"Körpergewicht 17%": Spritziger Auftakt im Ateliertheater

Das Ateliertheater in Wien führte zuletzt ein Schattendasein im Kulturbetrieb. Die neuen Besitzerinnen wollen nun dem Burgtheater Konkurrenz machen.

Die eine wurde in Polen geboren, die andere in Brasilien. Aleksandra Andrejewna und Talita Simek bezeichnen sich selbst als Powerfrauen mit Migrationshintergrund und bilden seit Anfang März die Doppelspitze des Ateliertheaters. Vor zwei Jahren übernahm Aleksandra Andrejewna das Theater gemeinsam mit dem Lokalbetreiber Corny KG. "Das war eine richtige Kamikaze-Aktion", sagt die bildende Künstlerin heute. Nun abermals ein Wechsel. Anstelle der Corny KG tritt Talita Simek, die zuvor schon als Moderatorin und im Marketing geholfen hat. Dass Wiens ältestes Kleintheater in seinem mehr als 80-jährigen Bestehen schon sehr häufig die Besitzer gewechselt hat, genauso wie den Standort und Namen, lässt die Schauspielerin kalt: "Ich bin ein risikofreudiger Mensch."

Wechselvolle Geschichte. Als "Literatur am Naschmarkt" hatte 1932 das Haus aufgesperrt. Später wurde es als "Kaleidoskop" geführt. 1960 bekam es von Veit Relin den Namen Ateliertheater und mauserte sich zum "Burgtheater unter den Wiener Kleinkunstbühnen". Peter Janisch übernahm 1967 die Leitung und führte es fast 40 Jahre lang. Im Herbst 1997 musste das Theater umziehen. Zwei Jahre verbrachte es in der Lerchenfelder Straße, bis es 1999 in die Räumlichkeiten des früheren Star-Kinos in der Burggasse 71 einzog, wo es sich noch heute befindet. Als 2005 die öffentlichen Förderungen um die Hälfte gekürzt wurden, wurde es eng. Um das Publikum nicht zu vergraulen, setzte man daher auf eher seichte Unterhaltung. 2012 versiegten die Förderungen gänzlich. Aus der öffentlichen Wahrnehmung war das Theater zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden. Von Nina C. Gabriel und Ludwig Drahosch wurde das Theater als "Ateliertheater reloaded" 2013 wiedereröffnet. Doch der Schauspielerin, die selbst Regie führte, und dem Maler wurde es bald zu viel.

»Theater muss mehr sein als elitäres Sprechtheater.«

Aleksandra Andrejewna

Das neue Führungsdoppel hat nun große Ziele für die kleine Bühne. Das Eröffnungsfest findet unter dem Motto "First we take burggossn, then we take die burg!" statt. Die Programmpolitik sei ein Statement für eine offene Gesellschaft. "Theater muss mehr sein als elitäres Sprechtheater", ist Aleksandra Andrejewna überzeugt, "in der Kunst muss alles erlaubt sein". Der Schwerpunkt auf jungen, engagierten und internationalen Schauspielensembles, Regisseuren und Musikern mache sich bereits bemerkbar. Man habe zwar das Theater, aber nicht sein konservatives Publikum übernommen. Ein Theater müsse heute einfach mehr bieten. "Die Leute geben sich mit einem ,Faust nicht mehr zufrieden, sie wollen sich mehr mit der eigenen Realität beschäftigen." Gleichzeitig seien viele Bühnen mit Blick auf die Political Correctness übervorsichtig. Mit dem interdisziplinären Ansatz wollen die zwei Frauen "ein neues, junges Publikum heranzüchten". Nicht nur Lesungen, Konzerte, Diskussionsrunden, Theaterstücke und Comedy finden auf der Kleinbühne statt, auch sogenannte Trans/Inter/Queer-Themen haben einen hohen Stellenwert. "Es geht um die Sprengung von Identitäten."

Um das Theater zum Laufen zu bringen und finanziell über Wasser zu halten, war anfangs jedoch Pragmatismus notwendig. Da waren auch Firmenevents oder Bauchtanzgruppen willkommene Kunden. Mittlerweile läuft es auch ohne solche Kompromisse gut. Im sogenannten Sommerloch sollen Workshops stattfinden. "Meine ideale Vorstellung ist, dass das Theater immer offen ist." Daher ist eine der beiden Besitzerinnen auch immer im Ateliertheater anzutreffen. "Wenn man selbstständig ist, denkt man sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag über die Arbeit nach", beschreibt Talita Simek ihre ersten Tage als Theaterbesitzerin. Der große persönliche Einsatz erfordert auch ein hohes Maß an Idealismus, denn dass man heutzutage mit einem kleinen Theater nicht reich wird, wissen auch die beiden.

Skandale sind nicht unerwünscht. Deshalb ist das Ateliertheater seit Kurzem ein gemeinnütziger Verein. So sei es nicht nur einfacher, um Förderungen anzusuchen, sondern es entspreche auch dem Wesen des Theaters an sich, für alle da zu sein. Nicht zu verwechseln mit dem Anspruch, allen zu gefallen. Im Gegenteil. Bei der Premiere der ersten Eigenproduktion im vergangenen Jahr, gezeigt wurde Heiner Müllers "Quartett", standen zwei Personen im Zuschauerraum auf und gingen. Der junge Regisseur des Stücks, Thomas Thalhammer, nahm es gelassen. Seine Inszenierung von Ewald Palmetshofers "Körpergewicht 17%" wird demnächst im Ateliertheater Premiere feiern. Das Stück ist unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise 2008 entstanden und behandelt Themen wie Vereinsamung und Rassismus. Thalhammer, der gerade auch an einer Performance zum Thema Geschlechteridentitäten arbeitet, war es wichtig, die Mechanismen von Alltagsrassismus noch stärker herauszuarbeiten. Und wenn das Publikum den Saal verlässt? "Mit einem Skandal haben schon so manche Karrieren erst begonnen!"

Info

"Körpergewicht 17%" von Ewald Palmetshofer. Regie: Thomas Thalhammer. Premiere am 23.3., 20 Uhr im Ateliertheater. www.ateliertheater.net

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