Die Ich-Pleite: Schön

Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es immer. Aber das ist irreführend. Der Betrachter hat oft keinen guten Tag.

Verlassen kann man sich nur auf sein eigenes Urteil. Man ist so schön, wie man sich fühlt. Zum Beispiel heute beim Friseur. Die Friseurin hat stundenlang an mir herumgewerkt, aber danach habe ich erstens nichts für Schnitt und Farbe zahlen müssen, zweitens einen Gutschein für meinen nächsten Besuch und drittens zwei Gratisproben bekommen. Die eine soll helfen, störrische Mähnen zu smoothen und die andere, stumpfem Haar mehr Glanz zu verleihen. Früher hätte ich gesagt, das sind drei Beweise dafür, dass ich richtig schei* aussehe. Heute sage ich: Friseure sind Spießer! Außerdem: Wozu hätte ich heuer in Griechenland so viele bunte Tücher gekauft, wenn ich sie mir nicht manchmal um den Kopf binde! Und danach im Coworking Space. Ich stehe in der Küche und ein Kollege legt sanft die Hand auf meinen Bauch: Kriegst du ein Kind? Früher hätte ich sofort mein Schokocroissant fallen lassen oder eine saudumme Bemerkung. Heute sage ich: Okay, mein Bauch steht vielleicht ein wenig vor. Aber das kann auch von meinem Hohlkreuz kommen. Sicher, ich habe mich schon länger nicht mehr auf die Waage gestellt. Könnte ich eigentlich wieder einmal machen . . . uiiiii! Andererseits ist die Waage uralt, sehr wahrscheinlich hat sie sich selbst verstellt. Außerdem sind 60 Prozent der Europäer/innen übergewichtig. Trotzdem ist unsere Lebenserwartung schon wieder um eineinhalb Jahre angestiegen! Und hey, ich fühle mich gut!! Hübsch auch. Wenn ich mich so im Spiegel betrachte. Bei Kerzenschein. Ich schenke mir nur noch schnell ein bisschen Wein ein. Rentiert sich ja gar nicht, das letzte bissl noch aufzuheben.

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