Valerie Voigt-Firon: Kinderleben

Intellektuell. Valerie Voigt-Firon begeisterte sich für Simone de Beauvoir, Sartre, studierte Philosophie.
Intellektuell. Valerie Voigt-Firon begeisterte sich für Simone de Beauvoir, Sartre, studierte Philosophie.(c) Christine Ebenthal
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Valerie Voigt-Firon inszeniert „Drei sind wir“ von Wolfram Höll, ein Stück über Freiheit und die Frage, ob man sich den Nachwuchs aussuchen soll.

Kärnten ist ein rotes Tuch für sie. Als eine von drei Töchtern eines Forstwirts nahe dem Loiblpass aufgewachsen, hatte Valerie Voigt-Firon jedoch „bei liberalen Eltern“ und im Dorf eine glückliche Kindheit, wie sie betont. Als Einzige in der Familie hat sie sich der Kunst zugewendet, die Schwestern sind in der Wirtschaft tätig. Sie selbst inszeniert, als nächstes „Drei sind wir“ von Wolfram Höll im Burg-Vestibül, schreibt aber auch, „ausschließlich Theatertexte“. Zwar geht Voigt-Firon gern ins Kino, aber: „Das Theater bringt mich zum Nachdenken, zum Verzweifeln, zum Träumen. Es treibt mich um!“

In „Drei sind wir“ wandert ein Ehepaar mit einem behinderten Kind nach Kanada aus. Waren Sie dort schon einmal?
Nein. Aber Kanada steht in diesem Stück nicht nur für Geografie oder für einen Ort. Es geht um Sehnsucht und Flucht, die liegen manchmal sehr nahe beieinander. Aber auch um Weite und den Wunsch nach Freiheit.


Das Paar hat ein Kind, sie wissen, dass es nicht lang leben wird. Würden Sie ein behindertes Kind bekommen?
Ich habe keine Kinder und mich noch nicht so mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich weiß es nicht. Es erfordert allerdings unglaublichen Mut, dieses Kind zu bekommen, obwohl die beiden ja wissen, dass es nicht lang überlebensfähig sein wird – und noch mehr Mut erfordert es, sich all diesen Ängsten an einem unbekannten Ort, in der Fremde, auszusetzen.


Im Internet gibt es Websites wie windeln.de, auf denen man sich über mögliche Störungen von Kindern informieren kann. Ich frage mich, ob man sich überhaupt noch traut, Kinder zu bekommen, wenn man alles weiß, was dabei passieren kann.
Fraglich ist in Zukunft vielleicht eher, wie weit geht man mit Selektion, treibt man auch dann ab, wenn das Kind zum Beispiel eine Sehbehinderung hat? Wie funktioniert Gesellschaftsoptimierung?


Wie sind Sie zum Theater gekommen?
Ganz unbedarft. Ich habe aus Interesse neben dem Studium angefangen, am Theater zu hospitieren.


Sie haben Philosophie, Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert. Kann man damit im Theater etwas anfangen? Theater ist doch auch sehr praktisch und handwerklich.
Darauf bin ich dann auch gekommen. Theaterwissenschaft hat nichts mit der Praxis zu tun – deshalb habe ich direkt an Bühnen zu arbeiten begonnen. Ich bin in einem Kärntner Dorf aufgewachsen und hatte außer den regelmäßigen Besuchen mit meinen Eltern im Theater keinerlei praktischen Bezug dazu. Mit 16 Jahren bin ich nach Wien gegangen.


Eine Art Flucht?
In Kärnten war damals Jörg Haider Landeshauptmann. Es war bedrückend und frustrierend, die Engstirnigkeit, die Vorurteile. Es war einfach unvorstellbar, wie sich die Politik über bestehende Gesetze – wie die zweisprachigen Ortstafeln – hinweggesetzt hat. Ich bin heute noch manchmal fassungslos, wenn ich nach Hause komme. Es gibt noch immer sehr viel Intoleranz in Kärnten.


Wie war es mit der großen Freiheit in Wien?
Ich habe es sehr genossen, hier zu sein, aber letztlich war es unspektakulärer, als man sich das vorstellt. Wenn man die Möglichkeit hat, jegliche Grenzen zu übertreten, weil einem keine gesetzt werden, nimmt man sie gar nicht mehr wahr. Das Kulturangebot in Wien im Vergleich zu Kärnten hat mich natürlich beeinflusst.


