Marteria: „Musik ohne Message ist Müll“

„Das Geld muss weg!“, ruft Hip-Hopper Marten Laciny dem Publikum zu. Und das ist so gemeint, wie es gesagt ist.

Der gebürtige Ostdeutsche Marten Laciny machte unter zwei Namen Karriere. Mit hochgepitchter Stimme ist er Marsimoto, mit seiner natürlichen Stimme Marteria. Unter beiden Namen stürmt er abwechselnd die deutschen Charts. Nach dem Marsimoto-Werk „Ring der Nibelungen“ ging es der vielseitige Künstler jetzt wieder als Marteria an – und er verblüfft mit einem Doppelschlag. Neben dem Album „Roswell“ kommt auch ein Spielfilm namens „Anti-Materia“. Am 5. Juni gastiert der Hip-Hop-Star, der auf „ein paar krasse Dinge“ in unserer Welt aufmerksam machen will, aber „ohne erhobenen Zeigefinger“, bei Rock in Vienna in Wien. Der leidenschaftliche Angler, der zu seinen DDR-Wurzeln steht, sieht sich weniger als Musiker denn als Musikfan. Er lässt sich gern auf Reisen inspirieren, zum Beispiel in Angola.


Gab es so etwas wie einen gedanklichen Ausgangspunkt fürs neue Album „Roswell“?

Es gab ein erstes Bild. Das Ortsschild meiner Heimatstadt Rostock, abends im Gewitter, die Schrift blättert langsam ab. Am Ende steht nur mehr „Ros“ da. Daraus wird „Roswell“. Das führt zur Area 51, dem militärischen Sperrgebiet in Nevada, in der 1947 dieses UFO abgestürzt ist. Dieses erste Bild hat mir sehr geholfen. Es führte mich zu einer neuen Wortästhetik und auch zu neuen Themen. Es geht ja nicht um die Aliens, sondern um das Sich-fremd-Fühlen von Menschen.


Sie sind längst eine etablierte Hip-Hop-Größe in Deutschland. Fühlen Sie sich immer noch als Außenseiter?

Ja, schon. Das liegt einfach in meiner Biografie begründet. Die Rostocker Hip-Hop-Szene bestand aus vielleicht 250 Leuten. Wir waren die Bescheuerten mit den weiten Hosen. Und als ich später nach New York ging, um mich als Model zu versuchen, war ich auch ein krasser Außenseiter. Mir ging es nicht darum, ein Star zu werden. Erfahrungen wie New York haben in mir das Gefühl verschärft, Teil von etwas sein zu wollen.


Jetzt, wo Sie ein bisschen mehr Kleingeld unter die Leute werfen können, reisen Sie sehr viel. Wie geht es Ihnen mit dem Gefühl, irgendwo fremd zu sein?

Das hält mich total frisch. Ich bin derjenige, der sich bemühen muss, Leute kennenzulernen. Um zu Wissen über die jeweils geilen Orte zu kommen, muss ich mich verbrüdern.


Das Video zu Ihrer aktuellen Single, „Alien“, entstand offensichtlich in einem südafrikanischen Township. Wie schafft man es, an so gefährlichen Orten drehen zu können?

Natürlich ist das schwierig. Man muss mit ein paar Gangstern verhandeln. Ich war schon oft in Afrika und Südamerika und weiß, was man tut, um das Eis zu brechen. Zwei Stunden Fußball spielen, sich verbrüdern, und dann tanzen 500 afrikanische Kids zu einem deutschen Hip-Hop-Song. Die Gefahr ist immer da, aber auch die Neugier.


Sie haben in Südafrika mit dem ehemaligen Sprayer Specter Berlin auch einen Action-Alien-Streifen namens „Antimateria“ gedreht. Wovon handelt er?

Der ist ein bisschen „Kill Bill“-mäßig. Märchenhaft, aber mit einer ganz ehrlichen Geschichte darüber, wie unsere heutige Welt funktioniert. Film und Platte gehören thematisch eng zusammen. Ich schätze Specter Berlin sehr. Für den Film bin ich in seinen Kopf eingestiegen, um seine Vision zu verstehen. Die ist schon surreal.


