Es lebe der Umweg: Gebrauchsanweisung für Österreich

Auch wenn wir wissen, woran die anderen mit uns sind, kokettieren wir gern mit unseren Unzulänglichkeiten.

Der Strudel ist die Basis, auf dem das Theoriegebäude zum Wesen des Österreichers steht. Heinrich Steinfest, der famose Kriminalautor mit Wiener Hintergrund und Stuttgarter Wohnadresse, nimmt in seiner „Gebrauchsanweisung“ einen längeren argumentativen Schlenker (wie so oft in diesem originellen Buch). Die Machart der Mehlspeise stehe nämlich für das österreichische Phänomen der drehenden Bewegung: des Windens, sich Verschlingens, ornamentalen Mäanderns, des Umwegs. Es sei schließlich auch kein Wunder, dass es gerade österreichische Wissenschaftler waren, die die These von schwarzen, alles mit sich reißenden Löchern ­aufstellten – denn als Österreicher neige man dazu, immer wieder in selbst geschaffene zyklonische Situationen zu geraten, „in denen alles – die Gegenstände, die Menschen, die Argumente – in das Innere eines Kreisels gelangen, wodurch ein sehr unklares Bild der Positionen entsteht“. Deutlich trete diese Eigenschaft im politischen Diskurs hervor, wenn „widersprüchliche, ungenaue, wild kreisende oder einfältig in ruhiger Mitte schwebende Gedanken mit großer Selbstverständlichkeit und sprachlichem Witz vorgetragen werden“. Was sich wiederum gut mit der erhöhten ästhetischen Empfindsamkeit des Österreichers trifft, der die Lüge der Wahrheit vorzieht, wenn sie nur schöner vorgetragen wird.

Österreich, eine komische Kränkung. Punschkrapferl, Labyrinth, Versuchsstation des Weltuntergangs – über die Charakterisierung des Österreichers und seines Hoheitsgebiets (beziehungsweise die deutliche Abgrenzung von den Deutschen) haben sich viele Gedanken gemacht. Manche haben sich fast um Kopf und Kragen geschrieben: Psychologische Befunde über die „österreichische Seele“ brachten eben jene Öffentlichkeit in Rage, Bernhard’sche Tiraden gereichten immer wieder einmal zu handfesten Skandalen – typischerweise, um mit Steinfest zu sprechen, noch vor Erscheinen und Premiere. Weil die Aufregung energetisch nie lang vorhält und Österreicher gern über Bücher reden, die sie nicht gelesen haben.

Die Provinz im Selbstversuch

Wirklich bösartiges Blut fließt nicht durch Steinfests Schreiben (im Abspann gebot er zudem Milde). Aus den Ausführungen spricht vor allem ein Spürsinn für das ­Skurrile, Absonderliche, Einzigartige der dem Österreicher ureigenen Ambivalenz: das souveräne Improvisationsgenie, der Minderwertigkeitskomplex mit Bühnengröße, die Liebe zur Miniatur gepaart mit der Liebe zur Erregung, die Haberei und das Hackl im Kreuz. Zugleich erlauben es Steinfests lange assoziative Mäander, Bezüge aufzuzeigen, die so schräg erst einmal gedacht werden müssen: Ornament und Psyche, Ouvertüren und Reizbarkeit, Theater und Umweg finden da ganz locker zusammen. Und manches scheint richtiggehend tagesaktuell.

Steinfests großartiger Sezierakt einer Befindlichkeitslandschaft vom „Gottschutzgebiet“ Burgenland bis nach Vorarlberg („ein virtueller Ort, lang bevor dieser Begriff überhaupt existierte“) hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Und es müssen auch viele dieses hoch unterhaltsame, mit literarischen, historischen, politischen und alltagskulturellen Bezügen angereicherte Basiswerk von 2008 gelesen haben, sonst wäre diese „Gebrauchsanweisung“ nicht zum zigsten Mal aufgelegt und vor Kurzem um ein sattes Kapitel erweitert worden. In diesem neuen Abschnitt „Österreich im Selbstversuch“ lenkt der vielfach ausgezeichnete Autor den Blick von den eher wienlastigen Betrachtungen in die Provinz hinaus, durchaus auf Orte seiner Kindheit.

Und so ist die durchdeklinierte Perfektion neuer Tiroler Tourismusbetriebe ebenso ein Thema wie die Sehen-und-sterben-Orte in der steirischen Mur-Mürz-Furche. Szenerien tun sich auf, „die sich eignen würden, einer österreichischen Version des Italowesterns als Hintergrund zu dienen“, und Gegenden, in denen Fremdenzimmer mit „eigener Schlachtung“ die Bettenkapazitäten einer Region abdecken. Aber alles letztlich ganz versöhnlich, der Autor weiß schließlich, was er an seinen Wurzeln hat.

Tipp:

Heinrich Steinfest: „Gebrauchsanweisung
Österreich“, Piper, 12,99 Euro, www.piper.de

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