Die Ich-Pleite: Ernscht

Jahrelang hat der Ernscht nichts gesagt. Also nichts gegen mich Gerichtetes. Im Grunde hat er mich angehimmelt. Aber auf einmal ist es aus ihm herausgebrochen.

„Ihr Tiroler glaubt ja wirklich, dass ihr was Besseres seid!“ Ich spreche vollkommen akzentfrei und lebe schon mein halbes Leben in der Hauptstadt. Genau wie der Ernscht übrigens. Der Ernscht hat auch in den Bergen gehen gelernt, wenn auch nicht in den Tiroler Bergen. „Ihr glaubt, ihr habt die schiansten Berrg!“ (Er ahmte ein Tirolerisch nach, das ich gar nie gesprochen habe.) „De beschte Luft! De schneidigschten Burrschen!“

„Schneidig“ habe ich sicher in meinem Leben noch nie gesagt. Und dass wir die schönsten Berge haben, dafür kann ich nichts. „Das ist primitivster Nationalismus“, hat der Ernscht nachgelegt und natürlich die „Schitzn“ herbeigebetet. Ich bin hundertprozentige Antinationalistin. Ich habe nicht einmal was gegen Vorarlberger und Südtiroler, was mich zu einer Art Tiroler Mahatma Gandhi macht. Ich glaube, der Ernscht war damals ein bisschen verliebt in mich. Damit ist es aber vorbei. Letztens hat er bestens gelaunt aus Innsbruck angerufen. Er war bei strahlendem Sonnenschein durch den Schnee zur Arzler Alm hinaufgestapft. „Ich muss sagen, ganz unrecht hast du nicht“, lobte er seinen Blick auf die schneebedeckte Serles. 

In Wien war gerade Hochnebel. Zu Mittag konnte man ohne künstliches Licht nicht einmal seine Antidepressiva finden. „Hier scheint auch die Sonne“, log ich. „Ich trinke gerade vor dem Palmenhaus einen Espresso.“  „Und ich sitze im T-Shirt auf der Terrasse und esse einen Speckknödel.“ Da habe ich aufgelegt. Ich habe was gegen Tourischten. Und überhaupt. Der Ernscht war mir sowieso nie schneidig genug.

Schaufenster.DiePresse.com/DieIchPleite

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