Ursula Strauss: "Ich will die Menschen berühren"

(c) Mato Johannik
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Zum Jahreswechsel spielt Ursula Strauss in einem Fernsehzweiteiler die Hotelbetreiberin Anna Sacher: ein Gespräch über Zeitenwenden, gläserne Menschen und den Wunsch, andere zu berühren.

Ein Blick auf die Liste der Auszeichnungen, die Ursula Strauss in den vergangenen Jahren für ihre Arbeit als Film- und Fernsehschauspielerin entgegennehmen durfte, macht nochmals deutlicher, wie vielseitig die gebürtige Niederösterreicherin ist. Als, wie es so schön und in diesem Fall wohl wirklich zutreffend heißt, Publikumsliebling einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist sie als TV-Kommissarin Angelika Schnell in der Serie „Schnell ermittelt“, für die sie auch ihre erste von insgesamt drei Romy-Auszeichnungen erhielt. In diesem Jahr wurde sie jedoch auch als beste Schauspielerin auf der Diagonale ausgezeichnet, nämlich für ihre Titelrolle in Mirjam Ungers gefühlvoller Nöstlinger-Verfilmung „Maikäfer, flieg“. Nach den Feiertagen kommt sie nun als Anna Sacher in einem Zweiteiler von Robert Dornhelm ins Fernsehen – Anlass für ein Gespräch mit dem ­„Schaufenster“, das den Bogen vom Fin de siècle in die Gegenwart spannt.



Sie spielen in einem Fernsehzweiteiler, der vom ORF nach den Feiertagen ausgestrahlt wird, Anna Sacher: verwitwete Hotelbesitzerin, Unternehmerin, eine herausragende Erscheinung im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ist sie in Ihrer Wahrnehmung auch eine Vorreiterin der Emanzipation?
Sicherlich nicht bewusst. Ich denke, dass sie aus einem sehr persönlichen Antrieb gehandelt hat – in erster Linie, um die Ungerechtigkeit abzuwenden, das von ihr mitaufgebaute Hotel nach dem Tod ihres Mannes zu verlieren. Ein größerer Gedanke der Solidarität unter Frauen stand da wohl nicht dahinter. Unabhängig davon, ob sie das mitgedacht hat oder nicht, war das Resultat ihrer Handlungen aber die Tatsache, dass eine Frau plötzlich Hotelchefin sein konnte. Jenseits des Kalküls, ob man als Frauenrechtlerin antritt oder etwas für Frauen insgesamt erreichen will, ist es aber doch dieses Ergebnis, das zählt.


Anna Sacher stammte aus einfachen Verhältnissen, stieg später in der Wiener Gesellschaft auf. War sie auf das Wohlwollen der Hautevolee angewiesen?
Sie kam in jedem Fall aus dem Arbeitermilieu, war die Tochter eines Fleischhauers und hatte ein irrsinniges Gespür für Menschen und für Qualität. Offensichtlich hat sie eine Sturheit in sich getragen und eine Hartnäckigkeit, die ja auch ein guter Antrieb sein können, um etwas zu erreichen. Das Sacher hat sie mit ihrem Mann gemeinsam aufgebaut, selbst die Mitarbeiter angeworben. Die Leute mussten schon auch ordentlich hackeln, aber sie hat umgekehrt auch darauf geschaut, dass es ihren Mitarbeitern gut geht, hat zum Beispiel eine Art Krankenversicherung eingeführt. Anna Sacher war in mehrerlei Hinsicht eine Vordenkerin und Vorreiterin, ohne dass sie bewusst gesellschaftspolitisch gehandelt hätte.


War sie eine findige Unternehmerin?
Sie ließ sich einiges einfallen: Der Kaiser etwa hat bei großen Empfängen in der Hofburg immer als Erster gegessen und sein Essen auch immer als Erster bekommen. Bei großen Banketts sind also viele Gäste hungrig vom Tisch aufgestanden. Und Anna Sacher ließ den bei Hof Geladenen eben ausrichten: „Sagen’S den Herrschaften, wenn beim Kaiser wieder einmal zu schnell abgeräumt wird, bei uns wartet immer ein gutes Essen auf sie.“ Das heißt, die Gäste des Kaisers sind dann ins Sacher gegangen und haben sich dort die Bäuche vollgeschlagen. Sie war wahnsinnig gewieft.


