„Käthchen von Heilbronn“: Schön, schräg und traumhaft

Klassiker aktualisieren. Nancy Mensah-Offei, Regisseur Gernot Plass, Raphael Nicholas erfinden Kleist neu.
Klassiker aktualisieren. Nancy Mensah-Offei, Regisseur Gernot Plass, Raphael Nicholas erfinden Kleist neu.(c) Christine Ebenthal
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„Käthchen von Heilbronn“ im Theater an der Gumpendorfer Straße: Ein Gespräch über Avatare, Karl May und die ewige Liebe.

Er hat „Faust“ und „Hamlet“ neu geschrieben, jetzt ist „Käthchen von Heilbronn“ dran: Regisseur Gernot Plass ist auch Prinzipal des Theaters an der Gumpendorfer Straße (TAG). Im Interview erzählt der ehemalige Schauspieler von zeitlos gültigen Aspekten des Kleist-Stücks: Träumen und wie die Liebe blind macht. Mit sieben Jahren kam Nancy Mensah-Offei aus Ghana nach Österreich. Nun ist sie als Käthchen zu erleben – und sie denkt nach, wie real unwandelbare Liebe in Zeiten des Egoismus ist. Ein einfaches Mädchen folgt einem Grafen auf Schritt und Tritt. Was bedeutet das? „Der Ritter ist ein Wunschtraum“, sagt Raphael Nicholas, er hat die Grafen-Rolle übernommen. Als Bub spielte er gern Cowboy und Indianer.

Gibt es diese Art unerschütterliche Liebe, wie sie Käthchen von Heilbronn dem Grafen Wetter vom Strahl entgegenbringt?
Nancy Mensah-Offei: Ich denke, Frauen gehen meist weiter als Männer, um die unerschütterliche Liebe zu entdecken oder zu behalten. Frauen haben mehr Mut in der Liebe. Beim Käthchen finde ich bemerkenswert, dass sie weiter für den Grafen da ist, auch nachdem er ihre Liebe nicht erwidert. Sie lässt nicht los, sie läuft nicht weg, das ist wunderschön und schräg. Real ist so eine Liebe heute nicht wirklich. Viele Menschen haben Angst, sich einzulassen, sie haben Angst zu lieben und geliebt zu werden. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt, dreht sich um sich selbst. Leider!


Wenn man das Plakat zur Aufführung im TAG anschaut – die Frau mit der Augenbinde – fällt einem zuerst Boko Haram ein.
Gernot Plass: Damit hat meine Inszenierung nichts zu tun. Es geht um Blindheit, Schlafen und Traum, das sind wichtige Themen in Kleists Stück. Die Herren vom Femegericht tragen Augenbinden. Käthchen selbst ist, so könnte man meinen, blind verliebt. Die Symbolik von Träumen ist uns fremd im 21. Jahrhundert. Aber das sind archäologische Schichten in uns.


Manches an dem Stück wirkt wie Fantasy.
Plass: Oder wie in einem Märchen von Walt Disney. Es geht aber mehr um Metaphysik. Cherubime sorgen dafür, dass Käthchen und der Graf zu ihrer vom Schicksal ausgewählten Liebe finden. Kleist war fasziniert von damals aufkommenden Naturphilosophien, Somnambulismus, Mesmerismus. In seinen Stücken erkundet er das Unterbewusstsein. Kleist stand zwischen Klassik und Romantik. „Käthchen“ ist auch ein sehr romantisches Stück, und eine zentrale Frage ist: Gibt es Prädestination? Beweisen kann man da nichts. Der eine glaubt an Zufall, der andere an Schicksal. Gerade in unserer Zeit scheitern viele Beziehungen, da kann man nicht behaupten, die Engel hätten sie ausgesucht, eher die Teufel.


Wie haben Sie die Aufführung gebaut?
Plass: Es gibt eine Rahmenhandlung. Die Traumwelt ist bei uns ein „Mind Game“. Die Bühnenfiguren sind ja sehr typisch – oder archetypisch, um mit C. G. Jung zu sprechen. Käthchen ist die reine Seele, die Anima. Kunigunde wiederum ist ihre dunkle, schillernde Gegenspielerin, vielleicht der Vamp oder die reine Machtfrau.


