ImPulsTanz: Alles beim Alten

Getanzte Lyrik. ­De Keersmaeker choreografiert Rilke.
Getanzte Lyrik. ­De Keersmaeker choreografiert Rilke.(c) Anne Van Aerschot
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Die Publikumslieblinge sind zurück: Das ImPulsTanz-Festival wird 2016 wieder international.

Das Sparschwein ist wieder geöffnet. Nach einem intensiv von österreichischen oder in Österreich lebenden Künstlerinnen getragenen Festival, das einen tiefen Blick auf die großartige heimische Tanz- und Performanceszene gewährt hat, ist alles wieder, wie es immer war: ImPulsTanz ist ein internationales und international beachtetes Festival. Nach der Pause 2015 werden die keineswegs gerosteten alten Lieben 2016 wieder ihr Publikum begeistern: Wim Vandekeybus mit der Company Ultima Vez, Die Need Company unter Jan Lauwers oder die fantastische Marie Chouinard – auch mit 60 denkt sie vor allem an Sex – aus Kanada.

Die Treuekrone aber gebührt Anne Teresa De Keersmaeker, sie darf schon wieder feiern und auch gefeiert werden. Ihr neues Stück ist nicht nur ein Stück getanzte Literatur, sondern auch die 30. Produktion, die sie mit ihrer Compagnie Rosas im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals zeigt. Im Vorjahr hat sie endlich das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erhalten (Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres ist sie schon lang), und die meist wortkarge Tänzerin/Choreografin hat sich mit einer langen warmherzigen Rede bedankt. Auch mit einem Geschenk: Die Festgäste durften den damals neuen Pas de deux „Verklärte Nacht“ zur Musik von Arnold Schönberg sehen. Heuer können die Choreografie alle sehen (Volkstheater: 24. 7., 26. 7.).

Im Strudel. Meditatives von Ushio Amagatsu.
Im Strudel. Meditatives von Ushio Amagatsu.(c) Sankai Juku

De Keersmaeker liebt die „Verklärte Nacht“ seit Langem. Bereits vor 20 Jahren hat sie die Orchesterfassung choreografiert. Damals gingen nicht nur „zwei Menschen durch kahlen, kalten Hain“. Es tanzte eine Männergruppe im mondbeschienenen Hain, eine Frau irrte umher und fand am Ende den (hoffentlich) Richtigen. In der Überarbeitung ist nun ein Duett entstanden, das sich ganz an die Musik und an die außergewöhnliche von Richard Dehmel in Verse gesetzte Geschichte hält: Mann und Frau spazieren durch die Mondnacht, sie gesteht ihm, dass sie von einem anderen schwanger ist, und er reagiert gegen den Strich: „Du wirst es mir, von mir gebären.“ Nun ist der Hain nicht mehr kalt, „zwei Menschen geh’n durch hohe, helle Nacht“. Schön! Echt! Besonders, wenn dieser Fluss von Crescendo und Diminuendo (Pierre Boulez dirigiert die New Yorker Philharmoniker), dieser Emotionsstrom durch Samantha van Wissen und Boštjan Antončič in Bewegung gesetzt wird.

Rilke, gesprochen und getanzt. Aber die De Keersmaeker kann es noch romantischer: „Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten.“ Genau: Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. Wer hat bei dieser Lektüre nicht geweint? Anne Teresa De Keersmaeker sicher auch, als Teenager. Jetzt ist sie Mitte 50 und sieht Rilkes wie im Fiebertraum in einer Nacht niedergeschriebene Erzählung als Basis für ihre Wissbegier: Wie entsteht Bewegung aus Atmen, Sprechen, Singen? Die Grenzbereiche gilt es zu erkunden: zwischen Mann und Frau, zwischen Lyrik und Prosa. De Keersmaeker, die, wenn sie Lust hat, sehr gut Deutsch spricht, rezitiert den gesamten Text. Die Tänzerin spricht, die Sprecherin tanzt, der Tänzer (Michaël Pomero) tanzt mit, die Musikerin (Chryssi Dimitriou) spielt aus dem Flötenwerk von Salvatore Sciarrino. Der italienische Komponist ist kein Unbekannter in Wien. Bei den Festwochen 2015 war seine Oper „Luci mie traditrici“ zu hören und, von Achim Freyer inszeniert, auch zu sehen. (Odeon: 15., 17., 18. 7.)

