Christa Steinle: „Die Kunst kann Lösungen anbieten“

"Viva Arte Viva". Gegen die "Aggressionen in der Politik", sagt Christa Steinle.
"Viva Arte Viva". Gegen die "Aggressionen in der Politik", sagt Christa Steinle.(c) Ulrike Rauch
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Christa Steinle ist Kommissärin des österreichischen Pavillons auf der Kunstbiennale in Venedig 2017 – ein Gespräch zur Einstimmung.

Mit Jahresende hört Christa Steinle auf, an der Neuen Galerie in Graz zu arbeiten. Die Kunsthistorikerin und Kommissärin für den Österreich-Pavillon auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig ist eine Institution. Über die stürmischen Zeiten am Joanneum mit den Streitigkeiten zwischen Museumschef Peter Pakesch und dem Künstler Peter Weibel, von denen auch Steinle betroffen war, will sie lieber nicht mehr sprechen: „Ich hege keinen Groll. Bis auf diese Affäre bin ich friktionsfrei durchs Leben gekommen.“ Steinle schwärmt von den Biennale-Künstlern Erwin Wurm und Brigitte Kowanz, die den Skulpturenbegriff weiterentwickelt haben. Und sie blickt zurück: Mit zehn war sie das erste Mal in Ephesos und wollte Archäologin werden.

Sie haben an der Neuen Galerie turbulente Zeiten erlebt durch die Kräche zwischen dem ehemaligen Chefkurator Peter Weibel und dem früheren Joanneum-Intendanten Peter Pakesch.
Es ist nicht notwendig, diese Geschichte noch einmal zu besprechen. Ich höre Ende des Jahres hier auf – und bin mit der Biennale ausgelastet. Ich hege keinen Groll.
Peter Weibel war ein wichtiger Arbeitspartner für Sie.
Ja, er und Wilfried Skreiner. Mit Weibel arbeitete ich von 1991 bis 2011 zusammen. Wilfried Skreiner, der Jurist, Kunsthistoriker und Leiter der Neuen Galerie war, verdanke ich meine kunsthistorische Sozialisierung an der Universität Graz; ich war seine erste Dissertantin. Er hat mich an die Neue Galerie geholt.


War es von Anfang an klar, dass Sie sich der Kunst zuwenden? Hatten Sie einen guten Kunstunterricht im Gymnasium?
Ja, einen sehr guten. Ich war am Gymnasium bei den Ursulinen in Graz. Ich habe in Kunst maturiert und dachte daran, an die Akademie nach Wien zu gehen. Ich bin kunstfixiert, aber nicht nur auf bildende Kunst, ich gehe auch gern ins Theater, in die Oper.


Kommen Sie aus einer künstlerischen Familie?
Mein Vater hat Philosophie studiert, hat dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg den Spielwarengroßhandel meines Großvaters übernommen. Er hat meine Kunstambitionen unterstützt. Ich bin durch das Elternhaus zur Kunst hingeführt worden. Ich war schon als Zehnjährige mit meinen drei Geschwistern in Ephesos. Wir haben da campiert. Ich dachte, ich würde Archäologin werden. Aber auch das Zeichnen hat mir viel Freude gemacht.


Die Biennale-Leiterin Christine Macel, Französin, Chefkuratorin am Centre Pompidou in Paris, hat für die von ihr kuratierte Ausstellung in Venedig das Motto „Viva Arte Viva“ gewählt. Was kann Kunst überhaupt politisch bewirken?
Das Motto bedeutet, dass es Vertrauen in die Kunst gibt, dass sie zum Krisenmanagement imstande ist. In der Politik, in der Ökonomie, in der Religion, auch im Sport gibt es sehr starke Aggressionen und Emotionen. Die Kunst kann in Zeiten großer Konflikte Lösungen anbieten. Davon bin ich überzeugt.


