Herbert von Karajan: Anstellen, seinetwegen

Keine Autogramme. Auf dem Weg zum Privatflugzeug nicht, und schon gar nicht auf dem Weg ins Opernhaus.
Keine Autogramme. Auf dem Weg zum Privatflugzeug nicht, und schon gar nicht auf dem Weg ins Opernhaus.(c) Erich Lessing
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Assoziationen zum Jahr 1977? Ja. Körperliche Belastung am 7. Mai. Aber das war’s nicht wirklich. Um den Tag danach ging es.

ja, 1977. Der 8. Mai! Obwohl der körperlich schwerere Einsatz am 7. stattgefunden hatte. Da standen wir ja schon seit dem Vorabend, das war dann also der 6., in der Schlange. Genau genommen kamen wir immer wieder, um unsere Häkchen auf der Liste zu holen. Es ging aber definitiv um den 8. Mai. Da öffneten sich dann endlich die Türen – es war noch unter den Arkaden in der Kärntner Straße – und heute heißt der Platz anders, was wiederum mit dem 8. Mai zu tun hat. Bedingt zumindest.
Am Nachmittag begann die letzte Anstellphase, ein paar Stunden noch in jenem Gang, in dem damals die Garderoben waren. Heute hat man den Bereich mittels Verglasung abgetrennt und in ein Café verwandelt. Stehplatzler warten längst auf der Operngassenseite auf Einlass. Aber keiner von ihnen stellt sich je mehr so lange an wie wir damals.

Waschkörbeweise Bestellungen. Es ging ja um den 8. Mai, damals, 1977. Heutzutage kann man in der wärmeren Jahreszeit auf der Kärntner-Straßen-Seite via Riesenbildschirm sogar die Vorstellung mitverfolgen. Nicht auszudenken, was am 8. damals dort los gewesen wäre. Vermutlich hätten nicht einmal die Taxis zufahren können, denn es wollten ja alle drin sein, im Haus. Um jeden Preis. Es war wahrscheinlich so ähnlich wie ein Jahrzehnt davor in London – worüber Tom Stoppard in einem seiner Well-made-Plays spötteln lässt: „Die Leute hätten eine Niere gespendet, um dabei zu sein. Eine gewisse Callas hat gesungen.“ Also, wir sind jedenfalls eineinhalb Tage vorher Schlange gestanden. Es war, als ob jahrelang keine Oper in Wien stattgefunden hätte. Jedenfalls keine, die irgendwelche Aufregung wert gewesen wäre. Rückblickend darf man sagen, dass das nicht wahr gewesen ist. Jedenfalls nicht ganz.
Aber als der damalige Operndirektor, Egon Seefehlner, ankündigte, sein Vorvorvorgänger werde zurückkehren in das Haus, das er im Juni 1964 nach acht Jahren im Zorn verlassen hatte, da bombardierten die Aficionados die Bundestheater-Verwaltung mit schriftlichen Bestellungen. Waschkörbeweise gingen sie ein – man musste zu einem Trick greifen, um die Sache in den Griff zu bekommen.
Die Bundestheater-Verwalter sind ja nicht erst seit dem Amtsantritt von Georg Springer schlau.
Dass sie mit Springer schlauer geworden sind, das stimmt, weil Springer, der ja auch die Sache mit dem Anstellen und den Häkchen auf den Listen aus eigener Anschauung kennt, genau weiß, was läuft. Genauer als Beamte, die sich nie um eine Karte angestellt haben.
Aber dass da etliche Schreiben nur scheinbar aus dem Ausland kamen, das war auch denen klar. Sämtliche Wiener Fanatiker versuchten, über Freunde und Bekannte und Leute, die, weil ihr Wohnsitz außerhalb Wiens lag, aus der Achten-Mai-Not zu solchen ernannt wurden, an Eintrittskarten zu kommen.
Schriftliche Bestellungen waren in jenen Jahren, da man Opernkarten erst vier Tage vor der Vorstellung verkaufte und erst wenige Tage früher affichierte, wer diese Woche den Boris oder den König Philipp singen würde – präziser gesagt, ob Nicolai Ghiaurov singen würde oder nicht –, schriftliche Bestellungen aufs Gerate-Besetzungswohl also waren nur aus dem Ausland oder aus den Bundesländern gestattet.
Wiener hatten sich gefälligst um Karten anzustellen.
Und weil die Unendlichkeit der Warteschlange, die sich da am
4. Mai für den 8. Mai bilden würde, absehbar war, bat man also Freunde und Bekannte und solche, die man aus besagtem Grund gerade dazu ernannt hatte, aus den Bundesländern oder noch besser aus dem Ausland eine Bestellung abzuschicken.
Aber, wie gesagt, die Bundestheater-Verwalter haben nicht einmal den Georg Springer gebraucht, um da draufzukommen. Deshalb sandten sie, listig, an alle, die die Waschkörbe mit Bestellbriefen gefüllt hatten, kartonierte Kartenbestellformulare, auf denen die Bestellung noch einmal abzugeben war. Sozusagen eine formalisierte Bestätigung.
Was damit gewonnen war, ganz abgesehen von der Beschäftigungspolitik: Die Wiener fielen um ihre Chance um. Denn für das Hin- und Herschicken der Formulare war die Zeit bewusst zu knapp gewählt.
Weshalb alle Freunde und Bekannten, die sich erst erkundigen mussten, was denn nun mit diesen plötzlich eingelangten kartonierten Bestellformularen zu geschehen hätte, wenig später die Nachricht bekamen, sie seien „wegen Überzeichnung“ leider chancenlos. Zu spät gekommen. Wer nicht „echt“ war, hatte zu viel Zeit verloren.

Stehplätze für zehn Schilling. Am 8. Mai selbst waren dann übrigens, wie der damalige „Presse“-Rezensent, Franz Endler, verzeichnete, „freudig erregte junge Mädchen“ unter den Opernarkaden anzutreffen. Sie traten in heller Aufregung als Autogrammjägerinnen auf. Nein, nicht wegen des Heimkehrers, der gab keine Autogramme, schon gar nicht unter den Opernarkaden, die er nur vom Hörensagen kannte, weil er ja mit seiner Luxuslimousine direkt zur Hinterbühne chauffiert wurde, wo garantiert keine Autogrammjäger warteten.
Die Mädchen hatten Jürgens erspäht. Curd. Der war in jener Zeit der Salzburger Festspiel-Jedermann und auch sonst jedermann bekannt und gab gern Autogramme. Und er saß in der ersten Reihe, am 8. Mai.
Wahrscheinlich hat er aus den Bundesländern bestellt. Oder aus dem Ausland.
Uns war das egal. Wir hätten uns die Karten sowieso nicht leisten können, die man aus dem Ausland hat bestellen können. Unsere Stehplätze haben zehn Schilling gekostet. Auch am 8. Mai, als ob Miguel Gomez-Martinez den „Troubadour“ dirigiert hätte. Nur, dass wir uns diesmal eineinhalb Tage anstellen mussten. Was sich aber gelohnt hat, denn was dann passierte, sorgte dafür, dass wir uns nicht den 6. oder gar den 7. Mai gemerkt haben. Sondern eben den 8.
Am 8. dirigierte Karajan.

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