Leise Liebe. Vandekeybus‘ „Speak low if you speak love“.
Leise Liebe. Vandekeybus‘ „Speak low if you speak love“.(c) Danny Willems

Genug geschwärmt. Es kommt auch härter. Zum Beispiel mit Wim Vandekeybus, ebenso wie De Keersmaeker und Jan Lauwers ein Flame, das könnte nahezu ein Schwerpunkt sein: flandrischer Tanz. Er bekommt die Treueprämie für 20 Stücke und wird langsam etwas ruhiger. Schließlich erzählt er mit seiner Company Ultima Vez von der Liebe und da ist Vorsicht angebracht, also „Speak low if you speak love“. Laut gesungen und musiziert darf aber schon werden. Die Liebe lässt himmelhoch jauchzen und zu Tode betrübt sein, sie ist erhaben und auch verflucht. In Zusammenarbeit mit dem Musiker Mauro Pawlowski baut Vandekeybus diese irre Welt der Liebe auf. (Volkstheater: 2., 4. 8.) Überdies lässt Vandekeybus ein Stück wiederaufleben, das 1999 schon für Aufsehen beim ImPulsTanz-Festival gesorgt hat: „In Spite of Wishing and Wanting/Trotz allem Wünschen und Wollen“. Ein reines Männerstück, eine Symbiose von Tanz, Theater, Musik und Film, poetisch, dynamisch, wild und auch verspielt, wie Männer eben sind. Ein Meilenstein in Vandekeybus’ reichem Schaffen (Volkstheater: 16., 18. 7.).

Totes Pferd. Der Dritte im flandrischen Team ist Jan Lauwers. „The blind poet“, Lauwers jüngste Arbeit, zitiert den blinden syrischen Freidenker und Poeten Abu l-’Ala al-Ma’arri (973–1057) und die andalusische Dichterin und Feministin Wallada bint al-Mustakfi (1001–1091). Ausgangspunkt sind, wie fast immer bei Lauwers, die Biografien der Compagnie-Mitglieder, die unterschiedlicher Nationalität, Kultur und Sprache sind, dann blickt die Needcompany tausend Jahre zurück, um über all diese Begriffe nachzudenken. Eine multimediale Show mit Musik und Tanz und einem toten Pferd (Volkstheater: 13. 8.).

Marie Chouinard hat sich diesmal nicht von der Literatur oder der Philosophie, sondern von der Malerei inspirieren lassen. Hieronymus Bosch wird gefeiert: Vor 500 Jahren, im August 1516, ist der Maler gestorben. Nicht nur die kanadische Tänzerin/Choreografin ist von seinen Bildern fasziniert. Sie geht von der in Venedig gezeigten Tafel „Das Paradies und die Himmelfahrt der Erwählten“ aus und setzt Boschs Phantasmagorien in verlockende bewegte Bilder, sinnlich, schockierend, schön und nicht ohne Humor (Volkstheater: 8., 10. 8.).

„The blind poet“. Von Jan Lauwers Needcompany.
„The blind poet“. Von Jan Lauwers Needcompany.(c) Bea Borgers

Eine Wiederbegegnung beschert meditativen Seelen auch der Butoh-Tänzer und Choreograf Ushio Amagatsu mit seiner Company Sankai Juku. 2002 war er zum letzten Mal beim ImPulsTanz und verzauberte mit der Performance „Kagemie“, einem Tanz „jenseits der Metaphern des Spiegels“ rund um ein großes Wasserbecken. Auch heuer denkt Ushio an Wasser: „MEGURI – Teeming Sea, Tranquil Land“, mit einem chinesischen Zeichen geschrieben, bedeutet so viel wie Strudel, Zyklus, Rotation. Die acht kahlköpfigen Tänzer, Wesen aus einer anderen Welt, tanzen auf sandigem Boden. Inmitten der Staubwirbel erzählen sie in graziösen Bewegungen vom Wechsel der Jahreszeiten, von Ebbe und Flut und dem Lauf der Welt (Volkstheater: 29., 31. 7.).

So weit, so verlockend und noch nicht vollständig. Geplant sind überdies mehr als 200 Workshops, ­nächtliche Vorführungen der experimentellen Serie [8:tension] und das einladende gesellschaftliche Pro­gramm mit Partys und Konzerten.

Tipp

ImPulsTanz-Festival 2016: 14. Juli bis 14. August, verschiedene Spielorte. www.impulstanz.com

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