Nomaden der Kunst

Wiens Kunstszene genießt einen exzellenten Ruf. Ihre Offenheit und Vielfalt zieht auch viele junge Künstler aus dem Ausland in die Stadt.

Aldo Giannotti

(c) Nathan Murrell

Zwar hat Aldo Giannotti sein Diplom an der Akademie der Marmorstadt Massa Carrara gemacht. Doch als seine eigentliche Schule bezeichnet der mehrsprachig aufgewachsene Italiener vor allem „einen Prozess der Migration und eine nomadische Erfahrung, die sich in meiner Arbeit als vergleichende Praxis niederschlagen“. Dass er im Ausland leben wollte, war dem 35-Jährigen nach Studienaufenthalten in London und München klar. Mit seinem Interesse für analytische Fragestellungen sah er in der privatisierten Kunstszene Italiens keine Perspektiven. Dass er ausgerechnet in Wien landen würde, war dennoch Zufall.

Im Grunde war Aldo Giannotti nämlich schon auf dem Weg nach Berlin, als auf der Autobahn bei Verona der Motor seines Autos explodierte. „Ich deutete das als Zeichen“, sagt er, „und änderte meine Pläne.“ Mittlerweile lebt Giannotti seit fast zwölf Jahren in Wien, war Gaststudent bei Eva Schlegel und engagierte sich fünf Jahre in einem Produzenten-Kunstverein. „Wien ist mein Zuhause. Hier kann ich Dinge tun, die in Italien unmöglich wären. Trotzdem war der Anfang hart. Nicht nur konnte ich kaum Deutsch. Viel schwieriger war es, nicht bloß als italienischer Tourist wahrgenommen zu werden, sondern als Künstler.“ Nach Italien kehrt er trotzdem immer wieder zurück, nicht nur, weil ihm das Essen und das Meer fehlen, sondern auch um zu arbeiten. Drei der dort entstandenen Videos sind aktuell im Musa zu sehen.
www.aldogiannotti.com

Hélène van Duijne

(c) Nathan Murrell

Eine „Zuagraste“ im klassischen Sinn ist Hélène van Duijne nicht. Denn die Tochter eines Holländers und einer Schwedin lebt eigentlich schon seit der Kindheit in Österreich. Dennoch fühlt sie sich immer noch als Fremde. „Ich bin Wienerin und auch nicht. Durch meine protestantische Erziehung bringe ich etwas Untypisches mit. Obwohl ich schon so lange hier bin, spüre ich die Mentalitätsunterschiede immer noch. Vor allem beim Fußballschauen fällt mir auf, dass ich eigentlich so etwas wie ein Nationalbewusstsein nicht habe.“ Zur Kunst ist Hélène van Duijne, die heute in der jungen Offszene vernetzt ist, über die Technoszene gekommen.

Schon im Kunstunterricht während der Schulzeit durfte sie die Musik für die Klasse auswählen. „Das Experimentelle hat mich immer fasziniert“, sagt sie. Als sie sich mit 25 Jahren verhältnismäßig spät an der Angewandten bewarb, stellte die Aufnahme in Brigitte Kowanz‘ freie Medienklasse für sie eine große Herausforderung dar: „Obwohl alles so neu für mich war, wusste ich: Hier gehöre ich hin!“ Die Lust am Experiment hat sich van Duijne in ihrer Arbeit bis heute bewahrt. Wahrnehmungsmaschinen spielen darin ebenso ein Rolle wie Malerei, Porzellan oder Polaroids. Der Darstellung von Geschwindigkeit stellt sie Bilder gefrorener Augenblicke gegenüber, sodass sich bald bunte Diagramme auf kreisrunden Kuchen wiederfinden, bald ein Polaroid als Porzellanskulptur verewigt wird.
www.helenevanduijne.com