Und wie funktioniert unsere Welt?

Wir zeigen ein paar krasse Dinge, aber uns war es wichtig, das ohne erhobenen Zeigefinger zu tun. Jeder einzelne von uns ist gut und böse. Und der Entstehungsgeschichte jedes Schuhs nachzusinnen, den man gekauft hat, ist nicht zielführend. Dinge zu kaufen, macht mitschuldig, aber ohne Konsum geht es dann auch wieder nicht.


Das erste Konzert, das Sie jemals besuchten, war ein Rio-Reiser-Konzert. Mit der Gruppe Ton, Steine, Scherben war Reiser in den Siebzigerjahren der radikalste Politsänger Deutschlands. Heute wird die Hitparade von unfassbar netten Thirty-Somethings dominiert. Wie sehen Sie das?

Ich halte das für eine furchtbare Entwicklung. Musik ohne Message ist für mich Müll. Alle meine Helden hatten etwas zur Lage der Welt zu sagen. Ob Pearl Jam, David Bowie, Björk – es ging immer um Botschaften. Mir kommt viel von der heutigen Musik kalkuliert vor. Ich verliere lieber ein paar Leute mit einer neuen Platte, aber stehe für etwas ein.


Wie ist eigentlich der Song „Das Geld muss weg“ gemeint? Geht es da gegen den Wahnsinn des Konsums, oder soll er eher für das Lockerlassen vom Spargedanken werben?

Alles miteinander. Ein guter Song funktioniert auf mehreren Ebenen. Nur so mag ich es. Einerseits geht es um den Carpe-Diem-Gedanken. Gib deine Kohle aus, das Leben muss gefeiert werden. Andererseits geht es um die Utopie, wie ein Zusammenleben aussehen könnte in einer Gesellschaft, in der das Geld abgeschafft ist.


Sie reisen sehr viel. Nach welchen Gesichtspunkten suchen Sie Ihre Destinationen aus?

Ich bin leidenschaftlicher Angler. Das treibt mich in gewisse Gegenden. Das andere ist die Musik. Wenn es irgendwo tolle lokale Musik gibt, bin ich dort. Ich sehe mich ja weniger als Musiker denn als Musikfan. Ich war im Dezember in Angola. Die Musik in diesem Land ist eine ganz große Inspiration für mich. Ich entstamme ja der DDR. Alle unsere schwarzen Kids waren Angolaner. Man findet noch viele Deutschsprechende. An manchen Ecken sieht es aus wie in Ostberlin. Die Supermärkte haben mich an Rostock erinnert. Da hattest du nur drei bis fünf Produkte. Die waren dafür liebevoll gestapelt.


Wie verändern Ihre Reisen Ihren Blick auf Deutschland?

Nicht so sehr. Man darf nämlich nicht zu relativistisch werden, was die eigene Heimat anbelangt. Die Sorgen vieler Menschen in Deutschland sind nicht unbedingt kleiner als anderswo.


Sie gingen mit 17 als Model nach New York. Der Song „Skyline mit zwei Türmen“ behandelt diese Zeit. Wie haben Sie sich gefühlt?

Es war hart, bedrohlich. Ich musste ganz, ganz scharfsinnig sein. Model in New York klingt viel glamouröser, als es war. Meine Mutter musste mir immer wieder Geld überweisen, damit ich halbwegs zurecht kam. Und dann war es natürlich die Stadt des Hip-Hop. Das blieb bis heute für mich ein entscheidender Einfluss.


Gibt es irgendetwas Besonderes aus Ihrer Kindheit in der DDR, das Sie bis heute prägt?

Ich habe meine Mutter einmal gefragt, was sie an der DDR vermisse. Ihre Antwort? Dass man nie über Geld geredet hat, das war das Allerschönste an der DDR.

Tipp

Marteria. Das neue Album „Roswell“ erscheint heute (26. 5.) bei Sony Music. Marteria 2017 in Wien: Am 5. 6. bei Rock in Vienna, am 8. 12. im Gasometer.

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