Flirt mit der Kamera

Ausgeflogen. Neues Leben nach Sissi,  Will McBride: „Romy in Paris“ (1964).
Ausgeflogen. Neues Leben nach Sissi, Will McBride: „Romy in Paris“ (1964).(c) Albertina, Wien
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Selbstdarstellung, Inszenierung, Schauspiel: Die Albertina holt aus ihrer Fotosammlung Poseure von einst ans Licht.

Der Selfie-Kult wird oft bespöttelt. Eine Generation von Narzissten wachse da heran, die nur noch an ihre Außenwirkung denke, heißt es. Allerdings, wenn es ums Fotografieren geht, war das immer schon so. Posieren, inszenieren und dramatisieren war nicht nur Sache der Malerei, sondern, neben ihrer dokumentarischen Funktion, von Beginn an auch Sache der Fotografie. Das wirft Fragen auf: Wer ist der Urheber des Bildes? Nur der Fotograf oder auch das Modell? Wo sind die Grenzen zwischen authentischer und gekünstelter Pose? Und wo die Grenze zur Dokumentation, einer anderen wichtigen Funktion der Fotografie? Bildliche Antworten gibt die Albertina ab 10. März in der Ausstellung „Acting for the Camera“, die rund 100 Arbeiten aus der hauseigenen Fotosammlung präsentiert.

„Der Dialog zwischen Fotograf und Modell zieht sich durch die gesamte Fotografiegeschichte, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. An diesem Thema kann man also sehr gut verschiedene Entwicklungen und Praktiken der Fotografie darlegen“ erklärt der Kurator der Schau, Walter Moser. Die Albertina begann schon in den 1860ern, Fotografien zu sammeln, und hat damit eine der ältesten Sammlungen der Welt des damals noch neuen Mediums. Dem Fotosammeln wurde allerdings ab der Jahrhundertwende Aufmerksamkeit entzogen, unter der Leitung von Klaus Albrecht Schröder war dann aber Wiederbelebung angesagt. Für die aktuelle Präsentation wurden also Themenkomplexe ausgewählt, die mit den Beständen der Sammlung gut darzulegen sind. In mehreren Kapiteln wird vom Porträt über wissenschaftliche Fotografie bis hin zur Selbstinszenierung und zum Aktionismus die historische Bandbreite der Sammlung auf das Thema hin abgeklopft.

Augen auf. Anton Josef Trcka schuf sprechende Schiele-Fotos (1914).
Augen auf. Anton Josef Trcka schuf sprechende Schiele-Fotos (1914).(c) Albertina, Wien

Expressionismus. Zu sehen sind etwa die berühmten Porträts von Egon Schiele, die Anton Trcka 1914 anfertigte. Schieles expressive Gestik und Mimik knüpfen an den Stil seiner Gemälde an und schaffen mittels durchdachter „Regie“ und „Schauspielerei“ ein beredtes Künstlerporträt. In der Ausstellung werden diese Fotos mit Darstellungen von Ausdruckstanz kontrastiert. Dora Kallmus etwa, die sich auch Madame D’Ora nannte, wurde für ihre elegant in Szene gesetzten Tänzerinnen und Schauspielerinnen in den 1920er-Jahren bekannt. Ihre Fotografie „Anita Berber und Sebastian Droste in ihrem Tanz ‚Märtyrer‘“ macht deutlich, dass es meist nicht um die Dokumentation von Tanz ging, sondern dass die Verknüpfung von ästhetischen Elementen verschiedener Genres wie historische und zeitgenössische bildende Kunst und (Stumm-)Film in den Fotos zu einer neuen, eigenständigen Form zusammenliefen. „In den 20er-Jahren entsteht der expressive Ausdruckstanz, und die Fotografie war ein wichtiges Mittel, um den Tanz zu verbreiten. In Performances sind Tänzer ephemer, leben nur in der Aktion. So wie auch im Aktionismus später. Zu Werbung, Eigenvermarktung und Dokumentation brauchte man also Fotos“, erzählt Moser. Berühmte Porträtfotografen arbeiteten mit Tänzern zusammen, um im Studio Bilder extra hergestellter tänzerischer Situationen zu fabrizieren. Die Frage nach der Autorenschaft lässt sich hier nicht eindeutig beantworten. Manche Bilder hatten große Bedeutung, etwa die „Bewegungsstudie“ von Rudolf Koppitz, die vier Frauen zeigt: Drei, schwarz gekleidet, schmiegen sich aneinander, während die vierte, nackt und hellhäutig, im Vordergrund steht. Die Aufnahme, die sich – wie viele zu der Zeit – am Symbolismus orientierte, wurde damals für Ausstellungen um die Welt geschickt. Andere Bilder waren für Publikationen bestimmt und enthalten auch Anweisungen für die Retusche. Wieder andere wurden quasi als Fankärtchen vervielfältigt und verkauft.

Jugendstil. Rudolf Koppitz’„Bewegungsstudie“ (1926) arrangierte „Gemälde“.
Jugendstil. Rudolf Koppitz’„Bewegungsstudie“ (1926) arrangierte „Gemälde“.(c) Albertina, Wien

Dialoge mit der Ehefrau. Den Bogen zur Gegenwart spannt Moser unter anderem mit Seiichi Furuya. In den 1980er-Jahren fotografierte dieser kontinuierlich seine Frau, Christine Gössler, eine Schauspielerin. Die Betrachter begeben sich auf Spurensuche nach der Identität von Christine, intim, dennoch distanziert. „Furuya kam nach Österreich und sprach kaum Deutsch. Die Kamera war ein sehr wichtiges Kommunikationsmittel zwischen den beiden“, erzählt Moser. Der Dialogprozess, der bei Modell und Fotograf immer vorhanden ist, hat hier eine ungewöhnlich poetische Dimension, die sich so nur ergeben kann, weil man zwei miteinander verbundene Menschen durch die Bilder spürt. Filmstars werfen sich gern und bewusst in Pose, speziell, wenn ein Starfotograf auftaucht. Romy Schneider etwa lässt sich sichtlich gern von Will McBride, US-Fotograf und bildender Künstler, ablichten, 1964 in Paris war das. Acht Jahre zuvor war Romy die Flucht vor dem kitschigen Sissi-Image an die Seine gelungen, wo sie ihre internationale Karriere startete und zur Ikone wurde. 1969 drehte sie mit Alain Delon den pikanten Krimi „Der Swimmingpool“, der vor allem wegen des schönen Paars in Erinnerung blieb.

Stars wirkten damals noch natürlicher, heute wird da kaum noch etwas dem Zufall überlassen. Selbstporträts gab es auch immer, aber inzwischen sind wir eben beim Selfie gelandet. Spätestens seit Kim Kardashians Buch „Selfish“, in dem sie ihre Selfie-Sammlung offenbart, wissen wir, dass berühmte Persönlichkeiten gar keine Fotografen mehr brauchen, um „Acting for the Camera“ zu betreiben. Dass es allerdings so viele bekannte Fotografen und Fotografinnen gibt wie noch nie, macht wohl klar: Dem doch sehr intimen Moment, in dem einer schaut und der andere angeschaut wird, interessiert uns immer noch. Ob in Kunstausstellungen, Zeitschriften oder Coffee Table Books.

Tipp

„Acting For The Camera“. Anhand von 100 Meisterwerken aus der Fotosammlung wird die Beziehung zwischen Modell und Fotograf erforscht, 10. März bis 5. Juni, Albertina, Wien, Kuratorenführung von Walter Moser am 5. April um 17.30 Uhr.

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