlmann war immer eine Unangepasste. Jetzt feiert die Performance- und Multimedia-Künstlerin eine späte (Wieder-)Entdeckung.

Renate Bertlmann hat in ihren Objekten und Performances mit jeder erdenklichen Art von Platzhaltern des Körpers gearbeitet: Sie warf für ihre Waschtage Latexhäute über Wäscheleinen, stülpte sich Schnuller-Fingerhüte über alle zehn Finger, ließ sich an einen Rollstuhl gefesselt durch Galerieräume schieben und arbeitete mit Kondomen, Folterbetten und Messerklingen als Stellvertreter von Gewalt. „Sexualität und alles, was damit zusammenhängt“ nennt sie als ihr ureigenstes Thema, an dem sie seit fünf Jahrzehnten festhält. Als wichtige Aspekte ihres Werks nennt sie Eros, Thanatos, Pornografie, Gewalt, Hierarchien, Diskriminierung, Emanzipation, Spiritualität, Körperlichkeit und Leibfeindlichkeit. Vielen Widerständen zum Trotz hat sie sich seit den 1970er-Jahren davon nicht abbringen lassen. In Wien tat sie sich damit nicht immer leicht; ihre Erfolge feierte sie vor allem im Ausland. Nun richtet ihr die Sammlung Verbund, die sich in ihrer Sammel- und Ausstellungstätigkeit vor allem der Aufarbeitung der Feministischen Avantgarde verschrieben hat, die längst fällige Retrospektive aus.

Die Personale in der Vertikalen Galerie des Verbunds ist die bisher größte monografische Präsentation Ihrer Arbeiten. Wie geht es Ihnen mit dieser späten Wiederentdeckung?­­­­­
Ich habe oft und oft die Erfahrung gemacht, dass sich die Leute mit meiner Arbeit inhaltlich nicht wohlgefühlt haben und auch mit der Fülle der Arbeiten – das Atelier war ja bummvoll – nicht fertig geworden sind. Nicht nur einmal ist es passiert, dass Ausstellungsmacher, Museumsleute oder Kritiker ausgerufen haben: „Oh Gott! Damit soll ich mich jetzt auseinandersetzen? Ich komme ein anderes Mal wieder!“ Natürlich sind sie nicht wiedergekommen. Eine Wohltat war dagegen der Besuch eines Kulturbeamten, der beim Betreten des Ateliers meinte: „Endlich einmal viele Arbeiten! In den meisten Ateliers gibt es ja gar nichts zu sehen!“ Dass sich Gabriele Schor, die Kuratorin der Sammlung Verbund, mit meiner Arbeit seit nunmehr neun Jahren auseinandersetzt, ist für mich fast wie ein Wunder. Niemand hat sich je zuvor inhaltlich derart intensiv damit befasst.

Magierin. Für „Hokus Fokus Fidibus“ setzt sich die Künstlerin in ihren Lieblingsfarben in Szene.
Magierin. Für „Hokus Fokus Fidibus“ setzt sich die Künstlerin in ihren Lieblingsfarben in Szene.(c) Renate Bertlmann, Wien / Bildrecht, Wien, 2016/ SAMMLUNG VERBUND, Wien


Im Unterschied zu anderen waren Sie auf dem heimischen Kunstmarkt wenig präsent. Würden Sie sagen, dass Sie es als Künstlerin schwer hatten?
Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, sehe ich, dass alles zum richtigen Zeitpunkt passiert ist, am richtigen Ort, mit den richtigen Leuten. Wenn ich jetzt rediscovered werde, dann ist das der ideale Zeitpunkt für mich. Ich kann auf eine lange Periode intensiver und freudvollster Arbeit zurückblicken. Es gab wohl Ablehnung, Kritik, Diffamierungen, was mich kurzfristig sicherlich verschreckt hat. Ich habe mich aber immer wieder erholt und obsessiv weitergearbeitet. Mich konnte nichts aus der Bahn werfen. Ich habe vor allem im Lauf der vergangenen 30, 35 Jahre an zahlreichen Frauenausstellungen in tollen Konstellationen teilgenommen. Jetzt setzt wieder eine so Phase ein, in der ich vor allem von Frauen zu wichtigen nationalen und internationalen Ausstellungen eingeladen werde. Von den Männern allerdings wurde ich unter Hinweis auf den Feminismus meiner Arbeit immer wieder wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Es war nutzlos, darauf hinzuweisen, dass es mir nicht nur um Feminismus ging.


