Crossing Europe: Amüsantes und Abgründiges

Cineastin. Christine Dollhofer, Leiterin des Crossing Europe, präsentiert ihre Programmhighlights.
Cineastin. Christine Dollhofer, Leiterin des Crossing Europe, präsentiert ihre Programmhighlights.Magdalena Blaszcz
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In Europa entstehen viele großartige Filme, aber nur wenige kommen bei uns ins Kino. Das Crossing Europe holt ein Best-of nach Linz.

Die Zahlen sprechen Bände: 1643 Filme wurden 2015 in der EU produziert, der Trend zeigt deutlich aufwärts. Im selben Jahr kamen 216 europäische Filme in die österreichischen Kinos wobei hier auch Nicht-EU-Länder wie die Türkei mitgerechnet sind. Ziemlich viel vom bunten, oft wilden, oft außergewöhnlichen Filmschaffen unserer Nachbarländer kommt also nie auf den heimischen Leinwänden an. Dabei wären hier einige Perlen der Filmkunst zu entdecken. Ein Best-of davon holt seit 2004 verlässlich das Filmfestival Crossing Europe nach Linz. Rund 160 Spiel- und Dokumentarfilme werden heuer präsentiert: Geheimtipps wie auch Hits aus Berlin, Cannes und Co. Was sie gemeinsam haben? "Es muss ein beeindruckender Film in Inhalt und Form sein, der in unser Programmprofil passt", sagt Christine Dollhofer, die das Festival seit Anbeginn leitet. "Eigenwilliges, künstlerisch anspruchsvolles Kino, das Euphorie hervorruft."

Wir, das Volk? "Chez Nous" zeigt, wie der Rechtspopulismus in die Gesellschaft eindringt.
Wir, das Volk? "Chez Nous" zeigt, wie der Rechtspopulismus in die Gesellschaft eindringt.Crossing Europe

Politisch relevant war das Linzer Programm immer schon, heuer liegt der Schwerpunkt merklich auf jenen Themen, die zurzeit auch die politischen Debatten prägen: Rechtspopulismus, Terrorismus, Migration. "Natürlich hat sich die Auswahl aus der Sichtung ergeben, gleichzeitig wollte ich auch Filme versammeln, die von den Konfliktzonen in Europa erzählen", sagt Dollhofer. Politische Manifeste seien die Filme aber nicht per se: "Sie verhandeln gesellschaftspolitische Themen auf subtile Art."
Etwa das neueste Werk von Yeim Ustaolu, der zurzeit wichtigsten türkischen Regisseurin, das bei der Eröffnung des Festivals seine Österreich-Premiere hat: "Terredüt" ("Clair Obscur") erzählt bildgewaltig von zwei Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft, deren Wege sich kreuzen.

"Der Film verhandelt die Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft zwischen Moderne und patriarchaler Tradition", sagt Dollhofer. Sie schätzt die Regisseurin, die sich gern mit heiklen Themen beschäftigt, sehr und widmet ihr die Sektion "Spotlight", in der vier weitere ihrer Filme gezeigt werden. Ustaolu selbst wird anwesend sein, auch das ist Crossing Europe ein Anliegen: Um einen Dialog zwischen Filmemachern und Publikum anzustoßen, versucht das Festival, möglichst viele der im Programm gezeigten Regisseure nach Linz zu holen. Was mit einem Gesamtbudget von 500.000 Euro nicht immer einfach ist.

