Biedermeier, überall und nirgends

Als Abwendung von der Welt wird das Biedermeier oft verstanden: Untersuchung eines viel strapazierten Begriffs.

Herkules, Inbegriff maskuliner Kraft, in Frauenkleidern? Wie gibt es das? Eine Frau ist schuld: die Witwe Omphale. Erst versklavte sie den Heros, dann heiratete sie ihn, dann bekam sie mit ihm Söhne und schließlich degradierte sie ihn zum Hausmann. Es ist erstaunlich, wie gut man in der Antike über die Verhältnisse in manchen Ehen von heute Bescheid wusste. Herkules und Omphale stehen als Statuen am Rande eines bekannten Gemäldes von Josef Danhauser. Der Sohn eines Möbelfabrikanten, der den väterlichen Betrieb übernahm, war eine zentrale Größe der Biedermeier-Zeit. "Die Schachpartie" heißt das Bild, auf dem Herkules und Omphale als Skulpturen und Symbole erscheinen. Im Mittelpunkt des Gemäldes: Ein Paar, die Frau hat den Mann beim Schach besiegt, die beiden sind umringt von einer noblen Gesellschaft, die in Bewunderung erstarrt ist. "Danhauser spielt hier mit verschiedenen Motiven", erklärt Kuratorin Sabine Grabner vom Belvedere. Sie hat die Ausstellung "Ist das Biedermeier?" gestaltet. Danhausers Gemälde handelt von der Macht der Dame beim Schachspiel, von der Macht der Frauen in der Welt und von der Gefahr, die für die Männer darin liegt, nämlich Schwäche und Verweichlichung.

"Ist das Biedermeier?" soll keine weitere Feier des Schönen an einer repressiven Epoche sein, die gewöhnlich an der Zeit von 1815 1848 fest gemacht wird vom Wiener Kongress bis zur bürgerlichen Revolution. Grabner wollte Querverbindungen in der europäischen Malerei zeigen und wie Stile, die gemeinhin als festgelegt gelten, tatsächlich ineinander verwoben sind. Die Kunsthistorikerin schlägt einen Bogen von 1790 bis 1820 und obwohl der Schwerpunkt der Schau bei österreichischen Künstlern liegt, sind auch Meister aus der Lombardei, dem Veneto, Slowenien, Ungarn und Tschechien vertreten. Der Orient war dem damaligen Europa so nahe wie dem heutigen: "Der Emir vom Libanon" heißt ein Gemälde von J zsef Borsos, das in Wahrheit Edmund Graf Zichy zeigt, der den Nahen Osten bereiste wie viele Angehörige der Oberschicht. Was ist denn nun überhaupt Biedermeier? "Ein Lebensgefühl, eine Stimmung, die immer vorhanden ist, vergleichbar dem Realismus", zitiert Grabner den früheren Belvedere-Chef, Gerbert Frodl. Ist Waldmüller ein typischer Biedermeier-Maler? "Bitte nicht!", ruft Grabner.

In seinen oft lieblich aussehenden Werken übte er auch Sozialkritik, etwa in "Die Pfändung". Wenn er idyllische Motive wie "Mutterglück" mehrmals verwendete, so lag das an seinen Auftrag gebern, die schöne Bilder haben wollten in einer Zeit, die alles andere als idyllisch war durch die Industrialisierung und den Pauperismus, die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, die in Gegensatz zu großem Reichtum stand, des Adels und des aufstrebenden Bürgertums. "Es ist wie heute in der Werbung", erzählt Grabner, "da sieht man auch bezaubernde Familienszenen, wenn für Schoko-Creme oder Waschmaschinen geworben wird. Gerade jetzt strebt man wieder nach Sicherheit und Geborgenheit in der Familie, das war damals auch so."