Sie hatten Ihren Durchbruch in den 1970er-Jahren als junge Performance-Künstlerin. Wie erklären Sie sich den Erfolg dieser Zeit?
Ich hatte durch meine Performances einen richtigen Boom: Erstens wurde ich von Institutionen eingeladen, die einen guten Platz im Kunstbetrieb hatten. Und zweitens schrieben Theoretiker und Kritiker wie Peter Gorsen oder Georg Schwarzbauer in guten Journalen wie dem „Kunstforum international“ öfter über mich. Und wenn du einmal regelmäßig vorkommst, bist du sofort bekannt. Als ich mit den Performances aufhörte und mich mehr zurückzog, nahm der Bekanntheitsgrad ab.


Welche Rolle spielten dabei Galerien?
Dadurch, dass ich eher ein „lonely tramp“ und auch nicht sehr kommunikativ bin, habe ich in Wien lang keine Galerie gefunden, die mir wirklich entsprochen hätte. Für viele war meine Arbeit auch inhaltlich befremdlich, besonders, was die phallische Symbolik betrifft. Im Ausland war das besser. Ich hatte Galerien in Triest und Luzern, die mich regelmäßig unterstützten. Und jetzt, im Zuge der von Gabriele Schor propagierten „Feministischen Avantgarde“ ist die Wiener Galeristin Silvia Steinek auf mich zugegangen und hat mich zu einer spannenden Frauenausstellung eingeladen. Außerdem wird mich die Galerie auch auf der Art Brussels präsentieren, die diesmal unter dem Motto „From Discovery to Rediscovery“ steht.

Tabuzonen.  „Zärtliche Berührungen“ lässt männliche und weibliche Sexualität  aufeinanderprallen.
Tabuzonen. „Zärtliche Berührungen“ lässt männliche und weibliche Sexualität aufeinanderprallen.(c) Renate Bertlmann, Wien / Bildrecht, Wien, 2016/ SAMMLUNG VERBUND, Wien



Konnten Sie damals, in den Siebzigern, von Ihrer Kunst leben?
Nicht von den Performances, aber es gab immer wieder Verkäufe, vor allem von Zeichnungen. Da ich sehr trocken auf Transparentpapier gearbeitet habe, haben speziell die Architekten stark auf meine Arbeiten reagiert. Auch an öffentliche Stellen konnte ich immer wieder gut verkaufen. Sehr wichtig war mein Partner, Reinhold, der mich seit 50 Jahren immer unterstützt hat, nicht nur finanziell, sondern vor allem ideell.


Mussten Sie von Ihrer Kunst leben?
Ich habe im Anschluss an mein Studium in der Meisterklasse für Restauriertechniken eine Stelle für die künstlerische Ausbildung der Studenten erhalten und zwölf Jahre unterrichtet – von 1970 bis 1982, was mir eine relative finanzielle Unabhängigkeit garantiert hat. Und nach dem Unterricht an der Akademie bin ich sofort in meinem Atelier verschwunden. Das war positiv, aber auch negativ insofern, als ich mich nicht in den Galeriebetrieb schmeißen musste, um Ausstellungsmöglichkeiten zu finden.


Eine sehr zweischneidige Unabhängigkeit. Wie gingen Sie damit um?
Teilweise war es wirklich schwierig. Es gab so viele gut aufgearbeitete Ausstellungen in Wien, aber auch international. Ich habe mir oft habe gedacht: Ich hätte dafür einen ganzen Raum parat! Ich wollte ja meine Arbeiten selbst einmal in einem anderen Kontext sehen. Aber niemand hat mich eingeladen – einfach deshalb, weil man mich nicht gekannt hat. So etwas ist mir sehr oft passiert, und das hat mich traurig gemacht.