Krise im Land und in der Familie. Angekündigt hat sich auch Vitaly Mansky: In seiner Doku "Rodnye" ("Close Relations") sucht er nach Antworten zum Konflikt zwischen der Ukraine und Russland und besucht dafür die eigene Verwandtschaft, die auf beiden Seiten lebt. "Die Familie als kleinste Zelle der Gesellschaft bildet sehr plastisch ab, wie sich weltanschauliche Differenzen im Privaten niederschlagen", sagt Dollhofer. Das heurige Tribute gilt dem polnischen Künstlerpaar Anka und Wilhelm Sasnal, die 2012 mit ihrem Film "It Looks Pretty from a Distance" den Hauptpreis im Crossing-Europe-Wettbewerb gewonnen haben. "Seitdem habe ich die beiden auf dem Radar", sagt Dollhofer. "Ihre Filme agieren mehr über die Bildsprache, weniger über Dialoge" was auch daran liegt, dass bei ihnen Film und Kunst zusammenfließen, Wilhelm Sasnal ist vor allem als Maler bekannt.

Seine Bilder im Rahmen des Festivals auch in Linz zu zeigen, scheiterte am Widerstand des Regieduos: "Der Wunsch der beiden war, das bewusst zu trennen. Sie wollen ihr filmisches Schaffen in den Vordergrund stellen." Gezeigt wird ein Querschnitt davon, darunter ihr neuer Film "The Sun, the Sun Blinded Me". Bei der Berlinale schon gut angekommen ist die spanische, schwarzhumorige Tour de Force "El Bar" von lex de la Iglesia. Ein Mann verlässt eine Madrider Bar und wird erschossen. Ein terroristischer Angriff? Der Film zeige, so Dollhofer, "wie Entsolidarisierung und Paranoia in einem Bedrohungsszenario überhandnehmen". Aus Frankreich kommt Lucas Belvauxs Drama "Chez Nous" ("This Is our Land"), das gern als "der Film zur französischen Präsidentschaftswahl" bezeichnet wird: Eine gutherzige, beliebte Hauskrankenschwester, die eigentlich aus politisch linkem Haus kommt, wird von der lokalen rechtspopulistischen Partei vereinnahmt.

Familienaufstellung. Vitaly Manskys Verwandtschaft ist im Russland/Ukraine-Konflikt gespalten.
Familienaufstellung. Vitaly Manskys Verwandtschaft ist im Russland/Ukraine-Konflikt gespalten. Crossing Europe

Was Dollhofer sonst empfiehlt? "My Happy Family" von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß zum Beispiel, oder "When the Day Had No Name" von der Mazedonierin Teona Strugar Mitevska. Auch ein "cineastisches Zuckerl" ist im Programm: "Blue Velvet Revisited" von Peter Braatz erzählt von den Dreharbeiten für David Lynchs Neo-Noir-Psychothriller, die der damalige Filmstudent Braatz mit der Super-8-Kamera dokumentiert hat. Auch spannend: "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" nach dem Buch der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Dollhofer kann auch die politische Komödie "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" von Julian Radlmaier wärmstens empfehlen.

Beide Filme starten gleich nach dem Festival in den Kinos und sind somit rare Ausnahmen inmitten der vielen europäischen Filmerzeugnisse, die bei den heimischen Verleihern nicht unterkommen. Hin und wieder konnte das Crossing Europe dazu beitragen, dass Filme hierzulande doch noch eine Leinwandkarriere hinlegten. Jonathan Glazers "Under the Skin" etwa, das den Verleihern zu experimentell war, wurde in Linz gezeigt und schaffte es schließlich auch in einige Programmkinos. Auch die Doku "B-Movie" über die Musikszene im Westberlin der 1980er-Jahre schaffte den Sprung, wie auch die DDR-Skater-Doku "This Ain t California". Überraschungshits passieren dem Crossing Europe immer wieder. "Das kann man oft vorher gar nicht kalkulieren", sagt Dollhofer. "Es gibt Phänomene, die nicht vorhersehbar sind."

Tipp

Crossing Europe. 25. bis 30. April in verschiedenen Spielstätten in Linz. Eröffnung am 25. 4. mit fünf Österreich-Premieren (siehe Fotos oben). Insgesamt werden ca. 160 Filme gezeigt. www.crossingeurope.at

("Kultur Magazin", Print-Ausgabe, 14.4.2017)

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