Kim Hastreiter: "Ich habe zuerst 'No way gesagt'"

Kim Hastreiter
Kim Hastreiter(c) Sari Goodfriend
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Über Nacht wurde das New Yorker "Paper Magazine" vor genau einem Jahr weltbekannt dank des Hinterteils von Kim Kardashian. Ein Besuch bei Magazin-Chefin Kim Hastreiter.

Kim Hastreiter sitzt am Schreibtisch ihres kleinen, mit Büchern, buntem Krimskrams und Kunstwerken angeräumten Büros mit Blick in einen schmucklosen Hinterhof in Koreatown, ihr zu Füßen der grauhaarige Terrier Sweetie, und erinnert sich an den Tag, der ihr Leben und das ihres "Paper Magazine" durcheinander gewirbelt hat. "31 Jahre lang habe ich alle Welt dazu bringen wollen, mein Magazin zu lesen, und innerhalb einer Nacht wusste plötzlich wirklich die ganze Welt, wovon ich immer geredet hatte." Die Redaktion des "Paper Mag" sah in dieser Nacht vom 12. November 2014 so aus wie "die Bodenstation der NASA", erzählt sie. Und es war nicht so, dass das Team rund um Hastreiter sich nicht bestens vorbereitet hatte. Aber 57 Millionen Zugriffe auf ihre Webseite in weniger als 14 Tagen, das war dann doch mehr als erwartet. Die Redaktion hatte sich eigens einen neuen Server besorgt, um dem Massenansturm gewachsen zu sein, und einen ausgeklügelten Veröffentlichungsplan überlegt. Denn sie wusste: Wenn Kim Kardashian, die derzeit berühmteste Show-Person im angloamerikanischen Raum und Ehefrau von Rapper Kanye West, ihren nackten, glänzenden Derriere vor die Kamera hält, dann löst das Reaktionen aus.

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Kardashian? "No way." Kim Hastreiter ist ein ehrlicher Mensch. So verheimlicht sie nicht, dass sie die Idee, Kim Kardashian auf die Titelseite ihres Magazins zu hieven, zunächst für ausgesprochen dumm hielt. "Ich habe zuerst ,No way gesagt." Es war ihr junger Kreativdirektor Drew Eliott, der gemeinsam mit dem redaktionellen Leiter Mickey Boardman den Kardashian-Masterplan ausgetüftelt hatte. Drew Eliott, mit 32 Jahren halb so alt wie Hastreiter, begann vor einigen Jahren als Praktikant bei "Paper" und kehrte nach kurzen Ausflügen in die Agentur- und Beratungswelt mit Dutzenden Ideen für das Magazin zurück. Seine Vorstellung war, das bis dato vor allem in der New Yorker Kunstszene bekannte, unabhängige Magazin, das seit 1984 Meister im Aufspüren von Trends und spannenden Persönlichkeiten war, mit Hilfe des Internets global bekannt zu machen. Doch für die Ausgabe zum 30. Magazinjubiläum hatte Chefin Hastreiter andere Ideen, erst die Ausgabe danach sollte zur groß angelegten Konzeptkunst werden. Unter dem Titel "Break the Internet" wollte das Team lauter "Social Superstars", also Netz-Berühmtheiten skurrile Dinge tun lassen und darauf warten, dass die Fotos und Texte viral gehen. Kim Hastreiter willigte ein. Gemeinsam entschieden sie, den französischen Fotografen Jean-Paul Goude für das Fotoshooting von Kim Kardashian zu engagieren, und der schlug vor, sein Kult-Sujet des "Champagner Incident" von 1982 nachzustellen, bei dem ein Model mit einer Chamapgnerflasche in ein auf ihrem Hinterteil platziertes Glas zielt. Zum Erstaunen von Kim Hastreiter willigte Kardashian nicht nur ein, sondern gab sich auch alles andere als kompliziert und zugeknöpft. Sie erschien nur mit Make-up-Artist und ohne lästige Berater zum Shooting am Rande der Pariser Fashionweek, "war lustig, ausgeruht und kooperativ. Sie ist wirklich ein großartiges Mädchen, das glaubt mir keiner, aber es ist so".

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Schon als das Team die ersten Abzüge von Goudes Fotos sah, wusste es, diese Bilder würden das Internet (vor allem im prüden Amerika) auf den Kopf stellen. Hastreiter entschied, nur die zwei Cover-Versionen der Dezember-Ausgabe und nicht die komplette Fotostrecke zu veröffentlichen, um zu garantieren, dass bei der erwart baren Verbreitung im Netz nicht nur "Kardashians Ass", sondern auch das Logo des "Paper Magazine" um die Welt gehen würde. Hastreiter tweetete die zwei Cover mit dem Hinweis: "Attn citizens: fasten seatbelts & join us as we begin 2 #BREAKTHEINTERNET." Kardashian retweetete diese Nachricht an ihre 36 Millionen Follower "und dann ging das Ding in die Luft", so Hastreiter. Die zig Millionen Zugriffe waren das eine, die vielen Memes und scherzhaften Zitate des Kardashian-Hinterns das andere. Das Internet nimmt sich, was es bekommt, und macht etwas Neues daraus. Kim Hastreiter gefällt das.