War sie dem Wien ihrer Zeit verhaftet?
Sie war eine absolute Anhängerin der Monarchie. Was mich besonders beeindruckt hat und ich sehr an ihr mag, ist ihre verbürgte Liebe für den Vielvölkerstaat Österreich. Sie war glühende Anhängerin dieser kulturellen Mischung, erklärte Gegnerin des Antisemitismus. Je bunter, je vielfältiger, je durchmischter ihre Gäste waren, desto mehr hat sie das gemocht. Auch in Wien hat das Leben damals pulsiert, die Stadt war wenige Jahre vor dem Zusammenbruch der Monarchie auf dem Höhepunkt ihrer Internationalität. Dieses Flirren der Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende liebte Anna Sacher, und sie hatte auch den Willen, einen Ort zu schaffen, an dem man sich gut entspannen, aber auch gute Gespräche führen kann – was ja ebenfalls eine Basis für gesellschaftspolitische Entwicklungen darstellt.


Im Film feiert die Wiener Gesellschaft den Jahreswechsel von 1899 auf 1900 – einen Wendepunkt im kollektiven Bewusstsein des Fin de siècle. Die Menschen lebten in der Ahnung eines Zeitenwechsels. Ist das ein Gefühl, das Sie in der Gegenwart auch spüren, eine sich anbahnende, tief gehende Veränderung?
Absolut, man merkt, oder besser: Ich merke, dass die Menschen wieder verstärkt Sehnsucht bekommen nach ihren eigenen Grenzen. Alles Fremde soll hinaus, es soll nur ja keine Vermischung geben. Viele fühlen sich bedroht, wissen aber nicht genau, wovon. Ich habe unlängst über politische Systeme nachgedacht, ihre Funktionsweise: Auf der einen Seite sehen wir da eine große Starre, auf der anderen Seite das Bestreben, um jeden Preis dagegen aufzubegehren und zugleich leider oft auch das Gemeinschaftsgefühl zu durchbrechen. Das ist der falsche Weg: Es kann nicht richtig sein, Angst zu schüren, aber genau das passiert jetzt verstärkt. Und ich kann es eigentlich gar nicht glauben, dass es kaum Gegenstimmen gibt, dass also die Menschen, die Ängste haben, sich genau bei diesen Themen abgeholt fühlen.


Nach Jahrzehnten des Aufbaus und einer konstanten, in Rückschau gemächlich verlaufenden Entwicklung zum eigentlich konstant Besseren hat sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht alles beschleunigt. Verunsichert das zusätzlich die Menschen?
Fraglos. Schon allein die Tatsache, dass auf einmal jeder ein Handy hatte, das Internet plötzlich allgegenwärtig war. Als dann alle angefangen haben, sich vor ihrer Existenz als gläserne Menschen zu fürchten, war das Ganze längst gegessen. Ich habe Freunde, die sagen, das mache ihnen nichts aus, weil sie nichts zu verbergen hätten. Für mich ist das der falsche Ansatz – es geht nicht darum, ob ich etwas zu verbergen habe, sondern um mein Recht auf Privatsphäre.


Sie betonen auch stets: Mein Privatleben ist meine Schutzzone. Das aufrechtzuerhalten muss für Sie als bekannte Schauspielerin in unserer Zeit ja ein doppelter Kraftakt sein.
Eigentlich nicht, weil ich mir von Anfang an im Klaren darüber war, was ich möchte und was nicht. Zugleich wird mein Wunsch nach Privatsphäre von eigentlich allen Journalisten und Fotografen, mit denen ich zu tun habe, respektiert. Vielleicht, weil sie selbst ein gutes Gespür dafür haben, was es bedeutet, einer großen Öffentlichkeit ausgesetzt zu sein. Es gibt ja andererseits genug Berühmtheiten, die freiwillig ihr Privatleben öffentlich ausbreiten. Insofern wird es auch eher respektiert, wenn jemand wie ich den Fokus auf anderes legen möchte, in erster Linie meine Arbeit, und darüber bin ich sehr, sehr froh. Aber auch ich weiß natürlich, was es heißt, ständig der Beobachtung durch andere ausgesetzt zu sein, den Blicken und der Beurteilung anderer, wenn man auf die Straße geht. Umso mehr schütze ich meine Privatsphäre.