Herr Nicholas, was halten Sie von Rittern und Burggrafen? Sind Sie einer? Haben Sie als Kind Ritter gespielt?
Raphael Nicholas: Ich habe mit meinen Freunden Indianer und Cowboy gespielt, mein Hero war der Indianer. Ich war von Karl May besessen, 45 Bücher hab ich von ihm gelesen. Ich habe viele Grundsätze von ihm übernommen, man muss ehrbar sein, treu, loyal, man darf nicht unehrenhaft kämpfen. Ich habe niemanden geschlagen, ich habe gerungen.


Heute könnte der Ritter ein Avatar sein.
Nicholas: Bei dieser Inszenierung ist der Ritter ein Wunschtraum. In der Rahmenhandlung ist der Graf vom Strahl ein ganz einfacher Mensch, ein Mörder, der an sich selbst verzweifelt. Er ist in sich zerrissen, die anderen Ritter aus dem Stück sind ein Teil von ihm. Als Graf in meiner Traumrealität ergreife ich die Chance zu kämpfen, ich sehe das sogar als Geschenk an, ich muss alle und alles retten. Und ich habe zwei Frauen am Start: Käthchen und Kunigunde. Das ist nicht leicht.


Frau Mensah-Offei, wer wollten Sie als Mädchen sein?
Mensah-Offei: Ich wollte Pippi Langstrumpf sein. Bei meiner Oma durfte ich die Filme über sie anschauen. Auch mit Ronja Räubertochter habe ich mich identifiziert. Außerdem habe ich viele Bücher von Christine Nöstlinger gelesen. Und Asterix und Obelix habe ich geliebt. Die Freundschaft der zwei hat mir gefallen. Ich wollte so stark sein wie Obelix und so schlau wie Asterix.


Sie stammen aus Ghana. Wie kamen Sie nach Österreich?
Mensah-Offei: Mein Vater war in Österreich Kranfahrer und verheiratet. Meine Stiefmutter hat mich nachgeholt, da war ich sieben Jahre alt. Ich bin in Linz auf eine internationale Schule gegangen. Dort hatten wir Dramenunterricht. Ich überlegte, Diplomatin zu werden; meine Eltern wollten, dass ich Medizin studiere. Inzwischen haben sie verkraftet, dass ich Schauspielerin geworden bin.


Und welche Träume haben Sie heute?
Mensah-Offei: Dass ich spiele, viele neue Projekte mache, neue Menschen kennenlerne, dass ich kein hartes Künstlerdasein ertragen muss und trotzdem genug Zeit fürs Leben habe.


Herr Plass, Sie haben „Faust“ und „Hamlet“ um- respektive neu geschrieben. Jetzt ist „Käthchen“ dran. Einerseits ist das toll für Schüler, andererseits, hassen die Deutschlehrer Sie?
Plass: Ich denke nicht, ich muss für Schüler was machen. Ich bin überzeugt, dass wir als Theaterpraktiker verpflichtet und berechtigt sind, alte Texte neu zu beleben. Man kann nicht einfach die Reclam-Hefte hernehmen.


Glauben Sie an Träume? Hatten Sie schon Albträume, in denen Ihnen erzürnte Dichter erschienen sind, die riefen: „Plass! Du Blasphemiker, was machst Du mit unseren Dramen?“
Plass: Gott sei Dank nicht. Da müssten viele kommen, ich versuche mit Shakespeare, Goethe, Schiller oder Kleist in Dialog zu treten. Als ich zu inszenieren begann, war ich leicht verzweifelt, die alten Texte sind teilweise unverständlich, die besten neuen kriegen meist die großen Bühnen. Also hab ich angefangen, Klassiker neu zu schreiben, in einer filmischen Drehbuchsprache. Dann dachte ich, das ist zu billig.


Sie dichten Blankverse auf den Spuren von Goethe, Schiller?
Plass: Ja, im Verseschmieden bin ich zwar Autodidakt. Aber ich habe viel Dichtkunst gelesen und studiert. Ich war Schauspieler. Eines Tages habe ich beschlossen, ich muss die Sprache so verdichten wie der Autor. Mit dem Blankvers funktioniert das.

Tipp

„(Ein) Käthchen.Traum oder: Der seltsame Fall aus Heilbronn“ von Gernot Plass nach Kleist, ab 22. 2. (Premiere: 25. 2.) im TAG, www.dastag.at

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