Instagram-Zensur: Netz und Haut

Zu viel nackt auf Instagram? Wer was wie zeigen darf, ist nicht immer klar. Viele künstlerische Beiträge sind der Internet-Welt durch Löschen entgangen.

Ja, wir wissen: In der Öffentlichkeit darf man nicht alles zeigen. Neben dem, was man schön umschrieben „explizit“ (in Filmjargon übersetzt: nicht unter 18 Jahren anschauen) nennen kann, gibt es auch die diffuseren Diskussionen zwischen zu viel und zu wenig Kleidung an Frauenkörpern. Da geht es um oben ohne, Burkini, Dresscode in italienischen Kirchen oder religiös-konservativen Ländern, das Dekolleté von Politikerinnen oder von Stars auf dem Red Carpet. Wir erinnern uns auch (belustigt) an den Super Bowl 2004, in dessen Halbzeitpausenkonzert Justin Timberlake an Janet Jacksons Oberteil zupfte und ihre Brust entblößte. „Nippelgate“ schlug hohe Wellen, besorgte Bürger waren empört, und die TV-Übertragung erfolgt seither mit einigen Sekunden Verzögerung.

Ist das schon Zensur oder bloß Jugendschutz? Seit dem Aufkommen von Social Media läuft die Debatte auch im virtuellen Raum heiß. Facebook, Instagram und Co. regeln mit sogenannten Community Guidelines, was gepostet werden darf und was nicht. Für die Bildebene heißt das: Sexuelle Handlungen oder Andeutungen sind tabu, reine Nacktheit ist auch nicht erwünscht, egal, bei welchem Geschlecht. Wird anstößiger Inhalt von den Zuständigen entdeckt, wird er gelöscht. Die mit rund 500 Millionen Nutzern äußerst beliebte Foto-App Instagram informiert darüber mit dem lapidaren Kommentar: „We removed your post because it doesn’t follow our Community Guidelines.“ Weitere Erklärungen werden nicht geliefert. Dabei ist nicht immer klar, warum das eine raufdarf und das andere nicht.

„Einige Fotos von weiblichen Brustwarzen“ etwa sind laut Guidelines nicht gestattet, Bilder von Masektomie-Narben oder stillenden Frauen allerdings sehr wohl. Gelöscht wurden auch schon Bilder von Frauen mit T-Shirt, auf dem „There is nothing wrong with Sex“ zu lesen ist. Ob nun der Slogan zu steil war oder der nicht vorhandene BH schon einem Nippelgate gleichkommt, ist schwer zu sagen.

„Pics Or It Didn’t Happen. Images Banned from Instagram“. Arvida Byström und Molly Soda, erschienen bei Prestel.
„Pics Or It Didn’t Happen. Images Banned from Instagram“. Arvida Byström und Molly Soda, erschienen bei Prestel.(c) (c) Verlagsgruppe Random House GmbH, Muenchen

Die jungen Künstlerinnen Molly Soda und Arvida Byström mussten den Hinweis, dass eines ihrer Bilder von Instagram genommen wurde, schon oft auf ihren Smartphone-Screens lesen. Soda im Slip, mit unrasierter Bikini-Zone: gelöscht. Close-up auf die Unterhose an perfekt glatter Haut – kein Problem für Instagram. Haare auf weiblichen Bäuchen? Kann schon einmal zu viel sein.

Soda und Byström leben in den USA und haben sich mit ihrer Verwendung von Instagram, Blogdiensten, Webcams und weiteren Tools als Teile ihrer künstlerischen Praxis zu bekannten Netzkünstlerinnen hochgearbeitet. Beide beschäftigen sich in unterschiedlicher Weise mit weiblicher Körper- und Identitätskonstruktion sowie der exzessiven Selfie-Kultur. Während Soda vor allem mit intimen Einblicken, Performance und einer oft trashigen Ästhetik arbeitet, pflegt Byström die Auseinandersetzung mit einer geglätteten, an Werbung erinnernden Bildsprache in pastelligen Farben.

Die Erfahrungen mit Instagram-Zensur inspirierte die beiden zu einem gemeinsamen Projekt: „Pics Or It Didn’t Happen“ (etwa: „Wir wollen Fotos sehen, sonst glauben wir’s nicht“) heißt das Buch, das eine Sammlung von Fotos vieler Instagram-Nutzer, aber vorwiegend Nutzerinnen zeigt, die das gleiche Schicksal ereilte. Via Open Call riefen sie dazu auf, zensierte Fotos einzusenden. Viele Künstlerinnen fühlten sich angesprochen, was man an der Bildsprache sieht. Von Behaarung an den falschen Stellen über ästhetische Nacktselfies und Menstruationsblutflecken bis zu an eindeutige Flüssigkeiten erinnernde Substanzen an Händen ist der Inhalt divers. Blut, Schweiß und Tränen, um es „unexplizit“ auszudrücken. Oft reicht es aber auch, eine zu eng über den (nicht blanken) Po gezogene Netzstrumpfhose online zu stellen, um die Guideline-Hüter zu erzürnen.

Sicher fürs Netz

Das Format des Buches ist quadratisch wie die Instagram-Fotos und wartet mit einem Vorwort der amerikanischen Schriftstellerin, Filmemacherin und Feministin Chris Kraus auf. Abgesehen von der Covergestaltung, die nämlich kitschiger wirkt, als die gelungene Publikation tatsächlich ist, fällt beim Durchblättern gleich auf, was die Herausgeberinnen auch im Vorwort ansprechen: Fast nur weiße, schlanke, nicht behinderte Cisgender-Frauen sind dem Open Call gefolgt. Dies zeige, wer sich überhaupt sicher genug fühle, sich im Netz zur Schau zu stellen, mutmaßen Soda und Byström. Und stellen die Frage, inwieweit dies gesellschaftliche Hegemonien widerspiegelt. Ein paar queere Beiträge gibt es. Dennoch ist dies eine der Haupterkenntnisse, die es weiterzudenken gilt. Sowie die Tatsache, dass es wieder einmal um Frauen geht, deren Körper Gegenstand des Anstoßes ist. Passen tut’s fast nie. Und wir lernen: Ein bisschen zu viel Haare oder Flüssigkeit? Nicht auf dem privaten Instagram-Account! Makellos in Dessous auf alle Bushaltestellen der Stadt plakatiert? Kein Problem!

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.