Kiyoka Hashimoto: „In Japan ist alles viel strenger“

Freude und Schmerz. „Ich will immer besser sein“, sagt Kiyoka Hashimoto.
Freude und Schmerz. „Ich will immer besser sein“, sagt Kiyoka Hashimoto.(c) Christine Ebenthal
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Kiyoka Hashimoto ist seit Kurzem Erste Solotänzerin des Staatsballetts und spricht über ihre bevorzugten Ballettheldinnen, ihre strenge Heimat Japan und Heiraten in Weiß.

Einmal Gulnare, das nächste Mal Médora: Kiyoka Hashimoto hat für Manuel Legris’ Ballett „Le Corsaire“ zwei Rollen einstudiert und getanzt. Die Ernennung zur Ersten Solotänzerin war der Lohn. Hashimoto, seit 2008 Mitglied des Wiener Staatsballetts, kann sich nicht mehr verstecken. Seit Legris die Scheinwerfer auf die Künstlerin gerichtet und sie zur Ersten Solotänzerin ernannt hat, muss sie die anerzogene Bescheidenheit überwinden. Sie steht im Licht. Die Belohnung hat sie sich redlich erworben. Für Legris’ erste eigene Choreografie des mehr als 150 Jahre alten Handlungsballetts „Le Corsaire“ durfte – oder musste – sie die beiden Hauptrollen, Médora und Gulnare, einstudieren und abwechselnd tanzen. „Das war anfangs verwirrend“, erinnert sich Hashimoto.

Vor der Bühnenprobe bin ich im Gang gestanden und habe mich gefragt: ‚Wer bin ich heute?‘ Die Kostüme für beide Rollen sind nämlich auch sehr ähnlich.“ Nach ihrem Debüt als Gulnare, eine Frauenfigur, die ihr in Vorsicht und Zurückhaltung ähnlich ist, debütierte Hashimoto auch als Médora, die kampfbereite Geliebte des Korsaren. „Die tanze ich schon lieber als die etwas inaktive Gulnare. Médora ist nicht nur eine technische Herausforderung, sie gibt auch darstellerisch mehr Möglichkeiten.“

Freundliches Europa. Immerhin greift die als Sklavin vom türkischen Pascha gekaufte und von Konrad, dem Korsaren, geraubte Médora beherzt zum Messer und rammt es dem rebellischen Piraten Barbanto in den Arm. Bei der Nurejew-Gala wird sie im Juni, sanft und lieblich, eine Variation der Gulnare tanzen. So zurückhaltend Hashimoto, in Hyõgo auf der Insel Honshū geboren und aufgewachsen, als Clara in Rudolf Nurejews „Nussknacker“ oder als Lise in Frederick Ashtons Ballett „La fille mal gardée“ ist, von den Feen, Sylphiden und Schwänen (einschließlich der Prinzessin Odette/Odile), die sie getanzt hat, ganz zu schweigen, so wild und furchtlos schlägt ihr Herz. „Ich mag starke Frauen, die sich etwas trauen. Mir gefällt es, wenn ich spielen kann. In Japan werden die Frauen ganz anders erzogen als hier in Europa.“ So begeisterte Hashimotos Verkörperung der beherzten Médora auch den Chef. Nachdem der Vorhang gefallen war, ließ er die Compagnie nicht sofort unter die Dusche eilen: „Stopp! Ich habe eine Überraschung.“ Überraschende Ernennungen sind des Ballettchefs Spezialität. Auch Hashimoto hatte „keine Ahnung“ und nahm den Applaus der Kollegen und Kolleginnen sprachlos entgegen. Noch lang danach, als sie vor dem Bühnenausgang von den Fans um ein Autogramm bestürmt wurde, glänzten ihre großen dunklen Augen tränenfeucht. Das zarte Madonnen-Gesicht jedoch strahlte wie die Sonne, die Hashimoto mit dem „lockeren und fröhlichen“ europäischen Leben assoziiert.

