Agnès B.: Eine Hymne an das Leben

Leidenschaft. Die Pariserin Agnès B. liebt – und fördert – die Kunst.
Leidenschaft. Die Pariserin Agnès B. liebt – und fördert – die Kunst.(c) Kazou Ohishi
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Die französische Modedesignerin Agnès B. stellt ihre Kunstsammlung in Paris aus: lebensbejahend und mahnend zugleich.

In der hyperaktiven Modewelt ist sie eine Ausnahmeerscheinung: Agnès Troublé, besser bekannt als Agnès B., ist nicht nur Modedesignerin, sondern vor allem Kunstsammlerin. Und sie liebt es zu überraschen. So findet man Spuren ihres Wirkens derzeit etwa im Pariser Musée national de l’histoire et de l’immigration. Abseits klassischer Touristenpfade, am Rand des Bois de Vincennes, zeigt sie erstmals ihre imposante Kunstsammlung. Von den insgesamt 2000 Werken ihrer vielfältigen Sammlung hat sie gemeinsam mit Kurator Sam Stourzé 70 Skulpturen, Fotos und Videoinstallationen aus unterschiedlichen Epochen ausgewählt und nach den Facetten des Lebens gegliedert. Der Parcours der Ausstellung liest sich wie ein Tagebuch der Designerin, die seit Jahren behauptet: „Das Modemilieu? Kenne ich nicht. Ich selbst mache Mode nur, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Meine wahre Leidenschaft ist die Kunst.“

Heute schreibt die mittlerweile 16-fache Großmutter längst Modegeschichte. Ihre Arty-Chic-Kreationen mit dem gewissen French Touch, allen voran der Bestseller des Hauses – eine zeitlos schlichte Jacke mit Druckknöpfen – gehören heute zum festen Bestandteil der Garderobe jeder Pariserin. Auch sie selbst trägt ausschließlich Agnès B. – in ihrer Lieblingsfarbe Schwarz. Die Designerin: „Ich habe noch nie Werbung gemacht, ich finde das unmoralisch. Ich mache Kleider, die ewig halten, lege großen Wert auf Qualität.“

„Pre-Kiss“. Olivia Bee, aus dem Ausstellungsteil „L’amour“ – Liebe.
„Pre-Kiss“. Olivia Bee, aus dem Ausstellungsteil „L’amour“ – Liebe.(c) Beigestellt

Katalysator. Die engagierte und kunstaffine Designerin, die ihre jugendliche Ausstrahlung bis heute bewahrt hat, setzt auch in ihrem eigenen Betrieb soziale Verantwortung in den Vordergrund. Dabei gilt sie immer noch – mit knapp 75 Jahren und als Mutter von fünf Kindern – als sanfte Rebellin. Als Jugendliche kehrte sie der behaglichen Bürgerlichkeit den Rücken, brach aus dem goldenen Käfig der elterlichen Wohnung in Versailles aus. Sie heiratete mit 16 den elf Jahre älteren Verleger Christian Bourgois. Einziges Relikt aus der turbulenten Blitzehe: ihre Initialen (das B von Bourgois) und ein individueller Modestil. Mit 19 war die damalige Kunststudentin bereits alleinerziehende Mutter und erregte Aufsehen mit ihrem unverkennbaren Look.

1975 eröffnete sie gleich mit ihrer ersten Kollektion in der Rue du Jour im Pariser Hallenviertel ihre eigene Boutique, halb Galerie, halb Shop, ein Vorreiter des Concept Store und Pilgerstätte ihrer stetig wachsenden Fangemeinde. Heute hat Agnès B. 272 Shops und 2100 Mitarbeiter weltweit und gilt nicht nur in Paris und Tokio als Ikone. Patti Smith, Jade Jagger oder Isabelle Huppert sind Mitglieder ihres Clans und lieben den Bohème-Chic, der allen Trends entgegenwirkt. So nebenbei entwirft Agnès B. Kostüme für Quentin Tarantino und David Lynch oder fungiert als Katalysator – sie finanziert Filmprojekte von Newcomern wie das Erstlingswerk „Irréversible“ von Filmemacher Gaspard Noé. Ihr Look reflektiert ihre Suche nach Harmonie.

Begleiter. Die in der Ausstellung gezeigten Werke – ein unzensuriertes Panorama menschlichen Daseins – von Annette Mes-sager, Jean-Michel Basquiat, Brassaï, Andy Warhol, Eugène Atget, Claude Leveque, Nan Goldin, Chéri Samba oder auch Malik Sidibé sollen über die Designerin in Kunstwerken und Bildern erzählen. Sie begleiten Agnès B. seit Jahren auf ihrem Schaffensweg, mit vielen der Künstler verbindet sie eine enge Freundschaft und persönliche Erinnerungen. „Wir haben wohl den gleichen Blickwinkel, eine ähnliche, leicht lakonische Art, gegen aktuelle Ereignisse zu revoltieren“, sagt Agnès B., „in Zeiten wie diesen ist es Priorität, auf das Leiden der Völker aufmerksam zu machen. Aber nicht als Moralapostel, mit erhobenem Zeigefinger, das überlasse ich anderen. Gleichgültigkeit ist jedenfalls fehl am Platz.“
Die Diskrete, aber Engagierte, für die Nachhaltigkeit nicht nur ein Schlagwort ist und die bis heute in Frankreich produzieren lässt, sieht die Ausstellung als Manifest, als Hymne an das Leben. „Die Schönheit der Kunstwerke berührt mich, jedes einzelne Werk soll Emotionen und Glücksgefühle auslösen, eine Geschichte erzählen. Und wachrütteln in einer unruhigen Zeit.“

„Nuit de noël“. Malik Sidibé, aus dem Ausstellungsteil „Danser“ – Tanzen.
„Nuit de noël“. Malik Sidibé, aus dem Ausstellungsteil „Danser“ – Tanzen.(c) Beigestellt

So ergab sich auch der Standort wie von selbst: das Musée de l’immigration, ein Ort, wo sie schon als Kind und später als Mutter viel Zeit verbracht hat. „Ich liebe dieses Museum! Heute komme ich mit meinen Enkelkindern hierher. Das sind wir den Generationen von Immigranten schuldig. Deshalb auch der Titel ,Vivre!!‘, eine Hymne an das Leben, an das Positive, das in jedem von uns steckt. Und das wir vielleicht mehr nutzen sollten, als uns gegenseitig zu vernichten.“

„Vivre!!“ sieht sie als Liebeserklärung an die Menschheit, als Manifest für die Kunst und Künstler aus aller Welt, Stück für Stück ausgewählt, liebevoll und sehr behutsam zusammengestellt. In einer Zeit, in der andere ans Aufhören denken, steht Agnès B. mittendrin im Leben und strahlt. „Ich liebe die Menschen, ich kann stundenlang durch die Straßen rennen und Leute beobachten.“ Sie selbst sehe sich nicht als Künstlerin. Ihr Motor? Ein grenzenloser Optimismus. „Ich arbeite nur, weil ich die Menschen mag, mit denen ich tagtäglich zusammen bin. Mode ist nicht mehr in Mode.“

Tipp

„Vivre!!“ Die Kunstsammlung der Modedesignerin Agnès B., zu sehen bis 8. Jänner 2017 im Musée national de l’histoire et de l’immigration in Paris. www.palais-portedoree.fr

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