Gibt es Momente, in denen Sie weniger gut mit diesem Erkanntwerden und Ausgesetztsein umgehen können?
Natürlich gibt es die. Ich bin zum Beispiel gerade beim Hausbauen, bei dem ich auch selbst Hand anlege und mithelfe, was mir auch Freude macht. Wenn ich aber in den Baumarkt fahre, weil ich etwas brauche, gehe ich logischerweise nicht zuerst unter die Dusche und schminke mich. Sondern ich gehe genau so, wie ich von der Baustelle komme, in den Baumerkt einkaufen, und wenn ich dann die Blicke mancher Leute sehe, denke ich mir: Oje, jetzt komme ich nicht daher wie jemand, der sehr achtsam umgeht mit seinem Äußeren. Und im nächsten Atemzug sage ich mir dann aber: Ja, und? Das ist schließlich meine Sache.


Sie haben heuer für die Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“ einen Text verfasst, in dem Sie unter anderem geschrieben haben: „Ich habe ein latent schlechtes Gewissen und finde kein Gegenmittel.“ Dann beschreiben Sie eine Situation, in der man als Einzelner das Gefühl hat, nur mehr als Konsument die Welt beeinflussen zu können.
Ja, und selbst da ist man oft nicht konsequent. Bevor eine Kiwi im Geschäft verschimmelt, kaufe ich sie eben lieber, wenn sie schon daliegt. Die Welt hat sich einfach so entwickelt, irgendwie auf die falsche Art und Weise vernetzt. Es geht letztendlich anscheinend fast immer nur um Geld und Reichtum, das scheint der Hauptantrieb unserer Zeit zu sein. Alle wollen immer schneller und besser sein, um noch mehr zu verdienen.


Haben Sie als Künstlerin, Ihre Einsatzgebiete sind ja sehr vielfältig, das Gefühl, Sie können mit Ihrer Arbeit Einfluss nehmen auf die Gesellschaft?
Ich glaube, dass sowohl die Unterhaltung als auch die ernsteren Filme oder Theaterproduktionen einen Nutzen haben für die Welt, und darum genieße ich auch alles, was ich machen kann. Und wenn der Nutzen auch nur darin besteht, dass Menschen sich gut unterhalten fühlen: Das ist auch etwas sehr Wichtiges. Natürlich glaube ich, dass man durch die Ernsthaftigkeit, mit der man seine Arbeit betreibt, etwas bewirken kann. Dazu gehört für mich, dass ich mich jedes Mal zu hundert Prozent auf eine Rolle einlasse und sie ernst nehme. Wenn ich mich so ehrlich zeige, kann ich den Menschen Angst nehmen. Deshalb habe ich auch nicht diesen Perfektionswahn, sondern vielmehr das Bedürfnis, so sehr wie möglich eine normale Frau zu sein – die älter wird, die nicht perfekt ausschaut, aber über die man trotzdem sagen kann: Das ist eine Identifikationsfigur, die traut sich was. Nicht ich, als Uschi Strauss, sondern die Figuren, die ich spiele. Die sollen erhobenen Hauptes dastehen, sich etwas trauen.


Das heißt, Sie schaffen positive Identifikationsmuster?
Gar nicht einmal so ausdrücklich, aber ich will mit den Figuren, die ich spiele, zugänglich sein. Ich würde eher sagen, ich will erreichen, dass die Zuschauer Gefühle haben, denn wer einmal empathisch geworden ist, ist meiner Meinung nach nicht mehr so leicht verführbar, Distanz zu allem einzunehmen. Egal, welche Emotion man in jemandem auslösen kann: Das bedeutet, dass es etwas Weiches in der Person gibt, denn es erzeugt eine Art von Verbundenheit.


