Die Ich-Pleite: Deutschen-­Klischee

Den Deutschen geht es mit ihrer Beliebtheit so wie den Frauen mit ihren Haaren: Man will immer das, was man nicht hat.

Die Deutschen schätzt man seit jeher für ihre Tüchtigkeit, ihre Verlässlichkeit und ihre wirtschaftliche Potenz. Und nicht dafür, dass sie einen besonderen Sinn für Chic, Humor oder Lässigkeit haben. Aber so wie eine Glatthaarige lieber Locken haben will, wollen die Deutschen lieber, dass man sie für eine Nation hält, mit der man gemütlich beim Heurigen eine Weißweinschorle nach der anderen trinken und zum Schluss Reblaus-singend nach Hause torkeln kann, als am Meeting-Tisch mit unangenehm genauen Budget-Kalkulationen und einer straffen To-do-List konfrontiert zu werden. Und jeder kennt persönlich mehrere Deutsche, die einen unordentlichen Schreibtisch haben und zu manchen Dingen keine Meinung. Aber die Welt hält ebenso hartnäckig am Deutschen-­Klischee fest wie die Deutschen am Euro-Stabilitätspakt. Deshalb hat sich jetzt die Deutsche Bahn eingeschaltet. Deutschland-Reisenden ist es ja schon länger aufgefallen: Die deutschen Züge sind nicht so pünktlich wie ihr Ruf, und die deutschen Auskunftspersonen am Bahnschalter kennen sich weniger mit dem Fahrplan aus als das Internetportal der österreichischen Kollegen. Ich habe auch neulich am Hauptbahnhof München festgestellt, dass die sieben Standuhren in der Halle sieben ganz verschiedene Zeiten angeben. Ich nehme an, sie werden von sieben verschiedenen Teilgewerkschaften betreut, die sich nicht auf eine Zeitzone einigen können. Aber erst durch den jüngsten Streik hat die Welt verstanden: Die Deutschen wollen nicht mehr die Tüchtigkeits-Lokomotive Europas sein. Das ist ihnen großartig gelungen! Das muss der Neid ihnen lassen.

Schaufenster.DiePresse.com/DieIchPleite

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