Frauenzeit. Die Frau gewann im Biedermeier mehr Aufmerksamkeit als Hüterin der Häuslichkeit und als Mutter, die sich nicht mehr nur um Repräsentation, sondern persönlich um das Wohl ihrer Kinder kümmerte. Andererseits: Das Leben vieler Menschen, Männer wie Frauen, spielte sich im Freien, im öffentlichen Raum ab, speziell in den damals rasch expandierenden Caf s und Vergnügungsetablissements, in denen zum Beispiel Walzerkönig Johann Strauß aufspielte. Diese Stätten von Fröhlichkeit und Lebenslust nach den napoleonischen Kriegen nach denen die Wiener trotz Besatzung dem französischen Lebensstil die Treue hielten trugen klingende Namen wie Sperl, Elysium oder Apollo-Saal. Dass ein Satiriker wie Nestroy auch als Chronist des Biedermeier gelten könnte, wirkt auf den ersten Blick skurril. Und doch ist es so. Nestroys Possen zeichnen eine Zeit, in der in der Gesellschaft durch wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg schnell das Unterste zuoberst gekehrt werden konnte und andersrum. Immerhin: "Die Errungenschaften der Französischen Revolution kommen endlich bei den Menschen an", sagt Grabner. Zumindest gilt dies für Teile der Bevölkerung. Die florierende Wirtschaft nährt die Kunst. Es werden Vereine gegründet, einer davon zieht Geschäftsleute an, die Mitgliedsbeiträge zahlen, um das Geld werden Werke junger Künstler gekauft und diese wiederum unter den Vereinsmitgliedern verlost. Die Kunst kümmert sich also nicht so um die Jahreszahlen, dennoch, so Grabner, um 1860 herum geht die biedermeierliche Epoche im weitesten Sinn zu Ende und mündet in neue Strömungen wie Historismus oder Impressionismus.

Noch eine weitere Ausstellung, die derzeit in Wien zu sehen ist, umrundet den Biedermeier-Begriff und sucht ihn zu erweitern. Im Geymüllerschlössel hat das aus Dublin und Israel stammende Duo Clegg & Guttmann Tableaux vivants aufgebaut, um eine frühe Blüte des Mittelstands und des Konsums zu illustrieren, wie Martin Guttmann im Gespräch mit dem "Kulturmagazin" erklärte. "Biedermeier ist ein synthetischer Begriff zur Bezeichnung von Personen, die zu Hause bleiben und sich nicht um das kümmern, was draußen vor sich geht. Als kunsthistorische Kategorie möchte ich das Wort nicht allzu ernst nehmen," so Guttmann, der allerdings Gespräche mit den Experten des Museums für angewandte Kunst, zu dem das Geymüllerschlössel gehört, geführt hat über die verschiedenen Aspekte des Biedermeier.

Voyeurismus. Diese Interviews sind in der Ausstellung als Illustration zu den Environments zu hören. Wie steht es um die Erotik im Biedermeier oder im 19. Jahrhundert? Einerseits Repression oder Verdrängung, andererseits blühendes Leben im Untergrund. Darüber kann man sich im Wien-Museum ein Bild machen, bei der Ausstellung "Sex in Wien" geht es zwar nicht nur um das 19. Jahrhundert, aber dieses erweist sich quasi als Ursprung für die Spielarten der Sexualität in einer rasch wachsenden Metropole. Die berühmtesten Darstellungen für Voyeure der Biedermeier-Zeit stammen angeblich von Peter Fendi, inzwischen weiß man, dass sie nicht von ihm sind. Auf jeden Fall sind sie sehr explizit. Der Walzer war Anfang des 19. Jahrhunderts ein echter Skandal, trotzdem hat er sich durchgesetzt. Hauptschauplatz der Anbahnung wurden Tanzveranstaltungen, Bälle, besonders Maskenbälle. Obererotomane Schnitzler weiß allerhand davon zu erzählen, er wurde allerdings 1865 erst geboren, schlug somit auf dem Sektor Sex und Erotik die Brücke ins 20. Jahrhundert, was sich unter anderem darin äußert, dass seine Frauenfiguren Opfer und Täterinnen sind. So mag man in diesen drei Ausstellungen, im Belvedere, in der MAK-Expositur und im Wien-Museum, eine Zeit betrachten, in der sich manches entwickelt, das auch uns heute beschäftigt.

Tipp

Unteres Belvedere: "Ist das Biedermeier? Amerling, Waldmüller und mehr", 21. 10. 2016 12. 2. 2017; Geymüllerschlössel "Biedermeier reanimiert", bis 4. 12.; "Sex in Wien.Lust.Kontrolle.Ungehorsam" bis 22. 1. im Wien-Museum.

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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