Ihr Vater war Bürgermeister, hat also ein politisches Amt ausgeübt. Hat Sie das beeinflusst?
Absolut, bei uns gab es auch immer viele Gespräche über Politik. Anfangs hat das in mir eher Gegenreaktionen ausgelöst. Mein Vater wurde Bürgermeister, da war ich 14 Jahre alt, und in einer kleineren Gemeinde ist jemand, der so ein Amt ausübt, automatisch im Fokus. Ich war mitten in der Pubertät und wollte zu dem Zeitpunkt alles andere, als im Mittelpunkt zu stehen, und ich war komplett damit überfordert, auf einmal Bürgermeisters-tochter zu sein. Denn da wird man unweigerlich Projektionsfläche für verschiedenste Dinge, und das wollte ich nicht. Mein Vater hat wahnsinnig viel gearbeitet, sein Amt sehr ernst genommen und es auch sehr nachhaltig angelegt. Da habe ich mir schon gedacht, später zumindest, als ich meine Pubertätskrise überwunden hatte und die Dinge anders wahrnahm: Wenn alle Politiker so wären wie mein Vater, würde die Politik von den Menschen wohl anders wahrgenommen werden. Als er schon lang nicht mehr im Amt war, sagte mein Vater einmal: „Ich habe zwar nicht für alle etwas tun können, aber ich habe mit allen reden können.“ Das war aber für die Bewohner der Gemeinde oft schon genug, oder sehr wichtig, das Gefühl zu haben, da hört ihnen jemand zu und versteht sie, auch wenn er nichts für sie tun kann.


Das hängt eigentlich mit dem zusammen, was Sie vorher über Ihre Arbeit gesagt haben: die Möglichkeit, mit Menschen zu kommunizieren, etwas Emotionales auszulösen, und so etwas zu bewirken.
Wenn man in Verbindung steht mit seinen Mitmenschen, passiert etwas. Das ist auch mit ein Grund, warum Schauspieler sich ständig gegenseitig körperlich berühren. Viele Schauspieler sind Angstwesen, ich zumindest bin es: Ich fühle mich sicherer, wenn ich eine Verbindung hergestellt habe, und ich muss ja auch in vielen beruflichen Situationen sehr schnell eine Beziehung schaffen zu Menschen, um glaubwürdig zu vermitteln, dass ich mit jemandem seit zwanzig Jahren verheiratet bin, obwohl ich den Kollegen vielleicht erst seit einer Woche kenne. Das Bedürfnis, sich zu schützen, rührt auch daher, dass man sich als Schauspieler mit vielen seiner Vorschläge seelennackig macht.


Würden Sie so weit gehen, sich öffentlich politisch zu äußern?
Das versuche ich zu vermeiden, einfach weil ich keine Politikerin bin. Wo immer es um Humanismus geht und um Menschenrechte, bin ich sofort dabei. Wenn ich mich hingegen eindeutig parteipolitisch äußern wollte, würde ich selbst in die Politik gehen.


Präsidentin sind Sie allerdings schon, nämlich der Akademie des Österreichischen Films. Wie lang ist die Funktion anberaumt, worum geht es konkret? 
Die Wiederwahl hat vor Kurzem stattgefunden, Stefan Ruzowitzky und ich wurden gebeten, uns zu überlegen, ob wir das nochmals machen wollen. Ich mache gern weiter und empfinde das als große Ehre. Die Aufgabe besteht in erster Linie darin, Öffentlichkeitsarbeit zu machen, Sprachrohr zu sein, Bewusstsein für das österreichische Filmschaffen zu erwecken. Ich würde das tatsächlich am ehesten als Vermittlerrolle beschreiben.


Was bedeutet der Jahreswechsel für Sie – ziehen Sie für gewöhnlich Bilanz? Worauf blicken Sie zurück, worauf freuen Sie sich 2017?
Ich versuche zwar, das Silvestergetue so weit wie möglich zu vermeiden, schaffe es aber doch nie ganz. Mit 2016 bin ich jedenfalls sehr zufrieden. Nächstes Jahr kommt wieder „Schnell ermittelt“ ins Fernsehen, das ist ein wichtiger Punkt. Und das Drehen, wir kehren ja zum ursprünglichen Serienformat zurück, hat mir wirklich wieder Spaß gemacht. Es war gut, dass es eine Pause gab, denn in der Zwischenzeit hat das Format geruht, wir haben uns alle weiterentwickelt, und es hat uns allen große Freude gemacht, wieder zurückzukehren. Wir sind alle erwachsener geworden, und die Figuren haben es uns gleichgetan. Es war tatsächlich die emotional für mich am schwierigsten zu spielende Staffel.

Tipp

„Das Sacher – in bester Gesellschaft“. Mit Ursula Strauss als Anna Sacher, Regie: Robert Dornhelm. Am 27. und 28. 12., 20.15 Uhr, ORF2

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