Die Ich-Pleite: Christkind

Letztes Jahr haben alle Kinder noch ans Christkind geglaubt!

„Das Leben eines Elternteils ist ein ständiges Abschiednehmen.“ Meine Freundin Michi war auch schon einmal fröhlicher. „Jetzt kommt dann der Abschied vom Christkind.“ Wir sitzen in unserem Stammcafé, sie sieht wirklich erbärmlich aus. „Gestern ist die Lilli nach Hause gekommen und hat gesagt: ‚Beim Raffi bringt nicht das Christkind die Geschenke, sondern der Papa.‘“ Michi gibt dem Kellner ein Zeichen. Es ist ihr dritter Glühwein. „Und was hast du gesagt?“ Sie nimmt einen genussvollen Eigentlich-bin-ich-Nichtraucherin-Zug von der geschnorrten Zigarette. „Ich hab so getan, als hätte ich es nicht gehört. Aber heute fragt sie mich bestimmt wieder. Was soll ich ihr sagen?“ „Du könntest sagen: ‚Kann schon sein, dass zum Raffi das Christkind nicht kommt. Wahrscheinlich war er frech. Zu dir kommt das Christkind, wenn du brav bist!‘“ Die Michi verschluckt sich und hustet heftig. „In diesem Satz sind drei Erziehungstodsünden!!!“, keucht sie schließlich. „Ein Kind ist nicht ‚frech‘, sondern ‚ehrlich‘, und nicht ‚brav‘, sondern ‚angepasst‘. Außerdem erpresse ich mein Kind nicht.“ Ich grinse breit. Jetzt lacht sie auch wieder. „Aber im Ernst, ich kann die Lilli doch nicht anlügen!“ „Letztes Jahr hast du es aber offenbar noch gekonnt!“ „Das war etwas anderes.“ „Wieso? Weil der Raffi auch noch daran geglaubt hat!?“ Die Michi schnippt Asche in den Aschenbecher. „Ja, nein, ich weiß nicht. Letztes Jahr haben alle Kinder noch ans Christkind geglaubt!“ Der Kellner kommt und stellt eine dampfende Tasse Glühwein ab. „Letztes Jahr haben alle noch ans Christkind geglaubt“, knurrt er. Wir schauen ihn erstaunt an. „Das war allerdings vor den Präsidentschaftswahlen.“ Und diabolisch grinsend: „Den amerikanischen natürlich!“

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