Die Ich-Pleite: Im Urlaub

Wirklich ist nur das, was in unserem Kopf ist. Zum Beispiel der Urlaub.

Theoretisch ist er vorbei, aber wenn man es sich nur gut genug vorstellt, dauert er immer noch an. Ich fahre zwar jeden Tag in der Früh ins Büro, aber nicht in die Arbeit! Denn „in Wirklichkeit“ nehme ich an einem Schauspielkurs teil, bei dem es darum geht, möglichst frustriert dreinzuschauen oder seine Mitmenschen anzurempeln oder jemanden am Telefon zu fragen, ob er „wo ang’rennt“ ist. Die anderen können es schon ganz gut! Um neun Uhr komme ich ins Büro und erfahre bei einem Kaffee in der Kaffeeküche von einer Freundin, dass sie für den Abschluss eines Auftrags, für den ich monatelang gearbeitet habe, eine fette Gehaltserhöhung bekommt. Das freut mich für sie! Danach mache ich ein paar Stunden Freiwilligenarbeit an der Kummernummer. Es rufen dauernd Leute an, die jemanden für irgendetwas ungerecht beschuldigen wollen. Wenn man sagt: „Gern übernehmen wir die Kosten“ oder: „Ich mache es so, wie Sie es wünschen“ (auch wenn es keinen Sinn ergibt), geht es ihnen wieder besser. Zu Mittag mache ich eine Erkundigungsreise in die Umgebung. Die Lokale haben eine interessante soziale Bandbreite, vor allem im unteren Bereich. Trotzdem entscheide ich mich für ein Weckerl aus dem Supermarkt, weil man im Urlaub ja nicht unbedingt eine Gallenkolik bekommen möchte. Danach besuche ich ein Yogaseminar. Alle sitzen um einen Tisch herum, und einer erklärt, dass alle Anwesenden außer ihm keine Ideen haben und sich nicht anstrengen. Dabei macht man Atemübungen und denkt an etwas Schönes. Da ist es natürlich schade, dass ich in Wirklichkeit immer noch im Urlaub bin, sonst würde ich jetzt wahrscheinlich an den nächsten Urlaub denken.

Schaufenster.DiePresse.com/DieIchPleite

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