Sie wollten nie TV-Regisseurin oder Schauspielerin werden?
Nein, dazu fühle ich mich auf einer Bühne auch nicht wohl genug.


Ist der Wechsel von Hospitanz zur Regie hart?
Das ist sehr schwierig. Die vergangenen zwei Jahre hatte ich einen festen Vertrag als Regieassistentin am Burgtheater. Davon kann ich leben. Karin Bergmann setzt sich sehr für junge Leute ein. Das finde ich toll. Als freie Regisseurin in der Off-Szene ist es mühsam.


Sie schreiben Stücke, eines wurde im Ragnar-Hof in Wien-Ottakring aufgeführt, eines haben Sie beim Dramenwettbewerb im Theater in der Drachengasse eingereicht. Worum ging es?
Den Dramenpreis habe ich nicht gewonnen. Ich schreibe nur Theatertexte. Beim Stück für den Ragnar-Hof ging es um eine utopische Welt, in der Glück und Liebe nicht mehr gebraucht werden, weil alles automatisiert ist. Nicht für die Heldin, sie findet, dass Liebe, Emotion und Verstand zusammengehören. Das Stück für die Drachengasse handelte von einer AMS-Mitarbeiterin, die verzweifelt, weil sie ihren Klienten nicht das geben kann, wonach sie sich sehnen, Hilfe und einen Job, den sie mögen.


Man schottet sich ab, darum geht es bei Asylanten, Arbeitslosen, aber auch in diesem Stück „Drei sind wir“. Auf wen kann man zählen, wenn man in eine ernste Krise gerät?
Für die Eltern im Stück ist es so: Sie fragen sich nie, was passiert danach, wenn das Kind nicht mehr da ist. Sie leben im Jetzt. Ihre Abschottung wirft sie aber auch auf sich selbst zurück.


Was hat sich geändert in den Beziehungen, gehen die Menschen freundlicher oder rabiater miteinander um?
Ich habe fast nur positive Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen und in Beziehungen gemacht. Geschäftlich allerdings hat meine Generation einen härteren Berufsweg, als das womöglich in der Generation meiner Eltern der Fall war. Es genügt nicht mehr zu studieren. Man muss über Praktika, Auslandsaufenthalte usw. seinen Lebenslauf füllen, um dem eigenen Anspruch, aber auch dem Anspruch auf Erfolg gerecht zu werden.


Was machen Sie, wenn Sie nicht im Theater sind? Sie lesen, gehen ins Kino oder sehen fern?
Das Theater treibt mich um. Es bringt mich zum Nachdenken, Verzweifeln, Träumen. Ich mag es sehr! Abseits davon lese ich gern. Ich hab schon seit zehn Jahren keinen Fernseher mehr. Ich schau mir öfter auf Mubi, einer Plattform für Independent-Filme, etwas an, aber sonst auch gern französische Filme, italienisches Kino, Godard, Fellini, Visconti.


So altes Zeug für eine Regisseurin mit 30?
Ja alt, aber ästhetisch unheimlich interessant, und das war eine tolle Ära im europäischen Kino. Ich schätze auch japanische Filme der 1960er- bis 80er-Jahre. Die Retrospektiven im Filmmuseum besuche ich öfter, etwa über Western.


Hat ein Philosophiestudium etwas zu tun mit der Suche nach dem Sinn des Lebens?
Eine Tante hat mir Simone de Beauvoir empfohlen. Dadurch bin ich zur Existenzphilosophie, Sartre, Camus, gekommen. Als Jugendliche habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt. Im Studium hat sich das verändert, man arbeitet zwangsläufig an verschiedenen philosophischen Bewegungen, da geht es vordergründig nicht um Sinnsuche, sondern viel mehr darum, welche Möglichkeiten es beispielsweise gibt, sich mit Politik, Wirtschaft oder Literatur auseinanderzusetzen.


Wenn Sie vom Theater weggehen, werden Sie Bestseller-Autorin?
Ich hoffe nicht, dass ich vom Theater weggehen werde. Beim Schreiben ist man isoliert. Es ist ein guter Ausgleich zum Theater, das einen sehr dichten Alltag hat, wo man ständig von Menschen umgeben ist.

Tipp

„Drei sind wir“ von Wolfram Höll, ausgezeichnet mit dem Mülheimer Dramatikerpreis, ab 19. 2. Burg-Vestibül, mit Marie-Luise Stockinger, Tino Hillebrand.

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