Baur/Link: „Ludwig II. kam sich nicht verrückt vor“

Ichs ausleuchten. Videokünstler Jonas Link (links) und Bühnenbildner Peter Baur im Arsenal.
Ichs ausleuchten. Videokünstler Jonas Link (links) und Bühnenbildner Peter Baur im Arsenal.(c) Christine Pichler
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Bühnenbildner Peter Baur und Videokünstler Jonas Link über Ludwig II., Visconti und darüber, warum Authentizität
nicht ganz so wichtig ist.

Den „kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry hat Bühnenbildner Peter Baur als Kind am liebsten gelesen. Nun erschaffen Baur und der Videokünstler Jonas Link einen ewigen großen Prinzen neu: Ludwig II. Mit Regisseur Bastian Kraft bringen die beiden im Akademietheater Viscontis Filmklassiker von 1972 heraus. Neuschöpfung statt Kopie ist angesagt und kein Kinofilm, obwohl viel Videotechnik im Spiel ist. Zu sehen ist unter anderem, wie Menschen von Bildern verschlungen werden: „Ludwig war schon zu Lebzeiten stark durch sein eigenes Bild definiert“, sagt Baur. Das gilt auch für Popstars wie Lady Gaga oder Michael Jackson.

Ist Ludwig II. ein Mensch von heute?
Peter Baur: In seinem Hedonismus ist er heutig – er glaubt, er habe ein Anrecht auf Selbstverwirklichung.
Und haben wir das?
Jonas Link: Man hat eine Verantwortung gegenüber der Welt, die den Hedonismus begrenzt, das ist auch bei Ludwig so. Sein Bruder Otto kommt und sagt, es ist Krieg, du musst jetzt etwas tun. Auf der anderen Seite hat man das Recht und die Pflicht, darauf zu achten, dass es einem auch selbst gut geht. Zwischen diesen beiden Polen bewegt man sich.


Schüchtert einen so eine Vorlage wie ein Visconti-Film nicht ein?
Link: Man will den Film ja nicht kopieren. Wir entwerfen eine eigene visuelle Umsetzung für die Bühne. Den Rahmen gibt die Fassung und Setzung von Regisseur Bastian Kraft. Darin bewegen wir uns.


Haben Sie den Film gesehen?
Baur: Ich hab den Film vor sechs Jahren gesehen, in der Vorbereitung der Theaterfassung von Oscar Wildes „Dorian Gray“, Dorian Gray und Ludwig sind Seelenverwandte. Der Ludwig-Film dauert übrigens ursprünglich vier Stunden. Visconti nimmt sich viel Zeit, um diese Welt, in der Ludwig lebte, auszumalen. Ein unglaublicher Reichtum.
Link: Der Film hat eine große Poesie. In der Langsamkeit liegt eine totale Kraft. Nach zwei Minuten macht man sich keine Gedanken mehr, mit welcher Technik die Bilder entstanden sind. Man ist sehr schnell gefangen von der Ästhetik.
Baur: Es gibt Bilder im Film, die ganz weit weg vom realistischen Ambiente komponiert sind. Dabei spielt das Licht eine besondere Rolle. Man sieht, wie Ludwig mit Zahnschmerzen im Bett liegt, aber zu sehen sind ausschließlich sein Auge und sein Mund. Der Rest versinkt in einer Schattenwelt.


Wie ist Ihr Stück gebaut?
Baur: Markus Meyer, der Dorian Gray spielte, verkörpert Ludwig und alle anderen Figuren, außer Kaiserin Elisabeth, die von Regina Fritsch gespielt wird, und Richard Wagner, ihn spielt Johann Adam Oest. Markus begegnet sich in 13 unterschiedlichen Rollen – und eben als Ludwig.
Link: Wir drehen vorab alle Szenen, in denen Markus nicht Ludwig spielt, in unserem Filmset, das wir hier auf der Probebühne aufgebaut haben. Markus kann sich dann später auf der Bühne sozusagen selbst begegnen und mit sich – in einer anderen Rolle – in Dialog treten.


Das klingt nach Schizophrenie.
Link: Ein bisschen. Wir zeigen Ludwig in allen Facetten, und er spaltet und splittert sich immer weiter auf.
Baur: Was am Schluss als Krankheit beschrieben wird – die Paranoia, Sprechen mit imaginären Personen, Wahn –, das ist bei uns schon von Anfang an vorhanden. Das hat auch damit zu tun, dass Ludwig eine Figur ist, die schon zu Lebzeiten stark durch ihr eigenes Bild definiert ist.


Wie viele Popstars, Lady Gaga etwa, die zuletzt mit „Joanne“ einen Fluchtversuch aus ihrem Bild unternommen hat.
Baur: Ja, oder Michael Jackson. Aber das Phänomen trifft nicht nur Ludwig. Auch Wagner und Kaiserin Elisabeth sind von ihrem Bild bestimmt und ebenso ihre Darsteller, Helmut Berger, Trevor Howard, Romy Schneider – sogar Visconti selbst.


Was sagen Sie Leuten, die fragen: Wer braucht Videos im Theater?
Link: Die Frage ist total berechtigt, wenn Videotechnik nur plakativ eingesetzt wird. Sie hat nur Sinn, wenn sie wie bei uns von Anfang an Teil des Konzepts ist.


Ist die Technik anfällig für Pannen?
Link: Wenn der Medienserver, der die Videos abspielt, nicht funktioniert, kann die Vorstellung nicht stattfinden.
Baur: Andererseits können auch Schauspieler krank werden. Einen fehler­­freien Mechanismus gibt es nicht. Wenn man das Technikfass aufmacht, weiß man, die Vorbereitung kann Nerven kosten.


Was ist der Unterschied zwischen Kino im Theater – und Kino?
Baur: Ich habe nicht die Sehnsucht, im Theater etwas zu produzieren, was authentisch ist. Das kriegen wir nicht hin. Wir haben andere Möglichkeiten. Im Theater gibt es eine Intimität, wir konzentrieren das Geschehen und switchen zwischen Realität und verschiedenen Projektionsebenen.


Sie sind absichtlich zum Theater gegangen, nicht zum Film?
Link: Ja. Ich bin total glücklich im Theater. Die Wege sind kürzer, der Freiraum ist größer, der Apparat kleiner. Und: Die Theatervorstellung steht einmal auf der Bühne und ­­muss nicht wie ein Film hundert Jahre lang halten. Es gibt diesen Live-Moment, die Vergänglichkeit und das Bekenntnis zur Vergänglichkeit.


Wenn Sie wie Ludwig etwas Verrücktes machen würden, was wäre das?
Baur: Einfach mal durchfeiern. Es kommt selten vor, dass ich mir erlaube, am nächsten Tag hinüber zu sein. Ich habe, wenn ich mit Freunden unterwegs bin, häufig eine Gewissensbremse und denke, ich müsste nach Hause, damit ich morgens fit bin. Ich möchte einfach sagen: Ich gehe jetzt aus – und es ist mir egal, wann und ob ich nach Hause komme.
Link: Ludwig selbst kam sein Handeln ja gar nicht verrückt vor. Vermutlich ist das, was wir hier machen, von außen betrachtet auch verrückt. Wenn ich erzähle, wir stecken einen Schauspieler in 13 unterschiedliche Kostüme und lassen ihn mit Notenständern sprechen, klingt das wahrscheinlich fürs Erste so.

Tipp

„Ludwig II.“ mit Markus Meyer als Ludwig, Johann Adam Oest als Richard Wagner und Regina Fritsch als Kaiserin Elisabeth, ab 10. 12., Akademietheater.

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