Junge Theatermacher: "Empört euch!"

Das Theater Drachengasse lud Nachwuchskünstler ein, Stücke zu schreiben: Wir zeigen die Finalisten des Wettbewerbs und ihre Projekte.

An jeder Straßenecke könnte sich Michael Schlecht über etwas aufregen. Anlass für Empörung findet sich heutzutage schließlich zuhauf – Jugendarbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise, soziale und politische Missstände, die Liste ist lang. Michael ist junger freischaffender Regisseur. Beim Aufruf der Drachengasse „Empört Euch!“, Thema des diesjährigen Nachwuchswettbewerbs, zögerte er nicht  lange und reichte – als einer von 98 Bewerbern – ein Projekt ein.

Protestkultur. In Anlehnung an die 2011 von Stéphane Hessel verfasste Streitschrift mit dem gleichen Titel – ein Aufruf an junge Menschen, gesellschaftlichen Missständen nicht mit Gleichgültigkeit zu begegnen – sollten Theatermacher frei assoziieren, wie die Wut der Jugend in kreative Energie umgesetzt werden kann. Im Dezember wurden vier Gruppen für das Finale des Wettbewerbs ausgewählt, das im Juni stattfinden wird.
Bei dem Interviewtermin mit dem „Schaufenster“ sitzt eine bunt zusammengewürfelte Truppe junger Leute vor der Bühne; alle erzählen sie engagiert von persönlichen Zugängen zu gesellschaftlichem Protest. Wegen der unterschiedlichen Lebens- und Bildungswege der mitwirkenden Autoren, Regisseure und Schauspieler ergaben sich verschiedene Ideen und Arbeitsweisen.

Junge Theatermacher Empoert euch
Junge Theatermacher Empoert euch

Michael Schlecht etwa wird gemeinsam mit Autor Leon Engler, der bislang interdisziplinär mit Film, Musik, Fotografie und Text gearbeitet hat, „68 Jahre Kriegsfreiheit“ realisieren: Ein Stück über Thazar, einen orientierungslosen Vertreter der heutigen jungen Generation, der sich am Überfluss von Möglichkeiten schneidet. Die Qual der Wahl treibt Thazar fast in den Wahnsinn und in ein Gespräch mit dem imaginierten Paul aus einer Zukunft, in der Krieg herrscht. Immer mehr wird dieser Kriegszustand für den Suchenden zum Bild einer idealen Ordnung, da er sich nach einem sinnstiftenden Antrieb und einer klaren Identität sehnt. Die Identität der Figuren aus „Die Kümmerinnen“ von Autorin Katharina Tiwald ist hingegen längst festgelegt – jedoch von außen, von der männlich dominierten Welt.

Junge Theatermacher Empoert euch
Junge Theatermacher Empoert euch(c) Pichler

Regisseurin Julia Kneussel, die nach einer Ausbildung am Wiener Konservatorium an verschiedenen Theatern gearbeitet hat, wird Julia Schranz und drei weitere Schauspielerinnen in einem erbosten Stimmteppich über die Verfehlungen der Genderdebatte und überholte Frauenbilder rhythmisch klagen lassen. Ein stereotypes Männerbild sowie verklärter Patriotismus führen in Fabian Faltins „I Do It My Way!“ zum fanatischen Schaffen eines Heimwerkers zwischen positiv-gestalterischer und destruktiv-terroristischer Do-it-yourself-Attitüde. Faltin hat an wirtschaftlich orientierten Eliteunis studiert, ehe er beschloss, die bühnenreifen Elemente aus Politik und Wirtschaft lieber kritisch in Performances und Theater zu reflektieren.

Junge Theatermacher Empoert euch
Junge Theatermacher Empoert euch(c) Pichler
Junge Theatermacher Empoert euch
Junge Theatermacher Empoert euch(c) Pichler

Auch die Autoren des vierten Projekts sind Quereinsteiger: Sandra Jungmann und Bernd Watzka sind in Medienberufen tätig. In „Occupy Burgtheater“ lassen sie Schauspieler den Aufstand gegen das Theater-Establishment proben, um damit (kultur-)politische Hierarchien und das verkorkste Verhältnis zwischen Ösis und Piefkes aufzuarbeiten. Und weil es der Drachengasse diesmal schwerfiel, sich unter den besonders vielen Einreichungen zu entscheiden, wird es auch noch ein fünftes, ein Rahmenprojekt geben. Die theatrale Installation „My private little window“ von Adeline Grossegger und Monika Hölzl schaltet während der Spielzeit auf einer Video-Projektionsfläche Blogs zum Alltagsleben in vermeintlichen Krisenzeiten aus ganz Europa zu.

