Dingwelten: „Kleine Wiener Museumsführer“

(c) Luiza Puiu
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Gut versteckte Exponate: Der „Kleine Wiener Museumsführer“ öffnet die Türen zu Spielarten der objektinduzierten Euphorie. Wir geben einen exklusiven Einblick in das neue Buch.

„Jeder kann theoretisch ein Museum eröffnen“, sagt der Journalist Thomas Trescher. Größer als eine Schuhschachtel voller Erinnerungen sollte es aber zumindest schon sein. Eine Eingangstür schadet auch nicht. Und ein paar Wände, an die man Exponate hängen kann. Doch was zum Exponat wird, kann man ganz allein entscheiden. Dazu muss man sich nicht durch etliche Studien erst zum Kurator qualifiziert haben.

Trescher selbst war in den vergangenen Jahren in einigen Museen, an denen man selbst an „Heute gehe ich ins Museum“-Tagen meist achtlos vorbeimarschiert. Auch, weil man gar nicht weiß, dass es sie gibt. Sie existieren, weil Menschen in vielen Dingen viel mehr sehen als bloß Dinge. Weil passionierte Sammler und selbst ernannte Museumsleiter euphorisiert von Objekten erzählen können, als seien sie so wichtig und essenziell für die Menschheit wie Telefon und Schiffsschraube. Oder so künstlerisch wertvoll wie die Saliera.

Und wenn schließlich die Tür aufgegangen ist, zu den begehbaren Schatzkisten, wenn man den Menschen in die Hinterzimmer, Keller und durch die Räumlichkeiten gefolgt ist, dann sieht man auch in vielen Dingen plötzlich viel mehr als nur Ziegel, Zahnarztstühle, Billardqueues, Boxhandschuhe und Kuckucksuhren.
Die Textbücher zu den ausgestellten Exponaten sind die Menschen selbst. In Wien tun sich an den unterschiedlichsten Orten Welten auf, wenn sich die Eingangstür – oft nur gegen telefonische Voranmeldung – öffnet. Für den „Kleinen Wiener Museumsführer“, erschienen im Verlag Anton Pustet, hat Trescher die Fotografin Luiza Puiu mitgenommen. Sie hat die faszinierend-skurrile Mikro- und Parallelwelten auf Speicherchip gebannt: vom Kaffeemuseum über das Boxmuseum bis zum Drogistenmuseum. Das Buch führt in die Ausstellungsräume und gibt Einblicke in die Welt jener, die sie ausstaffiert haben. Denn die Menschen hinter den Museen sind oft selbst faszinierende „Exponate“; ihre Begeisterungsfähigkeit sei ansteckend, wie Thomas Trescher sagt.

Im Museum begegnet man auch noch anderen Menschen, Enkelkindern zum Beispiel – etwa im Enkel-
kindermuseum. Ferry Ebert hat eines im 14.  Bezirk Wiens eingerichtet. Gegenstand der Daueraustellung sind nicht Enkelkinder im Allgemeinen, nein, es sind die seinen. Früher sind sie in dem Haus groß geworden, längst leben sie ihre eigenen Leben; ihre Spielsachen und die Erinnerungen sind geblieben. Andere Erinnerungen pflegt Ebert allerdings auch: jene an seine berufliche Vergangenheit als Automatenaufsteller. Früher standen Automaten mit seiner Firmensignatur auf den Gängen, Fluren, Straßen und Toiletten des ganzen Landes. Jetzt stehen sie im Automatenmuseum, in das das Enkelkindermuseum fließend übergeht: Pez-Automaten, Kaugummiautomaten, Kondomautomaten.

Museumsbesuche sind auch Zeitreisen. Und wenn man sich im Österreichischen Privatmuseum für Schreib- und Rechenmaschinen umschaut, scheint die Zeit überhaupt durcheinandergekommen zu sein: Auf den alten Exemplaren ist eine „@“-Taste zu finden, wie auf gegenwärtigen Computertastaturen. „Es war damals ein gebräuchliches kaufmännisches Zeichen“, erklärt der Museumsleiter Helmut Waldbauer im „Kleinen Wiener Museumsführer“. Im Hinterzimmer seines Geschäfts in der Laxenburger Straße in Wien Favoriten hat er 300 Maschinen aufgestellt; „Schätze“ sind es – für jene, die die Dinge wertschätzen und nicht nur bestenfalls als Vintagedekoration betrachten, sondern als Zeugen einer vergangenen technologischen Ära.

Stellagen. Bei Gerhard Zsutty hat der Autor Thomas
Trescher dagegen eine andere Leidenschaft aufgespürt: jene für Ziegel. Als Kind waren die Trümmer des Zweiten Weltkriegs Zsuttys Spielplatz, damals begann er, Ziegel zu sammeln. Heute leitet er das Ziegelmuseum in der Penzinger Straße. 200 Exemplare sind in drei Räumen auf zwei Stockwerken in den Stellagen geschlichtet, vom Mauerziegel bis zum Dachziegel, von antiken Stücken bis zu innovativen Ziegelprodukten der Gegenwart.
Dreißig kleine Museen und Sammlungen haben Thomas Trescher und Luiza Puiu abgeklappert, sind in Boxklubs gestolpert, auf Schneekugelmanufakturen gestoßen, in Privatkeller gestiegen, in denen etwa ein Transportunternehmer der Magie von Zauberkästen erlegen ist. Und sie haben Arzt und Medizinhistoriker Helmut Gröger kennengelernt: Er weiß zu erzählen, womit man in verschiedenste Körperöffnungen des Menschen hineinleuchtet – das Endoskopiemuseum zeigt die Historie des Versuchs, den Menschen von innen zu betrachten. Mehr zu lachen gibt es hingegen im Circus- und Clownmuseum in Wien, im traditionellen Vergnügungsbezirk, dem Zweiten. Lachen ist überall erlaubt, belächeln aber nicht. Denn selbst die skurrilsten Nischen und Exponate verdienen ernsthaftes Interesse.

(c) Beigestellt

Tipp

„Kleiner Wiener Museumsführer“. Von L. Puiu und T. Trescher, Verlag Anton Pustet.

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