Die Ich-Pleite: Talente

Niemand kann alles. Außer die Praktikantin.

Wir haben eine neue Praktikantin. Als sie vor drei Monaten angekommen ist, hat sie kaum Deutsch gesprochen. Inzwischen erklärt sie uns schon, warum man zusammenschreiben zusammenschreibt und auseinander schreiben auseinander schreibt. Sie ist 23, hat zwei internationale Studienabschlüsse und neben ihrem 40-Stunden-Job beteiligt sie sich an einem Kunstprojekt. Einfach großartig! Dabei ist sie kein bisschen arrogant. Im Gegenteil! Sie vergisst nie ihr Häferl in den Geschirrspüler zu stellen und merkt sich alle Kinder- und PartnerInnennamen aller Coworking-Kumpel. Sie weigert sich auch nicht, bei lustigen Gemeinschaftsspielen mitzumachen. Wenn eine Kollegin einen Hula-Hoop-Reifen mitbringt und nach dem Mittagessen alle auffordert, die Geschicklichkeit beim Reifen-um-die-Hüfte-kreisen-Lassen vorzuführen, zieht sie sich nicht mit einer gemurmelten Ausrede („Uuuu, ganz schlimmer Hexenschuss“) zurück. Zum Ausbüxen ist es sowieso zu spät. Alle müssen ihre Hüftkreis-Fähigkeiten öffentlich vorführen. Wenigstens ist man nicht die Einzige, um die der Reifen ungefähr so anmutig schwingt wie um ein Verkehrszeichen. Der Kollege Internetprogrammierer schafft’s auch nur dreieinhalb Sekunden, bevor der Reifen zu Boden plumpst. Die Talente sind halt unterschiedlich verteilt. Die einen sind eher analytisch begabt, die anderen mehr kreativ, die Dritten mehr beim Hüftkreisen. Niemand kann alles. Außer die Praktikantin. Sie schwingt den Hula-Hoop-Reifen, als wäre sie die in Hawaii aufgewachsene geheime Tochter von Marilyn Monroe. Und das ist die Generation, die später einmal so große Probleme mit dem Klimawandel haben wird. Das ist doch ungerecht!  s

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