Die Ich-Pleite: Schweigeseminar

„Man kann auch heute noch auf ganz konventionellem Weg jemanden kennenlernen“, sagt meine Freundin Vera.

„Ohne Elite, Parship, Friendscout und so weiter. Zum Beispiel, indem man einen Kurs belegt. Sicher, es ist nicht alles geeignet. Sprachkurse etwa“, erklärt sie mir, „bringen’s eher nicht. Du weißt schon: 99 Prozent nette Lehrerinnen und patente Krankenschwestern und da­runter ein Mann!“ „Und der ist verheiratet oder Crocs-Träger.“ „Man müsste sich überlegen, was Männer gerne machen.“ „Sport!“, sagt Vera. „Ja, genau!“ „Deshalb hab ich auch einen Schwimmkurs im Holmes-Place belegt. Mit Einkommensvorauswahl!“, Vera grinst listig. Zwei Wochen später treffen wir uns wieder auf einen Kaffee. „Und?“, frage ich neugierig. Veras Miene verfinstert sich. Der Schwimmkurs sei das reinste Titanic-Erlebnis gewesen, jammert sie. Sie habe die Badekleidung nicht bedacht! Das letzte Mal, als sie im Bikini besser ausgesehen habe als in gut geschnittenen Jeans, sei sie vierzehn gewesen. Und dann Badehaube und Schwimmbrillen! Kein Mensch könne in so einem Aufzug etwas Interessanteres als: „Ich habe die Länge in 25 Sekunden geschafft!“ oder „Heute waren ideale Wasserverhältnisse“ von sich geben, klagte sie. Später hat es Vera dann noch mit Familienaufstellung, Rhetorikseminar, Kickboxen und Courmet-Kochen probiert. Dabei hat sie mehrere Male Männer weinen, schreien, schwitzen und sich mit Mayonnaise bekleckern sehen. Aber mehr sei nie daraus geworden. Am Ende des Jahres war sie so erschöpft, dass sie über Weihnachten zu einem Schweigeseminar in die Schweiz gefahren ist. Und ausgerechnet da hat sie dann ihren Benni kennengelernt! Es ist für beide die große Liebe. Wenn sie bloß nie mit dem Sprechen beginnen!

Schaufenster.DiePresse.com/DieIchPleite

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