Steirischer Herbst: Überzeugendes Auftreten

Aufgetanzt. Das Künstlerhaus Graz zeigt Arbeiten von Renate Bertlmann.
Aufgetanzt. Das Künstlerhaus Graz zeigt Arbeiten von Renate Bertlmann.(c) Courtesy Renate Bertlmann
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Zwei Ausstellungen widmen sich während des Steirischen Herbsts der Performancekunst. Sie thematisieren genre-immanente Aspekte und inhärentes politisches Engagement.

Für seine stets am Puls der Zeit agierenden Kulturproduktionen ist der Steirische Herbst bekannt. Heuer läuft das Festeival unter dem Motto „Wir schaffen das. Über die Verschiebung kultureller Kartografien“. Europas Verhältnis zum Rest der Welt stehe wieder einmal auf dem Prüfstand, schreibt Intendantin Veronica Kaup-Hasler in ihrem Vorwort zum Programm. Wird Europa zusammenbrechen, wäre das vielleicht eine Chance? Oder verliert es nur an Bedeutung gegenüber anderen aufstrebenden Großmächten, vor allem im Fernen Osten? Was kann die Kultur hier bewirken? Sie hat fürs Erste Kunst und Performance, Zeigen und Spielen fusioniert. Performance erfreut sich schon seit einiger Zeit regen Interesses. Performance-Management, Businessperformance, High Performance, Breitband-Internet. War da noch etwas? Ach ja. Performance-Kunst. Die Schlagworte der Wirtschaft haben zwar nicht unmittelbar etwas mit Kunst zu tun, aber die Häufigkeit, mit der der Begriff Performance vorkommt, spricht Bände über ein allgemeines Selbstverständnis. Es geht im (westlichen) Arbeitsleben zunehmend um die Selbstvermarktung und überzeugendes Auftreten. Kurz: um die gelungene Darbietung der Ich-AG. Dieser Umstand kann durchaus als einer der Gründe gesehen werden, warum Performance-Kunst en vogue ist. Kunst greift ja stets gesellschaftliche Tendenzen auf, um diese zu verarbeiten, zu kritisieren oder zu konterkarieren.

Unwiederholbares Erlebnis. Eine weitere Ursache mögen die Digitalisierung und Zerfranstheit aller Lebensbereiche sein, aus denen eine Sehnsucht nach dem unmittelbaren, kompakten Live-Erlebnis erwächst. Einzigartig, konkret, unwiederholbar. Einzigartig. Unwiederholbar? In den Sechzigerjahren traten Performancekünstler oft mit genau diesem Anspruch an, um sich sowohl gegen „leblose“ bildende Kunst als auch das Repräsentationstheater der großen Bühnen zu stellen.
Wie diese Kunst doch wiederholbar sein kann, wie sie dokumentiert wird, sich in die Kunstgeschichte einschreibt, nachwirkt und sich aktualisiert, fragt die Ausstellung „Yes, but is it performable? – Untersuchungen des performativen Paradoxes“ im Grazer Künstlerhaus. Das ungewöhnliche Konzept sieht eine Entwicklung der Ausstellung über vier Wochen hinweg vor. An vier Terminen gibt es jeweils Live-Performances von Künstlerinnen zu sehen, deren Requisiten dann im Raum verbleiben. Dazwischen werden Videos, Skripten, Fotos und Objekte historischer Performances stetig hinzugefügt, bis die Ausstellung abgeschlossen ist und noch rund einen Monat lang in „fertigem Zustand“ besichtigt werden kann.

„Man kann es als Gegenüberstellung und Ausstellung von Überbleibseln beschreiben“, sagt Kurator Christian Egger dazu. Eine Kunstschau, die quasi selbst zur Performance wird, so wie die vertretenen Künstlerinnen ebenfalls die Grenzen zwischen dem, was Werk, Person und Darstellung ist, verschwimmen lassen. VALIE EXPORT, die 1967 ihren bürgerlichen Namen ablegte, da sie weder wie ihr Exmann noch wie ihr Vater heißen wollte, setzt mit der Umbenennung und dem Gebot, ihren Namen stets in Versalien zu schreiben, einen starken Schritt, der umreißt, worum es Performance damals vielfach ging: den Körper als Träger gesellschaftlicher Zwänge und die Frage danach, was eine künstlerische Geste ist. Von VALIE EXPORT ist in Graz ein Konzeptblatt zu „I AM BEATEN“ zu sehen, eine sogenannte Körperintervention von 1973.

Live-Performances. Renate Bertlmann, ebenfalls für ihren feministischen Werkkomplex bekannt, ist mit Videodokumentationen ihrer Performances vertreten. Von der Arbeit „12 Days“ des britischen Künstlers Stuart Brisley, der aus Stäben eine Art Gefängnis für sich selbst baute, wird die Fotodokumentation zu sehen sein. Erstmals wird dazu auch ein Buch ausgestellt, in das Schüler ihre Eindrücke zu Brisleys Performance aufschreiben. „Wir wollen unterschiedliche Phasen der Entwicklung von Performance zeigen, aber auch Feeback, um zu schauen, an welchen Punkten was stattfindet. Inwieweit wirkt Dokumentation von Performance auf uns heute? Ist ein schwarz-weißes und gerahmtes Foto immer historisch? Was war die Ursprungsintention damals? Und wie verhält es sich zu seiner Präsentation heute?“, umreißt Christian Egger die zentralen Fragen, denen die Schau nachgeht.

Die Live-Performances an vier Terminen wurden eigens für dieses Experiment konzipiert und erfahren durch die Anwesenheit von Publikum und dem sich jeweils ändernden Setting durch stetig hinzukommende Artefakte eine neue, ebenfalls unwiederholbare Situation. „Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich, während ich performe, einen Spiegel von Joan Jonas’ ‚Mirror Performance‘ von 1969 im Hintergrund habe oder nicht. Ich trete, ob ich will oder nicht, in einVerhältnis damit“, erklärt Christian Egger. Die in Wien lebende Künstlerin Sarah Mendelsohn und Fred Schmidt-Arenales starten am 24. September mit der Eröffnungsperformance, an den weiteren Terminen sind Karl Karner & Linda Samaraweerová, Nezaket Ekici und abschließend Marie Karlberg live zu erleben.

Reisende ohne Gepäck. Für das Kunsthaus Graz hat die aus Indien stammende Kuratorin Zasha Cerizza Colah mit „Body Luggage – Migration von Gesten“ eine Ausstellung mit internationalen Künstlern konzipiert, die sich der Migration von Körpersprache und kulturellen Zeichen widmet.

Diese sind für viele das einzige „Gepäck“, das in die neue Heimat mitgenommen werden kann. Individuelle Biografie, Herkunft, Fluchterfahrung – all das schreibt sich in den Körper ein, der so zum Träger von Bedeutungen wird. In ganz alltäglichen Performances werden diese dann sichtbar. So etwa bei Sawangwongse Yawnghwe. Der Enkel des ersten Präsidenten der Union von Burma weist mit seinem Werk auf die Verfolgung ethnischer Minderheiten in seiner Heimat Burma hin. Heute lebt der 45-jährige Künstler, dessen Familie über Thailand nach Kanada floh, meist in Europa.

Tipp

Steirischer Herbst. Das Festival läuft bis 16. 10., www.steirischerherbst.at„Yes, but is it performable?“ im Grazer Künstlerhaus, Halle für Kunst und Medien, bis 20. 11. www.km-k.at„Body Luggage“ im Kunsthaus Graz, bis 8. 1. 2017, www.museum-joanneum.at

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