Die Ich-Pleite: Paketdiensterfahrung

Seit er beim Zustellungsversuch nicht daheim war, verlässt mein verrückt gewordener Nachbar die Wohnung nicht mehr.

Einer aus unserer Klasse ist auf einer Droge hängen geblieben. Danach erzählte er die banalsten Sachen mit wahnhafter Intensität. Mein Nachbar zeigt seit ein paar Tagen ähnliche Symptome. Er hat aber keine Drogenerfahrung. Er hat Paketdiensterfahrung. Seit er beim Zustellungsversuch nicht daheim war, verlässt er seine Wohnung nicht mehr. Er sagt: Man muss zu Hause sein, wenn die Zustellung erfolgt. Eindringlichst warnt er: Ist man bei der Erstzustellung nicht daheim, kommt man in eine Zwangslage. Er sagt: Ich war doch nur ganz kurz eine Milch kaufen. Während des Zustellungsversuchs! Das war sein Fehler. Bei manchen Paketdiensten gibt es ein Telefon, bei manchen nicht. Da muss man so eine Nummer ins Internet eingeben. Bei manchen kann man sich für die Zweitzustellung eine Tageszeit ausmachen. Bei anderen nicht. Er wollte aber nicht am ersten schönen Frühlingstag daheim warten. Er habe deshalb gebeten, sein Paket selbst abholen zu dürfen. Das GPS habe ihn zwar gut hingeführt in die Gegend zwischen Hauptkläranlage und Friedhof der Namenlosen. Der Paketdienst hatte aber kein Firmenschild. Da waren nur so Lagerhallen. Schließlich habe sich eine Frau, die gerade aus der Mittagspause kam, erbarmt und ihn in ein Großraumbüro geführt. Mit „Die da hinten“ habe sie auf vier Schreibtische gewiesen. Die da hinten waren der Paketdienst. Er habe sich erlöst gefühlt. Sie hätten sein Paket dann aber nicht gefunden. Der Fahrer hatte es mit auf seine Tour genommen. Seither verlässt mein verrückt gewordener Nachbar die Wohnung nicht mehr. Falls das Paket je kommt, muss ich es abfangen. Wenn er sieht, welch sinnloses Strandsouvenir ich ihm als Dank fürs Blumengießen geschickt habe, bringt er mich um. 

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