Die Ich-Pleite: Rücksichtnahme

Das Wichtigste ist ja, dass man weiß, was man will. Ich zum Beispiel will von allen geliebt werden.

Das geht nicht, wird immer wieder behauptet. Ich halte das aber für eine billige Ausrede. Alles geht, wenn man nur will. Sagen dieselben Leute. Ich sage nicht, dass es leicht ist. Mit einem Solarflugzeug die Erde umrunden, ist auch nicht einfach. Gut, es geht vielleicht auch nicht, aber noch hat dieser Schweizer nicht aufgegeben. Und ich möchte ja auch nur nach New York fliegen, wo mir ein Freund seine Wohnung für zwei Wochen leiht. Zwei Termine stehen zur Auswahl. Beim einen würde ich beim runden Geburtstag meiner besten Freundin fehlen, beim anderen bei der Verlobungsfeier meines einzigen Bruders. „Einziger Bruder“, sagt meine beste Freundin, „geht vor! Ich bin nicht beleidigt!“ Wunderbar einfach. Ich buche zugunsten der Verlobungsfeier. Zwei Wochen später sagt mein Bruder, der Termin sei noch nicht ganz fix und außerdem die ganze Sache auch nicht so tragisch, sprich: Rücksichtnahme eigentlich übertrieben. Wohingegen die Freundin sicher superhappy wäre, wenn ich jetzt doch dabei sein könnte. Okay, ich buche um! Kostet zwar 400 Euro, aber dafür wohne ich ja gratis in NYC! Zwei Wochen vor Abflug treffe ich meinen Bruder. Die Verlobungsfeier ist jetzt doch am ursprünglichen Termin. Oje, ich bin nicht da! „Kein Problem!“, meint der Bruder und schaut dabei aus wie unsere Großmutter, als ihr ein umfallender Kasten das Bein abgequetscht hat und sie sagte: „Es tut nicht weh!“ In der kommenden Nacht träume ich von meiner Großmutter. Sie zeigt mir zwei blutige Beinstumpfen und sagt: „Es tut überhaupt nicht weh!“ Am nächsten Tag buche ich um. Kostet 300 Euro, und ich bleibe nur eine Woche. Man kann halt nicht alles haben.

Schaufenster.DiePresse.com/DieIchPleite

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