Was waren Ihre Netzwerke? Wie war Ihr Verhältnis zu Künstlerkolleginnen?
Durch meinen Triestiner Galeristen Franco Jesurum habe ich schon in den Siebzigerjahren die neuseeländische Künstlerin Barbara Strathdee und die Triestinerin Manuela Marassi kennengelernt. Wir waren spontan voneinander begeistert und gründeten die Mareba-Gruppe. Das war damals der Hit, wir hatten in Italien eine Ausstellung nach der anderen. Das war aufregend, wir verkauften, wir waren richtige Powerfrauen! Leider gibt es keinerlei Dokumentation aus dieser Zeit.

Grausame Lust. Immer wieder treffen in Renate Bertl­manns Werk Eros und Gewalt aufeinander.
Grausame Lust. Immer wieder treffen in Renate Bertl­manns Werk Eros und Gewalt aufeinander.(c) Renate Bertlmann, Wien / Bildrecht, Wien, 2016/ SAMMLUNG VERBUND, Wien



Und in Wien?
Nach diesem ersten Vitalitätsschub habe ich mich in Wien sehr stark in der feministischen Bewegung engagiert, zuerst in der AUF (Aktion unabhängiger Frauen, Anm. der Red.), später in der IntAkt (Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen, Anm. der Red.). Außerdem war ich Mitglied der von Johanna Dohnal gegründeten Interministeriellen Arbeitsgruppe. Mit Linda Christanell gründete ich das BC-Kollektiv. Durch meine Reisen habe die Moskauer Konzeptkünstlerin Rima Gerlovin kennengelernt und mit ihr zusammen performativ gearbeitet. Dann folgte eine Phase des Rückzugs in den Achtzigerjahren. Vor zehn Jahren begann eine neue Periode der Zusammenarbeit, vor allem mit jüngeren Künstlerinnen wie Andrea Kalteis oder Katrina Daschner, die ich gern weiterführen möchte.


Sie waren 1975 bei „Magna – Feminismus: Kunst und Kreativität“ dabei, einer Schlüsselausstellung der österreichischen feministischen Kunstszene. Welchen Stellenwert hatte diese Beteiligung für Sie?
Dass mich Valie Export dazu eingeladen hat, war für mich sehr schön und hat mir gezeigt, dass ich dazugehöre und wahrgenommen werde. Sie war eine Gallionsfigur, ohne die sich die feministische Kunst nicht so entwickelt hätte.


Hat Sie der Wiener Aktionismus interessiert, der zu der Zeit ja so etwas wie einen Höhepunkt erreichte?

Ich habe das natürlich wahrgenommen, aber es hat mich nie berührt. Es war eine Macho-Truppe für mich, die ihr eigenes Süppchen gekocht und Frauen sehr oft als Objekte benutzt hat. Das war mir innerlich sehr fremd, das war nicht meine Welt. Aber auch wir haben Aktionen gemacht, und zwar sehr vehement – im öffentlichen Raum, in Privaträumen, im Raum der Galerien. Wir waren mehr als Aktionisten, wir waren Aktionist-innen!


Die Kritik am Verhältnis der Geschlechter und an starren Rollenbildern zieht sich seit 50 Jahren durch Ihre Arbeit. Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich geändert?
Nun, die Radikalität, die in den Siebzigerjahren notwendig und selbstverständlich war, ist heute aus verschiedenen Gründen gemildert. Dennoch kommen gewisse Themen immer wieder hoch, weil ich sehe, dass sich vieles nur sehr langsam geändert hat. Eines meiner Hauptthemen war und ist eigentlich noch immer die physische Gewalt gegenüber Frauen, die in Vergewaltigung gipfelt. Gerade jetzt, da es so viel Gewalt gegen Frauen und Kinder gibt, bin ich sicher, dass ich das wieder in irgendeiner Form gestalten werde. Ich kann die Welt zwar nicht verändern, aber ich kann versuchen, nicht aus dem Lot zu kommen und dadurch bewusst und verantwortungsvoll zu reagieren. Wie das meine Arbeit in Form, Inhalt und Ästhetik beeinflusst, ist offen. Das lasse ich wachsen.

(c) Beigestellt

Tipp

Sammlung Verbund. „Renate Bertlmann. Amo ergo sum“. 25. Februar bis 30. Juni. www.verbund.com/sammlung

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