Nika Kupyrova

Wenn Nika Kupyrova über ihre Nationalität Auskunft geben soll – etwa für eine dieser im Ausstellungswesen üblichen Kurzbiografien –, weiß sie nie recht, wie sie antworten soll. „Ich fühle mich vor allem als europäische Künstlerin“ sagt sie. Geboren in der Ukraine, zog sie mit ihrer Familie im Alter von acht Jahren nach Prag, wo sie auf die britische Highschool geschickt wurde. Das Kunststudium absolvierte sie in Edinburgh. Nach dem Diplom 2009 wusste Nika Kupyrova, dass sie wieder im Zentrum Europas leben wollte. Dabei, dass sie in Wien hängen bleiben sollte, spielte allerdings der Zufall Regie. Während eines dreimonatigen Atelierstipendiums in Wien lernte sie ihren Freund kennen und blieb.

(c) Nathan Murrell

Heute pendelt sie zwischen Wien und Prag. „Wien ist eine sehr internationale und künstlerfreundliche Stadt“, sagt sie. „Aufgrund der kurzen Distanzen begegnet man sich immer wieder. Auf diese Weise habe ich rasch viele Freundschaften geschlossen.“ Auch in ihrer Arbeit, deren Schwerpunkt Mixed-Media-Objekte und Fotografien sind, hat Wien Spuren hinterlassen – nicht nur, weil die Übersiedlung quasi einem Neuanfang gleichkam. „Ich arbeite mit Fundmaterialien aus meiner Umgebung, die ich neu zusammensetze, um so deren Poesie und darin verborgenen Erzählungen sichtbar und spürbar zu machen. Damit möchte ich einen emotionalen Raum schaffen, der den Betrachterinnen die Möglichkeit gibt, ihn jeweils abhängig von ihren eigenen Erfahrungen zu interpretieren.“
www.nikakupyrova.com

Lukas Troberg

(c) Nathan Murrell

Plastikpistolen, glänzende Metallsperrbügel, Gipsbarren, die auf Vergoldung warten, zahllose Tuben buntes Haargel, die in Schachteln verpackt auf einem Handstapler aufgeschlichtet sind; dazu Zeichenhefte, ein schablonenförmiges Holzobjekt, irgendwo dazwischen ein Fahrrad, ein Skateboard, ein Snowboard. Solche und ähnliche Utensilien finden sich in Lukas Trobergs Atelier am Prater, das er mit einem Studienkollegen aus der Erwin-Wurm-Klasse teilt. Der Münchner, Jahrgang 1984, der vor sechs Jahren aus Stuttgart nach Wien kam, um vom Architekturstudium auf Kunst umzusatteln, betreibt mit Readymades eine Gratwanderung zwischen High & Low, Hochglanzästhetik und Streetart, Fundstück und Staffelei.

Thema seiner Arbeiten ist die Auslotung zivilen Ungehorsams. So polierte er etwa für das Video „FTP“ seelenruhig vor den Augen eines ratlosen Wachbeamten ein Polizeiauto. Dass Troberg jahrelang Sprüher gewesen ist, ist ein zentrales Element seines Werdegangs. „Als ich mit dem Bildhauereistudium begann, dachte ich nach, wie ich die Erfahrungen als Sprüher mit diesem Studium kombinieren konnte, in dem ich ja fast ausschließlich in der dritten Dimension arbeitete. In meiner Arbeit möchte ich den Grundgedanken des Graffiti von der dritten in eine vierte Dimension übertragen, ohne einfach Graffitis auf Leinwand zu sprayen.“ Einblick in dieses „Zwischenreich“ gewährt er mit einer Ausstellungsinstallation in der Galerie Michaela Stock.
www.lukastroberg.com

TIPP

„Lukas Troberg Recent Works“ bis 22. 12. in der Galerie Michaela Stock. Wien, 4., Schleifmühlgasse 18 „distURBANces“ (mit Aldo Giannotti) bis 5. 1. 2013 im Musa, Wien. www.musa.at

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