"Operationen sind für Feiglinge"

Urpflanzen-Arie. Eine zart besaitete Pflanzenskulptur wird zum Klingen gebracht. Barcelona 2014
Urpflanzen-Arie. Eine zart besaitete Pflanzenskulptur wird zum Klingen gebracht. Barcelona 2014Wolfgang Thaler
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Die Arbeit am, mit und über den Körper steht im Zentrum des Schaffens der Künstler-Philosophin Elisabeth von Samsonow.

Körper und Schönheit in Zusammenhang mit weiblicher Identität beschäftigen Elisabeth von Samsonow schon lang sowohl künstlerisch als auch philosophisch. Diese Doppelung mag aufs Erste überraschen, doch hat sie hier ihre Logik. Denn die gebürtige Oberbayerin, die seit über 25 Jahren in Wien lebt, ist als bildende Künstlerin wie auch Inhaberin einer Ordentlichen Professur für Philosophische und historische Anthropologie an der Akademie der bildenden Künste in beiden Fächern firm. In einem speziellen Crossover von Theorie und Praxis stellt sie sich den großen Fragen der Kunst und Gesellschaft.

Den Ausgangspunkt dieses Settings bildet dabei stets der Körper. Ihn versteht die Philosophin nicht nur als bio logischen Teil des Subjekts, sondern auch physikalisch als dreidimensionale Form. Insofern hat die Skulptur für sie als Holzbildhauerin "größtmögliche Ähnlichkeit" mit dem menschlichen Körper. "Denn die Skulptur ist selbst ein Körper, ein Festkörper und das unterscheidet sie von der Malerei", sagt sie. Daraus zieht sie zum einen die Schlussfolgerung, dass die Bildhauerei "eine Interaktion zwischen mehr oder weniger gleichwertigen Körpern ist, die sich über das Material verständigen oder sich verstehen." Zum anderen sieht von Samsonow im bildhauerischen Akt auch einen Brückenschlag zur Performance, "eine performative Spur", wie sie sagt.

In Analogie zu dieser doppelten Körperhaftigkeit der Skulptur ist von Samsonow daran gelegen, in ihrer Kunst möglichst viele sinnliche Erfahrungen zu bündeln. Das Haptische gehört da ebenso dazu wie das Akustische und Visuelle. Das heißt also, dass die Bildhauerin, indem sie den Skulpturen Form und Plastizität gibt, diese auch zu Klangkörpern macht und ihnen visuelle Qualitäten verleiht durch farbige Fassung des Holzes wie in der Antike etwa oder mittelalterlichen Kirchenskulptur, so dass die Schwesterndisziplin Malerei über diesen Umweg wieder ins Spiel kommt. Oder sie baut in Installationen oder Performances großmaßstäbliche archaische Klangkörper ein, zuletzt etwa im Zusammenhang mit ihrer Ausstellung "A Young Woman" in der Wiener Galerie Jünger, ebenso im Rahmen ihrer One-Woman-Show im Sommer in Krems, in der sie den ganzen Kirchenraum als Resonanz raum miteinbezogen hat. Das heißt nicht zuletzt ebenfalls, dass immer auch die Philosophin grundlegende Fragen zum Körper einwirft. "Was ist der Körper, was ist seine Besonderheit? Was ist dieser Weltenkörper?" sind typische Fragen, für deren Beantwortung Samsonow in manchen Performances gern auch auf das Stilmittel des simulierten redeschwallhaften Vortrags zurückgreift.

Suche nach Schönheit. Gesellschaftlicher Anknüpfungspunkt ist dabei, dass die Körperthematik heute mehr denn je von den Medien geprägt ist. Diese kommunizieren und multiplizieren ihrerseits jene Körperbilder und Ideale, die von der Mode- und Beautyindustrie propagiert werden. Damit schließt sich der Kreis zur zentralen Frage stellung der bevorstehenden Vienna Art Week. Diese hat sich für ihre zwölfte Ausgabe im November 2016 das Motto "Seeking Beauty" auf die Fahnen geheftet, um die Thematik im Rahmen eines performativen Interviewmarathons mit Künstlern und Experten aus verschiedenen Disziplinen und von verschiedenen Standpunkten aus zu erörtern. Elisabeth von Samsonow hat eigens dafür eine neue skulpturale Performance entwickelt. Den Auftakt der Veranstaltung bildet, unmittelbar vor Elisabeth von Samsonows Auftritt, ein Interview mit der französischen Performance- und Body-Art-Künstlerin Orlan, einer der großen Referenzfiguren des posthumanen Körperdiskurses der letzten Jahrzehnte. Sie hatte von sich reden gemacht, indem sie sich seit den 1990er-Jahren mehreren plastisch-chirurgischen Eingriffen unterzogen hatte, um ihr Aussehen, inspiriert von kunsthistorischen und ideengeschichtlichen Vorbildern, einem selbstgewählten und -bestimmten Ideal anzunähern.

