„Ganymed Female“: Renaissance des Feminismus

Infusion. Julia Lacherstorfer vom Volksmusik-Duo Ramsch und Rosen im Museum.
Infusion. Julia Lacherstorfer vom Volksmusik-Duo Ramsch und Rosen im Museum.(c) Christine Pichler
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Verführung oder Vergewaltigung? Julia Lacherstorfer spricht über „Ganymed Female“ im Kunsthistorischen Museum.

Ein Seufzen geht durch den Raum – besser gesagt: viele Seufzer, laute Atemzüge und Ächzer. Sie schwellen zum Summen an, schließlich zum Singen. Auch die Trompete schnaubt unheilvoll, während die Geige ihre gerade noch wunderschönen Klänge gegen ein Reißen und Kratzen eintauscht. Schmerz? Angst? Kampf? Julia Lacherstorfer kniet mit ihrer Geige auf dem Boden des Saals III im Kunsthistorischen Museum Wien, umgeben von prachtvollen Renaissancegemälden, die hauptsächlich Mutter Maria samt Kind zeigen. Simon Zöchbauer hat sich vor ihr aufgebaut und bläst die Trompete. Ramsch und Rosen heißen die beiden als musikalisches Duo, das Freunden der zeitgenössischen kunstvollen, feinsinnigen Volksmusik schon lang ein Begriff ist. Die Sänger des Vokalensembles Company of Music geben die Gesangs- und Geräuschkulisse für „Nebel“, so der Titel der Performance, die Ramsch und Rosen für das Projekt „Ganymed Female“ entwickelt haben. Die Inspiration zu der Szene stammt vom Gemälde „Jupiter und Io“ des Italieners Antonio da Correggio: Er war mit seinem Bild „Die Entführung des Ganymed“ schon Impulsgeber für die allererste Show, die 2011 im Kunsthistorischen Museum Wien über die Bühne bzw. den glatt gebohnerten Museumsboden ging. 

Stationentheater. Denn die „Ganymed“-Serie von der Gruppe „Wenn es so weit ist“ unter der Leitung von Regisseurin Jacqueline Kornmüller und Schauspieler und Produzent Peter Wolf läuft seit 2011. Damals luden sie für „Ganymed Boarding“, so der Titel der ersten Ausgabe, 16 Autoren und Autorinnen ein, Texte zu Werken ihrer Wahl der Gemäldegalerie im KHM zu schreiben. 16 Schauspielerinnen und Schauspieler erweckten diese Texte dann vor Ort zum Leben. Ein Stationentheater, bei dem das Publikum selbst entscheidet, wo und wie lang es zusehen mag. Inzwischen wurde das Projekt um Choreografen und Komponisten erweitert, dementsprechend treten neben Schauspielern auch Tänzer und Musiker auf. 

Chimamanda Ngozi Adichies berührender TED-Talk „We should all be Feminists“ hat Wolf und Kornmüller inspiriert, Feminismus und Geschlechterverhältnisse diesmal als Ausgangspunkt zu nehmen. „Feminismus spielt wieder eine große Rolle, nachdem eine Zeit lang kaum jemand davon gesprochen hat“, meint Peter Wolf. 

Adichies Text ist mit von der Partie und wird von Katharina Stemberger zu Tizians Meisterwerk „Mädchen im Pelz“ gegeben, das nicht weit von Correggios „Jupiter und Io“ hängt. Das hohe, schmale Gemälde thematsiert die Geschichte von Io, die vor Jupiters Begehren davonlaufen will. Der römische Obergott hält von „Nein heißt nein“ aber nicht viel und schickt dunklen Nebel, um die Flucht der jungen Frau zu hemmen. Was dann passiert, wird oft als eine Art nicht ganz freiwilliger Liebesvereinigung beschrieben. „Was Correggio da zeigt, ist eine Vergewaltigung, zwar arbeitet Jupiter hier mit dekorativem Nebel, aber dadurch verschwimmen die grausamen Details in einer Grauzone. Heute würde einem das vielleicht wie eine Art Betäubung erscheinen, die das Objekt der Begierde willig machen soll“, sagt Jacqueline Kornmüller. Die Musikerinnen, die gerade im menschenleeren Museum proben, lauschen ihren Ausführungen. Kornmüller erzählt von Entführung, Vergewaltigung, Nötigung. „Jupiter hat ständig solche Sachen gemacht.“ Darum pocht die Regisseurin auch darauf, dass die Grausamkeit der Tat in der Performance erfahrbar wird. 

Vieldeutig. Das Gemälde „Jupiter und Io“ von Antonio da Correggio, um 1530.
Vieldeutig. Das Gemälde „Jupiter und Io“ von Antonio da Correggio, um 1530.(c) KHM-Museumsverband

Simon Zöchbauer hat das mit seiner Komposition versucht, Julia Lacherstorfer setzt ihr Geigenspiel ein, um Verzweiflung zu zeigen. Sie selbst ordnet die Geschehnisse aber anders ein: „Ich habe das nicht als Vergewaltigungsszene interpretiert, sondern eher als Verführung. Das Bild empfinde ich beinahe als liebevoll, wie die Nebelpranken sie umfangen, das erscheint mir sehr weich.“ Was sie allerdings schon stark spüre, sei die Anziehung und gleichzeitige Abstoßung. Etwas, was man empfinde, obwohl man es nicht möchte. Den Fokus auf die gewalttägige männliche Machtfantasie zu legen war zunächst nicht einfach: „Es war anfangs ein unangenehmes Gefühl, dass ich so in der Mitte sitze, umringt vom Männerchor, und weiß: Man soll hören und spüren, dass eine Vergewaltigung stattfindet. Zu Beginn der Proben war das schwierig.“ Ihr Weg, damit umzugehen: In die Musik eintauchen, einen tranceähnlichen Zustand finden und so die Gefühle künstlerisch umsetzen. „Es ist sehr intensiv“, bestätigt sie. 

Raus aus der Komfortzone. Ob ihre Szene feministisch ist, darüber lässt sich streiten, findet die 31-Jährige, da kein Widerstand gegen die Gewalt aufgezeigt wird. Allerdings war es wohl kaum möglich, gegen etwas anzukämpfen, was sich der Göttervater in den Kopf gesetzt hatte. Insofern kann auch das schlichte Präsentieren und Benennen weiblicher Realitäten feministisch sein. Darunter fällt auch, zu zeigen, wie das Geschlechterverhältnis im Museum ist: Das Inventar der Gemäldegalerie zählt 679 Maler und acht Malerinnen. An den 15 Stationen von „Ganymed Female“ wirken dafür weit mehr Frauen als Männer mit. Literarische Beiträge kommen etwa auch von Zadie Smith, Ana Kim und Veronica Buckley, gespielt, musiziert und getanzt wird unter anderem von den Stemberger-Schwestern, Petra Morzé und Marino Formenti. Auf künstlerischer Seite empfindet Julia Lacherstorfer das Projekt als „Gratwanderung zwischen musikalischem und szenischem Anspruch. Es ist im positiven Sinn eine riesige Herausforderung, weil man Dinge macht, die man eigentlich nicht so machen will. Man muss sich aus der Komfortzone hinausbegeben.“ Die Zuschauer müssen das eventuell auch, denn so manche Szene des „Ganymed Female“-Projekts fordert zum Mitmachen oder zumindest zum besonderen Sicheinlassen auf. Und sei es nur durch Mitatmen.

Tipp

„Ganymed“. 18. Februar bis 31. Mai, Kunsthistorisches Museum Wien, www.khm.at/ganymedfemale

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