Den Streich wiederholen. Seit dieser Nacht vor einem Jahr ist viel passiert. Das "Paper Magazine" muss nun wirklich keinem Inserenten mehr erklären, wer oder was es ist. Das Label "Break the Internet" hat es sich schützen lassen und feilt gerade an der nächsten Internet-Break-Nummer, die in wenigen Tagen und ab nun jedes Jahr im November erscheinen soll. Angeblich soll die Hip-Hop-Künstlerin Amber Rose das neue Cover zieren. Es wird spannend, ob sich der Streich aus dem Vorjahr wiederholen, das Experiment, mit einer Sache das Internet zu dominieren, steigern lässt. Bei all dem Schielen auf Rekorde ist Hastreiter aber eines besonders wichtig: Sie will den Geist ihres kleinen, unabhängigen Magazins nicht verraten und gleichzeitig klein und groß denken. Sie erklärt, wie das geht: Ihr Leben lang war sie davon beseelt, unbekannte, außergewöhnliche Künstler und Trends aufzuspüren und mit Unternehmen an ihrem Werbeauftritt zu basteln. So hat es etwa die Wodka-Marke Absolut auch ihr zu verdanken, heute weltweit bekannt zu sein. Auch wenn "Paper" pro Ausgabe nur von rund 120.000 Menschen in aller Welt gelesen wurde, begriff die Leserschaft, wer es dort hineingeschafft hatte, würde bald darauf auch von der "Vogue", "Vanity Fair" oder dem "New Yorker" gesehen werden.

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Nachfolger schon gefunden. Drew Eliott, der junge Kreativdirektor von Hastreiter, denkt ganz anders als seine Chefin. Er ist überzeugt davon, dass das Internet dank seines Demokratisierungseffekts einem kleinen Magazin wie dem ihren zu viel größerer Bekanntheit verhelfen kann. Und Hastreiter gibt zu, dass sie von den Mechanismen der Onlinewelt wenig versteht und sich von Eliott gerne an der Hand nehmen lässt. Ohne Punkt und Komma schwärmt sie von ihrem jungen Talent, das sie ebenso entdeckt habe, wie viele Regisseure (Pedro Almod var ist einer ihrer besten Freunde), Autoren und Künstler, die sie in 30 Jahren aufgespürt hat und für die sie in ihrer Dachwohnung am Washington Square Park regelmäßig Abendessen veranstaltet. "Medienunternehmen sollten nicht von Über-Sechzigjährigen geführt werden", sagt sie. "Die Kreativ- und Finanzdirektoren großer Firmen sowie großer Medienunternehmen sollten von Menschen geleitet werden, die unter 40 sind." Es macht jedenfalls den Anschein, Hastreiter hat den künftigen Herausgeber und Chef ihres Magazins in dem jungen Eliott mit den wasserstoffblonden Haaren bereits gefunden. Er sei wie sie ein "Maverick", ein Außenseiter mit Gespür.

Kim Hastreiter selbst ist eine wuchtige Erscheinung mit Mut zu Farben. Sie trägt oft weite, bunte Kleider und stets ein anderes Modell aus ihrer kirschroten Brillen-Kollektion, die verschiedene Designer für sie entworfen haben. Sie sagt gerne Sätze wie "This is sick" (und meint damit, etwas ist besonders spannend und erwähnenswert) oder "I died" oder "It killed me", wenn sie erzählt, dass ihr etwas besonders gut gefallen hat. Ihr soziales Netzwerk der Stunde sei "of course" Instagram, Facebook mittlerweile nur etwas "für ältere Leute", auch Twittern macht ihr keine rechte Freude mehr. Sie lässt sich nicht nur für Kunst, sondern seit einigen Jahren auch für gutes Essen und Spitzenrestaurants begeistern und kennt freilich die halbe amerikanische Gastronomieszene. Das Fernsehen sei ihre einzige richtige Sucht. "Ich trinke nicht, Fernsehen ist mein Alkohol." Sie schaue alles, trashige Reality Shows ebenso wie Serien auf Netflix. Und apropos Ehrlichkeit, Kim Hastreiter sagt auch, sie sei Amerikanerin durch und durch. Sie reise nur selten nach Europa, in London war sie noch nicht oft und Paris würde sie "irgendwie nicht mögen". Dabei ist sie weniger Amerikanerin, sondern in erster Linie New Yorkerin oder noch mehr: eine echte Manhattan-Bewohnerin. "I hate Brooklyn", sagt sie gern und schreibt auch Essays darüber. Sie verspüre weder Lust, in Brooklyn zu leben noch dorthin zu fahren. Der gentrifizierte Bezirk, in dem ständig ein anderes Viertel für hip erklärt wird, mit seinen absichtlich schäbigen Caf s sei für sie wie eine "College-Stadt" und ein Cartoon seiner selbst. Los Angeles hingegen sei der einzige Ort, an den sie ziehen würde. Dort würden noch genügend "Kids" leben, die mit aggressivem Ehrgeiz ihre kreativen Ideen umsetzen.

Die beste Zeit ist jetzt. Letzlich weiß sie selbst, dass nichts und niemand sie mehr aus Manhattan wegbringen wird. Hier wollte sie Ende der 1970er-Jahre Künstlerin werden. Weil sie aber besser darin war, andere zu entdecken, als sich selbst mit ihrer Malerei groß rauszubringen, bekam sie über Bill Cunningham, den heute 86-jährigen Fotografen der "New York Times", ihren ersten Job in einem Magazin. Kurz darauf, 1984, entschied sie sich schließlich, mit "Paper" ihr eigenes Ding zu starten. Mittlerweile gehört zum Verlag auch eine Werbe- und Eventagentur, mit der das eigentliche Geld hereinkommt. Mit ihren 63 Jahren hat Kim Hastreiter nicht nur viel erlebt, sondern auch den Wandel New Yorks begleitet. Umso erstaunlicher ist es, dass sie nicht mit Nostalgie oder rosaroter Brille zurückblickt. Einer ihrer Lieblings sprüche ist: "Die beste Zeit ist immer jetzt."

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