Freiraum für frischen Wind. Der Aufruf zur Empörung ist ein aktuelles und ergiebiges Thema. Aber nicht nur deshalb wurden so viele Projekte zum Wettbewerb eingereicht, sondern auch, weil die freie Theaterszene momentan sehr lebendig ist. So empfindet jedenfalls Fabian Faltin, der mit anderen jungen Theatermachern wie Michael Schlecht eine gewisse Skepsis gegenüber etablierten Spielstätten teilt, wo Qualität und Kreativität oft unter Vorschriften und Professionalisierungszwang leiden. Die Arbeit auf kleinen Bühnen des Off-Betriebs sei viel bereichernder, weil auch Akteure ohne professionelle Ausbildung, wie etwa Faltin selbst, am produktiven Schaffen teilhaben. Die Inhalte neuer Stücke lägen zudem näher an Lebenswelten der Gegenwart als klassisches Theater: „Wenn ich wissen will, was die Gesellschaft heute bewegt, und aktuelle, politische wie auch kritische Inhalte suche, dann werde ich im Theater am ehesten fündig“, begeistert sich Faltin für junge zeitgenössische Bühnenkunst. In der heutigen schnelllebigen Zeit ist die ausschließliche Konzentration auf nur eine Sache selten. Ein Theaterstück habe, so Faltin, viel mehr Potential als Bücher oder Bilder, ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, das macht es für junge Künstler attraktiv. „Der lebende Mensch auf der Bühne, der das verkörpert, was er sagt, hat heute noch am ehesten die Kraft und Glaubwürdigkeit, um mit uns zu kommunizieren und uns zu bannen. Einflüsse von Performance und Tanz, Theorie und Alltagskultur, von neuen Medien, von anderen Kulturen, von Musik und  Improvisation, sogar von Architektur und Dokumentarfilm machen das Theater zudem lockerer und vielfältiger und haben für neue Möglichkeiten gesorgt, einen Abend zu füllen.“ Keine festgelegten Grenzen und Formen, alles ist erlaubt. Beim jungen Theater stehen unzählige Möglichkeiten offen, solange es eine dramaturgische Kurve und glaubhafte Performer mit relevanten Themen gibt.

Nicht nur für Faltin ist dieses Gefühl, einfach machen zu können, befreiend. Die Experimentierfreude der freien Szene ist groß, keine Frage. Die Möglichkeit, ein Thema, das einen persönlich interessiert, frei behandeln zu dürfen, ist allerdings nicht selbstverständlich. Bei aller Romantik eines prekären, aber unabhängigen Künstlerlebens – das Geld fehlt eben doch. In dieser Situation ist ein Wettbewerb wie der der Drachengasse großartig, da sind sich die Wettbewerbsteilnehmer einig. Solche Gelegenheiten sind der Nährboden für kreatives Weiterkommen der Theatermacher, weil ihnen Freiheiten fernab von Reglements erhalten bleiben, notwendige Räumlichkeiten, ein erfahrenes Team bei der Ausarbeitung und die nötige finanzielle Unterstützung jedoch bereit stehen. Julia Kneussel freut sich wie alle der Newcomer über die Chance, ihr Projekt als zwanzig-Minuten-Stück realisieren zu dürfen: „Förderungsmäßig sieht es im Moment total schlecht aus in der Szene. Insofern ist jede Gelegenheit wichtig, denn will man seine Ressourcen professionell einsetzen, braucht das Zeit, und Zeit ist Geld, Geld gibt es aber kaum. Diese Kombination hier, mit Menschen zu arbeiten, die man sich selbst aussucht, und dann eine Plattform zu haben, wo man das in einem geschütztem Raum machen kann, ohne sich um Proberäume zu kümmern und Diskussionen zu führen, wer das nun bezahlt, das ist ein kleiner Luxus.“

Sprungbrett. Auch wenn jede Möglichkeit einer Vorstellung am Anfang der Laufbahn gern genutzt wird, und sei es die eigene Wohnung, ist die Präsentation vor Publikum auf einer Bühne mit einem guten Ruf noch immer die beste Chance für Nachwuchskünstler. In der Drachengasse werden die vier Gruppen nach der Ausarbeitung ihrer Projektideen 16 Tage lang ein Forum für ihre Stücke bekommen. Die Aufführungen im Juni sollen einen spannungsreichen Austausch mit den anderen Gruppen ergeben, aber möglicherweise auch ein Sprungbrett für die Zukunft sein. Denn so ein Wettbewerb bringt selbstredend auch Preise mit sich. Die Gewinner des Jurypreises dürfen ihr Projekt mit finanzieller Unterstützung der Stadt Wien und des BMUKK für die darauffolgende Spielsaison der Drachengasse abendfüllend ausarbeiten. Aber auch, oder vor allem ums Gesehen Werden geht es. Schließlich ist man trotz erster Erfolge oftmals noch unbekannt. In der Jury aber sitzen Leute aus Kulturbetrieben, die fürs Netzwerken und für zukünftige Förderungen hilfreich sein können. So etwa Harald Posch von der Garage X, wo erst vor Kurzem die Nachwuchswettbewerb-Gewinnergruppe „bureau“ von 2011 ein Stück aufgeführt hat. So eine Startmöglichkeit bedeutet in der freien Szene viel, weiß auch Bernd Watzka: „Wir haben schon gewonnen. Egal, wer dann das Geld bekommt.“

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