Ballett: Olga Esinas Donnerschlag der Liebe

Sie gilt als unnahbare Schönheit. Das gefällt Olga Esina gar nicht. In der Staatsoper wird sie demnächst die Julia tanzen.

TIPP

Zum Abschluss der vergangenen Saison überraschte die blonde St. Petersburgerin Olga Esina als dunkelhaarige Schöne, die einen armen Künstler provoziert, verführt, zurückweist, in den Tod treibt und sich schließlich selbst als Tod zu erkennen gibt. „Le Jeune Homme et la Mort“ von Roland Petit nach dem Libretto von Jean Cocteau mit Olga Esina und Kirill Kourlaev war die Sensation der Nurejew-Gala 2012. „Das ganze Stück dauert nur 15 Minuten, aber danach bin ich so erschöpft, als hätte ich zwei Stunden getanzt.“ Nicht nur die Schrittfolgen dieses expressionistischen „Mimodrame“ (wie Cocteau das herausragende Werk der Ballettliteratur bezeichnet hat) seien überaus schwierig und ungewohnt, sondern auch die Rollengestaltung: „ Das bin ich ja nicht. Ich bin nicht der kalte Tod, ich bin voller Emotionen, auch wenn ich das nicht immer zeige.“ Manchmal gehen die Emotionen mit Olga Esina auch auf der Bühne durch. Als sie in Wien das erste Mal die Julia getanzt hat, war sie so überwältigt, dass sie auf der Bühne weinen musste. „Aber das ist falsch. Das Publikum soll weinen, nicht ich. Wir sollen ja nicht mit unserer Seele tanzen, sondern mit dem Körper ausdrücken, was wir mitteilen wollen.“

Kein verspieltes Mädchen.
Was die private Olga Esina fühlt und denkt, geht niemanden etwas an, schon gar nicht das Publikum im Saal, das mit Julia lieben und leiden soll. Nach gut zweieinhalb Jahren kommt die Tragödie wieder auf die Bühne. Olga Esina nähert sich neuerlich der Kindfrau, die sich kopfüber in die Liebe stürzt, und es fällt ihr wieder schwer. „Ich bin ja auf der Bühne nicht gerade so ein verspieltes Mädchen.“ Sieht man die Esina zum Probensaal schweben, dann sieht man die  Königin der Dryaden („Don Quixote“) oder Myrta, die Königin der Willis („Giselle“), oder Titania, die Feenkönigin („Sommernachtstraum“). Ihr Erscheinungsbild entspricht mehr einer Königin als einem gegen die Eltern revoltierenden Teenager. Die Ruhe, Konzentration, der strenge Blick lassen Olga Esinas Jugend nicht ahnen. Nur wenn sie lacht und die dunkelblauen Augen erstrahlen, erkennt man, dass die Ballerina erst 25 Jahre alt ist.

Schon vor dem Sommer haben die Proben für John Crankos „Romeo und Julia“ begonnen, denn nach den Ferien, die durch Gastauftritte und Dreharbeiten für das Neujahrskonzert so lang nicht sind, „sind nur noch zwei Wochen Probenzeit. Das ist wenig, ich würde gerne drei, vier Wochen haben“, meint sie und verspricht (sich): „Diesmal werde ich die Rolle bewusst tanzen. Ich muss einen Weg finden. Aber dazu brauche ich Hilfe. Von Manuel Legris und den Probenleitern.“ Die Solopartien trainiert sie mit Alice Nescea, ist aber auch allein eine ehrgeizige Perfektionistin. „Jetzt noch mehr als früher“, gesteht sie und ist sicher, dass sie mit dem Status einer Ersten Solotänzerin beim Wiener Staatsballett noch lange nicht ihren Zenit erreicht hat. „Es geht immer noch höher und noch besser.“ Nicht nur ihren eigenen Ruhm trägt sie bei Gastauftritten in die Welt, sondern auch den der Compagnie: „Dass Manuel uns beurlaubt, wenn es möglich ist, und sich auch selbst um Gastspiele kümmert, ist sehr gut. Wir brauchen auch die Auseinandersetzung mit anderen Bühnen und Kollegen.“

Eifersucht? Niemals! Auch wenn es so schwierig ist wie in Rom, wo Esina kürzlich in einer Open-Air-Vorstellung die Doppelrolle der Odette/Odile in „Schwanensee“ getanzt hat. „Da ist die Bühne etwas schräg gebaut, das haben wir zwar in St. Petersburg auch gehabt, aber jetzt bin ich sechs Jahre hier und habe das Gefühl vergessen. Automatisch verändert sich die Haltung wenn die Bühne ansteigend ist, das muss mit Konzentration ausgeglichen werden.“

Mit Verve betont sie, dass die unnachahm­liche Leichtigkeit des Seins, ob als Dornröschen oder in einer abstrakten Choreografie, täglich neue Arbeit und Konzentration bedeute: „Wenn das Publikum Schweiß und Anspannung nicht sieht, ist es gut. Es soll genießen, aber nicht an unsere Füße denken.“ Wenn dann, wie in Italien, „vier- bis fünftausend Menschen leidenschaftlich applaudieren, dann ist das ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Oft kann ich danach nicht schlafen, so aufgeregt bin ich.“

Julias Romeo wird in der ersten Vorstellung der neuen Saison Roman Lazik sein. So schwer kann es Esina nicht fallen, sich den Donnerschlag der Liebe auf den ersten Blick zu ertanzen, hat sie diesen doch schon selbst erlebt. Noch keine 18 war sie, als sie sich in ihren Kollegen verliebte und ihn auch heiratete. Dass sie zu jung für eine dauerhafte Bindung war, musste sie bald feststellen. Nun hat sie einen Gefährten, der gar nichts mit Tanz zu tun hat. Zu Hause und im Freundeskreis gibt es noch andere Themen als das Ballett. „Dieses Herumtratschen und andere ausrichten mag ich gar nicht. Aber hier bin ich in einer guten Compagnie, ich spüre keine Eifersucht und keinen Neid. Legris weiß genau, wo er uns einsetzt. Auch wenn wir zu fünft sind als Erste Solotänzerinnen, ist jede anders.“ Und jede unnachahmlich.

„Romeo und Julia“, Ballett vom 1973 verstorbenen Briten John Cranko, Musik: Sergej Prokofjew, 14., 17., 19. 9. Wiener Staatsoper.

www.wiener-staatsoper.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.