Bildende Kunst hat in den vergangenen Jahrzehnten im Musik- und Theaterland Österreich stark aufgeholt.
Wenn man auf Österreich schaut, denkt man zuerst an Musik, Theater, Literatur – an Elfriede Jelinek zum Beispiel. Wir haben in der Vergangenheit nicht diese großen Künstler zu bieten wie die Italiener, Engländer oder die Franzosen, sieht man von Wien um 1900 ab. Aber in den vergangenen 20 Jahren spielte die bildende Kunst eine bedeutende Rolle. Und das liegt auch an Brigitte Kowanz und Erwin Wurm, die zu internationalen Entwicklungen in der Skulptur wichtige Beiträge geliefert haben, die weltweit wirksam sind. Erwin Wurm und Brigitte Kowanz haben den Skulpturenbegriff erweitert. Das Licht ist ein universales Medium in der Malerei. Lichtkunst ist heute eine eigene Kunstgattung. Kowanz hat sie von der Malerei weiter in den Raum entwickelt – als Fortsetzung von van Gogh, der sagte: „Farbe ist Licht“, und László Moholy-Nagy, der erklärte: „Licht ­ist Farbe“. Kowanz’ Arbeiten sind auch textbasiert. In der Tradition der Wiener Gruppe untersucht sie die Sprache als Medium.


Stimmt der Eindruck, dass die Biennale vor allem eine Bühne für etablierte Künstler wie eben Wurm oder Kowanz ist?
Ja, so ist es. Peter Weibel ist da ausgebrochen, außer ihm haben immer alle Kommissäre berühmte Künstler ausgewählt. Weibel hat auch junge Medienkunst gezeigt wie Constanze Ruhm, Peter Sandbichler oder Rainer Ganahl. Er war auch der Erste, der nicht österreichische Künstler vorgestellt hat, wie Andrea Fraser oder Christian Philipp Müller. Die Aufregung war groß.


Zu Recht, was meinen Sie?
Damals in den 1990er-Jahren war ich mit Peter Weibel einverstanden. Aber mittlerweile denke ich: Die Biennale ist nicht die Documenta. Da doch die ganze Welt, nicht nur ökonomisch, in einem Wettbewerb steht, sollte Österreich sich nicht ausschließen, schon gar nicht, wenn man so großartige Künstler wie Brigitte Kowanz und Erwin Wurm hat.


Was bedeutet es finanziell, Biennale-Künstler zu sein? Ist das ein Schub für den Preis?
Das könnte ich mir vorstellen.


Erwin Wurm ist ein Vermarktungsgenie und hat einen guten Humor. Die meisten glauben mittlerweile, jedes kleine Haus, das irgendwo herumsteht oder schwebt, sei von ihm.
Humor ist aber sicher nur ein Aspekt seines Werks. Seine Kunst ist sublim, philosophisch und sehr reflektiert. Erwin Wurm erwischt den Nerv der Zeit, man lacht, aber das ist nicht das Primäre. In seinen Werken steckt immer auch Sozialkritik, die riesige Polizeikappe zum Beispiel, die auf seinen Vater verweist, der Kriminalbeamter war. Da geht es auch darum: Wie gehen wir mit Unterdrückung, Überwachung und Autorität um?
Nur wenige kommen in den Kanon. Viele werden vergessen.
Biennale-Leiterin Christine Macel will dem gegensteuern. Sie will auch vergessene Künstler präsentieren, nicht nur marktorientierte. Sie ist viel gereist, in die Ostländer und nach Asien. Erwin Wurm und Brigitte Kowanz ist es gelungen, mit Intellekt und Talent eine Position zu erreichen. Wenn man die Gabe nicht hat, sich zu extrovertieren, ist es schwieriger. Aber das ist nicht jedermanns Sache, und es kann auch nicht jeder.


Können Sie verraten, was in Venedig zu sehen sein wird?
Viel darf ich nicht sagen. Es wird einen Lightspace, eine große Lichtinstallation und Außenskulpturen von Brigitte Kowanz geben – und von Erwin Wurm eine Außen- und eine Innenskulptur.

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