„In Japan ist alles viel strenger. Ich liebe Europa und wenn ich jetzt in Japan bin, kommen mir die Menschen ganz komisch vor.“ Immerhin hat sie gut die Hälfte ihres Lebens fern der Heimat, in Frankreich, Deutschland, Österreich, verbracht. Erst einmal waren ihre Eltern in Wien. „Die Entfernung ist groß und in Japan hat man ja kaum Urlaub. Immer nur arbeiten, ist das Motto.“ Der Anfang ihrer Karriere im Cannes Jeune Ballet war schwierig: „Ich bin 2001 aus Japan weggegangen. Ich habe keine Geschwister, das einzige Kind loszulassen, ist meinen Eltern nicht leichtgefallen. Mir auch nicht, ich war so weit weg von zu Hause, und es gab noch kein Mobiltelefon, das Festnetz war teuer. Jetzt ist alles leichter, wir treffen uns über Skype.“ Im kommenden Sommer, wenn die Wunden verarztet und die Schmerzen – „Sie sind immer da, es gibt niemanden, dem nichts wehtut“ – gestillt sind, wird sie mit ihrem Mann einen Monat „zu Hause“ verbringen. Auch Hashimotos Ehemann tanzt beim Wiener Staatsballett: Masayu Kimoto ist Solotänzer. Stört es ihn, einen japanischen Mann, der als kraftvoller Tänzer an einen Samurai erinnert, dass sie in der Balletthierarchie über ihm steht? „Nein, gar nicht, er ist ja auch zwei Jahre jünger als ich“, sagt sie. Obwohl auch er aus Hyõgo stammt, haben die beiden einander erst in Europa kennengelernt. „Zwei Jahre nach mir hat auch Masayu in Cannes zu studieren begonnen. Wir haben uns gegrüßt, aber nicht näher beachtet. Ich bin dann 2004 nach Dresden an die Semperoper engagiert worden. Zwei Jahre später ist er auch gekommen.“ Da hat es gefunkt.

Brautkleid und Kimono. Zum Vortanzen 2008 in Wien meldeten sie sich gemeinsam an und wurden beide engagiert. 2012 wurde in Japan geheiratet, im langen weißen Brautkleid. „Das muss in Japan sein, alle wollen weiß heiraten. Für ein Foto haben wir das traditionelle Kostüm angezogen. Aber das ist unbequem, der Kimono ist sehr schwer und ich kann ihn allein nicht binden.“ Er hängt bei den Eltern im Kasten. In der Wiener Wohnung verlangt ein vierbeiniger Mitbewohner die Aufmerksamkeit des Paares: Kater Leo. Viel Zeit zum Spielen hat Hashimoto nicht. In der ersten Vorstellung der Wiederaufnahme des Publikumsrenners „Don Quixote“, von Rudolf Nurejew für Wien eingerichtet, tanzt sie die energische Kitri, „die weiß, was sie will“, so Hashimoto. In den Folgevorstellungen ist sie der pfiffige Amor im Traum des Ritters aus der Mancha. „Nurejew zu tanzen ist immer sehr schwer, er will, dass man dauernd in Bewegung ist.“ In die Freude, die höchste Stufe der Wiener Balletthierarchie erreicht zu haben, mischt sich auch Beklommenheit: „In meinem Kopf dreht es sich noch, ich will ja immer besser sein, aber dieser Titel verlangt noch mehr Verantwortung und harte Arbeit. Perfekt ist man ja nie.“ Da hilft Legris als Ballettmeister. Je mehr er von einer Tänzerin hält, desto mehr fordert er, desto strenger ist er bei den Proben. Am Ende, wenn die Balance gelungen ist, gibt es jedoch ein „Très bien, very good, bravo, Kiyoka!“

Tipp

Kiyoka Hashimoto tanzt in „Don Quixote“ die Kitri (mit Davide Dato als Friseur Basile und Ryan Booth als Don Quixote). Choreografie: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa, 26. 5., Staatsoper. Nurejew-Gala, 26. 6. Staatsoper. Patrick de Bana: „Marie Antoinette“, 21., 27. 6.

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