Protest-Kunst. "Wir sind mit einem Ideal oder einer Norm von Schönheit konfrontiert", sagt von Samsonow. "Wir implementieren unseren Körpern diese Ideale heute durch Sport, Operationen, Anorexie, Diäthysterie oder plastische Veränderungen. Orlan hat hier eine historische Landmarke gesetzt, indem sie den aggressiven Zugriff der Chirurgie zum Teil ihrer Kunst gemacht hat. Wir müssen uns heute aber fragen: Wollen wir dieses Body-Fashioning überhaupt noch? Wollen wir diese Auto aggression? Wollen wir nicht besser unserem natürlichen Sein wohlwollend zuschauen? Aus philosophischer und künstlerischer Sicht sollte ein Protest eingebracht werden. Sich operieren zu lassen ist etwas für Feiglinge."

Die Volte, die die philosophierende Künstlerin und bildhauernde Philosophin hierbei einlegt, ist die künstlerische Umsetzung des intellektuellen Protests mit künstlerischen Mitteln. Ihr berufsbedingter Dualismus lässt nicht nur die Paarung von Intellektualität und Praxis als gleich wirksame Teile des künstlerischen Prozesses sichtbar werden, sondern ist auch Motor ihrer Kunst. Der plastische Körper wird darin zum symbolischen Stellvertreter des realen Körpers vor dem Hintergrund eines idealen Körpers. Ein Dreiecksverhältnis also.

Dieses zieht sich in gewisser Weise durch ihr gesamtes Schaffen, wobei der weibliche Körper einen vielfältigen Referenzraum bildet, der archaische Vorbilder, Mythologien, bisweilen auch kunsthistorische Vorlagen anklingen lässt. Im Kontext der Auseinandersetzung mit der aktuellen Gier nach Schönheit als einer soziologischen, aber auch kulturellen Fragestellung wird die plastische Chirurgie für Elisabeth von Samsonow zum Modellfall für die Bildhauerei, die Bildhauerin mithin zur Chi rurgin. Diese Konstellation ist auch Ausgangspunkt der Per formance, die von Samsonow als Beitrag für diesen "performativen Interviewmarathon" vorgesehen hat. "Dislike Myself Terror Act/Want Myself Beautiful Desire Sculpt" nennt sie sie und kommentiert im Untertitel: "Eine selbstreflexive, kurzschlussartige, teufelkreisförmige Bildhauerinperformance mit Happy End." Das Selbst spielt darin eine Hauptrolle. Die Aggressivität des frei willigen körperlichen Eingriffs steht im Zentrum. Leiden, Schmerz und Aggression werden vorgeführt. Doch das alles tut nicht weh, weil der hölzerne Körper der Kunst als Stellvertreter gegenhält.

Vienna Art Week

Angetrieben von der Idee, die Aktivitäten der Wiener Kunstszene plattformübergreifend zu bündeln, findet diesmal bereits zum zwölften Mal die Vienna Art Week statt.

"Seeking Beauty" lautet das Thema der diesjährigen Ausgabe. Den programmatischen Auftakt bildet ein achtstündiger performativer Interviewmarathon mit Künstlern, Designern, Tanz- und Theaterexperten und Theoretikern. Neben Elisabeth von Samsonow tritt die französische Body-Art-Künstlerin Orlan auf, weiters das Choreografinnenduo Kroot Juurak und Anne Juren, das Wiener Kollektiv Station Rose, Performerin Doris Uhlich, Designerin Dejana Kabiljo und Literatur wissenschaftlerin Barbara Vinken u.a. (15.11., 15. 20 Uhr). Insgesamt wurden diesmal rund 90 Programmpartner gewonnen Museen, Ausstellungshäuser, Galerien und die Kunstuniversitäten ebenso wie alternative Kunsträume und natürlich die Künstlerinnen und Künstler selbst.

Sieben Tage lang offerieren sie ein dicht getaktetes Programm, das den Diskurs mit Vorträgen und Diskussionen ebenso einschließt wie Vernissagen, geführte Rundgänge, Atelierbesuche, Begegnungen mit Kuratoren und Künstlergespräche, Familienprogramme. Zu den Klassikern der Vienna Art Week zählen der Open Studio Day am Samstag. Den Abschluss bildet traditionsgemäß der Family Art Day am Sonntag. 14. bis 20.11., www.viennaartweek.at

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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