Gott und der Tanz auf dem Theatervulkan

Nikolaus Habjan inszeniert Lessings "Nathan der Weise" im Volkstheater. Ein Gespräch und eine Betrachtung über die Rolle der Religion in der Bühnenkunst von der Antike bis heute.

Das Stück zur Stunde: Lessings "Nathan der Weise". Im Theater an der Gumpendorfer Straße ist das 1783 in Berlin uraufgeführte "Dramatische Gedicht" zu sehen, im April 2017 kommt es im Wiener Volkstheater heraus. Puppenmacher Nikolaus Habjan, der in den vergangenen Jahren eine kometenhafte Karriere gemacht hat, inszeniert. Günter Franzmeier wird die Titelrolle spielen. Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge: Der reiche Kaufmann Nathan zieht das Christenmädchen Recha auf. Während Nathan auf Geschäftsreise ist, brennt sein Haus ab, ein junger Tempelritter rettet Recha und verliebt sich in sie. Nathan wird zu Sultan Saladin gerufen, der immer Geld braucht, aber das Gespräch geht anders aus als erwartet: Mit der Ringparabel wirbt Nathan für Toleranz unter den Religionen.

Die Menschen im Stück leben in einem Dschungel von Vorurteilen und in einer permanenten Kriegssituation. Sie müssen auf der Hut sein. "Sie können sich leicht um Kopf und Kragen reden", sagt Habjan. Er gibt den Schauspielern daher Köpfe in die Hand, hinter denen sie sich, wenn Gefahr droht, verbergen bzw. eine Atempause gewinnen können, um sich eine neue rhetorische Strategie zurechtzulegen. Für Habjan spielt auch eine große Rolle, dass Lessing Freimaurer war: "Nathan verkörpert den Meister, Saladin den Gesellen, der Tempelherr den Lehrling." Lessing wollte auch die Aufklärung mit seinem Werk transportieren, etwa in der Figur des Klosterbruders, der sich von seinem Chef, dem Patriarchen, distanziert und gegen das System stellt. Patriarch, Tempelherr und Daia, Rechas christliche Gesellschafterin, wirken fundamentalistisch.

Agnostiker. Wie steht Habjan zur Religion? "Ich bin Agnostiker. Es gibt für mich keine wahre Religion bzw. alle Religionen sind wahr. Die Religion ist im Kopf." Mit 15 Jahren, erzählt er, habe er im Gymnasium heftig mit seinem Religionslehrer gestritten. Danach sei er nicht mehr zum Unterricht gegangen. Am Jahresende musste er beim Landesschulrat eine Prüfung in Religion ablegen. Auf diese bekam er ein Sehr gut: "Ich wollte dem Lehrer beweisen, dass ich nicht faul bin." Dem "Nathan" ist Habjan als Jugendlicher im Grazer Schauspielhaus begegnet, Otto David spielte ihn: "Mich hat das Stück wahnsinnig gefesselt, aber meine Schulkollegen fanden es langweilig. Ich bin da auch ein bisschen traumatisiert mit den Klassikern. Wir waren öfter im Theater, niemand hat etwas verstanden. Dieses Problem gibt es nach wie vor, ich finde, dass zu viel Theater für die Szene, für die Regie gemacht wird und zu wenig ans Publikum gedacht wird. Es muss immer so sein, dass auch der Zuschauer und die Zuschauerin, die das erste Mal das Stück sehen, verstehen, was vorgeht, und etwas davon haben."

