Die Ich-Pleite: Damen-WCs

Das Konzerthaus wurde 1913 erbaut. Damals sind die Menschen noch nicht so viel aufs Klo gegangen.

Vermute ich. Man hat damals ja auch noch keine chinesischen Ärztinnen gehabt, die einem gesagt haben, dass man mindestens drei Liter am Tag trinken muss.
Jedenfalls sind die Damen-WCs im Konzerthaus nicht für die Menge der WC-benutzwilligen Damen gerüstet, die es gibt. Drei Klos, dreihundert Klo-Benützerinnen, da besteht naturgemäß ein gewisses Missverhältnis. Das mit den drei WC-Kabinen erfährt man aber erst, nachdem man 20 Minuten lang Dame für Dame an der Mauer entlang gerückt ist. Glücklicherweise am eher hinteren Ende des Foyers. Dort ist die Anzahl der zuschauenden Männer klein und der Anteil an Gen­tlemen, die nicht herschauen, groß. Denen, die dennoch einen beiläufigen Blick auf die aufgereihte Weiblichkeit in Fummel und Glitzer werfen, begegnet man selbstverständlich mit einem besonders würdevollen Blick der Marke: Ich stehe gar nicht fürs Pinkeln an, sondern warte nur ganz lässig darauf, dem Bundespräsidenten vorgestellt zu werden.
Diese Haltung ist allerdings nicht mehr ganz aufrechtzuerhalten, wenn man schließlich bis in den Einflussbereich der Neonbeleuchtung über dem Waschbecken im WC-Vorraum gelangt ist und im Spiegel ein halbes Dutzend blasse, hohläugige Frauengestalten mit grünlichen Fliesen im Hintergrund erblickt. Das ist dann der Moment, in dem jede zweite Dame den Lippenstift aus ihrer Handtasche fischt, eine Diät beschließt oder in Gedanken einen Botoxtermin bei der Hausärztin ihres Vertrauens vereinbart. Endlich ist man an der Reihe! Und schon ertönt der zweite Pausengong.

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