Habjan ist derzeit gut im Geschäft, am 19. 11. hat seine Version von "Kottan ermittelt" Premiere im Wiener Rabenhof-Theater, im Grazer Liberty zeigt er "Faust, der Tragödie erster Teil" als Schauspiel mit Puppen und im Juli 2017 bringt er bei den Festspielen der Bayerischen Staatsoper in München "Oberon" von Carl Maria von Weber heraus, "eine Mischung aus Shakespeares ,Sturm , Mozarts ,Zauberflöte und der ,Entführung aus dem Serail ". Wie erging es dem Theater historisch betrachtet mit der Religion? Eher übel. Über Jahrhunderte blockierte die Zensur Kritik an Religions-und Herrschaftsverhältnissen. Und doch hat das Theater triumphiert. Ambivalent scheint die Beziehung zwischen Religion und Bühnenkunst im alten Griechenland. Die Götter waren einerseits eine launische oder schicksalhafte Instanz, andererseits beendeten sie gesellschaftsschädigende Praktiken wie Blutrache und Inzest, zu sehen etwa in der "Orestie" des Aischylos (diese Saison gleich zweimal in der Burg zu erleben, von Laien und Profis gespielt).

In einem Gerichtsprozess am Ende der Trilogie lässt Pallas Athene, Göttin der Weisheit, die zur ewigen Rache aufstachelnden Erinnyen und Orest, den ewig von ihnen gejagten Muttermörder, zu Wort kommen. Pallas Athene schlägt sich auf Orests Seite, er wird erlöst. Die Kirche engagierte sich immer wieder direkt im Theater, in Passionsspielen wie sie bis heute beliebt sind, oder im Jesuitentheater, das die Jesuiten gegen die Reformation etablierten und das gerade in Wien eine Blüte erlebte.

In dem Spruch "Für Gott, Kaiser und Vaterland" drückt sich die enge Verbindung im Habsburgerreich zwischen Religion und politischer Macht aus, der Katholizismus war die "Leitkultur", die nicht nur das Militär um ein gemeinsames Banner scharen, sondern auch helfen musste, ein großes und disparates Reich zusammenzuhalten. Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Religion ab 1700 zurückgedrängt. Nach der Erfahrung der Jahrhunderte dauernden Religionskriege zwischen Katholiken und Protestanten in Europa, speziell dem Dreißigjährigen Krieg 1618 1648, rückte die Philosophie in den Vordergrund, das rationale Denken sollte den Fortschritt befördern. Das betraf auch das Theater.

Ironisierung. Die Moderne und speziell die 1968er-Revolution in der Bühnenkunst brachten eine weitgehende Emanzipation von der Religion, die heute manchmal schon wieder leicht zwanghaft wirkt, in dem das Metaphysische ironisiert, lächerlich gemacht wird. Vertreter der Kirche haben jedenfalls im Theater ihren festen Platz: Pater Laurence, der Romeo und Julia heimlich traut, gibt später Julia den Schlaftrunk, der letztlich Auslöser des Suizids des Liebespaares ist. In Schillers "Räubern" wird ein energischer Priester, der die Räuber überzeugen soll, ihren Anführer auszuliefern, von deren Anarchie überrollt; in Schillers "Don Carlos" sieht man das Zusammenspiel von Herrscher und Inquisition; und in Schnitzlers "Professor Bernhardi" wird der vermutlich atheistische Arzt als Humanist mit einem Priester konfrontiert, dem die "letzte Ölung" für eine Todgeweihte wichtiger ist, als dass sie ihre letzten Stunden in der Hoffnung verbringt, alles werde noch gut ausgehen.

Zwei spezielle Säulen im Tempel von Theater und Religion sind Hofmannsthals "Jedermann" und Goethes "Faust". In beiden Stücken tritt Gott leibhaftig auf. Im "Jedermann" beklagt er die Verkommenheit der Menschen, im "Prolog im Himmel" setzt er auf ihr Urgewissen: "Ein guter Mensch/in seinem dunklen Drange/ist sich des rechten Weges wohl bewusst." Das Theater hat es allerdings inzwischen über weite Strecken geschafft, dass schwierige moralische Fragen ohne Anrufung einer höheren Instanz abgeklärt werden, etwa bei Ibsen oder Strindberg des Öfteren mit tragischem Ausgang.

Tipp

Habjan-Termine. "Kottan ermittelt" als Puppenmusical ab 17. 11. im Rabenhof. "Faust" im Next Liberty Graz, 23./24. November

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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