Tino Hillebrand: Spiel auf Zeit

(c) Katsey
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Theater als Zauber- und Präzisionsmaschine: Burgschauspieler Tino Hillebrand über kleine Gesten mit großer Wirkung.

Kaum eine Armlänge entfernt von den Zusehern, und damit buchstäblich zum Greifen nah, agieren Schauspieler auf der Vestibül-Bühne des Burgtheaters. In diesem intimen Raum muss jede Geste sitzen, jedes Wort exakt gesprochen sein. „Mit nur einem Wimpernschlag kann man im Vestibül eine Pointe setzen“, beschreibt Tino Hillebrand das Agieren des Schauspielers in diesem Rahmen, sozusagen als eine Präzisionsmaschine. Er spielt derzeit an allen vier Bühnen des Hauses, ist Teil der Besetzung von fünf Stücken – und mit zwei davon im Vestibül im Einsatz. Besonders in „die hockenden“ von Miroslava Svolikova, wo er in einem surrealen Dekor eine fast pantomimische Darbietung gibt, ist das mit den Wimpernschlägen buchstäblich zu verstehen: 75 Minuten lang ist für das Publikum nur sein Kopf oberhalb eines in einem Rollstuhl sitzenden Puppenkörpers zu sehen, ausschließlich die Mimik unterstützt das Wort von Svolikovas Theatertext.

Neben den „hockenden“ spielt Hillebrand derzeit auch in Stefan Hornbachs „Über meine Leiche“ (im Kasino, am 17. März zum letzten Mal) und in „Drei sind wir“ von Wolfram Höll, ebenfalls im Vestibül. Auch bei diesem Stück, das unlängst erst seine österreichische Uraufführung erlebt hat, ist das Zusammenspiel der drei Schauspieler auf der Bühne beeindruckend: Ein verklausulierter, intensiver Text wird von ihnen mit Verzahnungen und Überlappungen, rhythmisierend vorgetragen. „Wir haben unser gemeinsames Sprechen oft mit Musizieren verglichen. Jeder hat so sein eigenes Timing, im Zusammenspiel begeben wir uns auf die Suche nach einem gemeinsamen Rhythmus. Das macht großen Spaß, wenn es klappt.“

Solche neuen Texte junger Theaterautoren sind wichtiger Bestandteil des „Burg“-Repertoires und sprechen wohl in erster Linie jüngere Besucher an. Die Texte gemeinsam mit den jeweiligen Regisseuren zu erarbeiten entspricht Tino Hillebrands Wunsch, wie er meint, „als Schauspieler mündig auf die Bühne zu gehen“: „Natürlich macht es mir auch Freude, mit großen Regiemeistern zu arbeiten und in Klassikern zu spielen. Aber wenn man einen neuen Theatertext mit einem Regisseur erarbeitet, finden alle Beteiligten gemeinsam eine mögliche Form.“ Und so wird es für die Handlungsträger dann möglich, selbstbestimmt auf die Bühne zu treten und eben „mündig“ vor dem Publikum zu wirken. Nach ferngesteuertem, gelenktem Spiel steht Tino Hillebrand nicht der Sinn: „Ich steh ja am Ende vor dem Publikum, also muss ich mich in meiner Rolle auch wohlfühlen.“

Lust aufs Spiel. Seit nicht ganz vier Jahren ist Tino Hillebrand Teil des Burgtheater-Ensembles, in das er noch vor seinem letzten Studienjahr am Reinhard-Seminar aufgenommen wurde. So schloss sich für den gebürtigen Potsdamer ein Kreis: War er doch ursprünglich nach Wien gekommen, um ein Jahr lang Teil des „Junge Burg“-Programms zu sein und Erfahrungen als Regiehospitant zu sammeln. So erhielt er früh Einblick in unterschiedliche Arbeitsweisen und kann darum mit Gewissheit sagen: „Heute ist der Theaterbetrieb anders, als er es vielleicht früher einmal war. Schauspieler und Regisseure begegnen sich auf Augenhöhe, von einem Herr-und-Sklave-Verhältnis kann nicht mehr die Rede sein.“ Nur so könne letzten Endes auch die seiner Meinung nach so wichtige „Lust aufs Spiel“ entstehen, die sich, ist Hillebrand überzeugt, am Ende auf das Publikum überträgt und in Zeiten, in denen sich die Gewohnheiten der Kulturrezeption recht drastisch verändern, wichtiger denn je ist.

„Theater muss natürlich auf die Gesellschaft reagieren“, antwortet Hillebrand auf die Frage nach einer politischen Verantwortung seiner Arbeit, „es muss aber nicht zwingend einen direkten Kommentar abgeben. Das Politische kann etwa auch darin bestehen, dass es sich dem Tagesgeschehen komplett entzieht und einen unabhängigen Raum eröffnet. So kann die Zaubermaschine Theater ebenfalls eine eigene Relevanz bekommen.“

Das Räderwerk genau dieser „Zaubermaschine“ hat den jungen Mann schon in frühester Kindheit angezogen, und zwar ohne dass seine Eltern ihm dies nahegelegt hätten oder er in einer Theaterfamilie aufgewachsen wäre. „Ich habe im Kindergarten schon die anderen dazu verdonnert, mit mir Disneymärchen nachzuspielen“, erzählt Hillebrand und erwähnt seine schon früh spürbare „Lust, auf die Bühne zu springen“. Eine wertvolle Erfahrung war noch in seiner Kindheit der Einsatz als Synchronsprecher in den Babelsberger Studios in Potsdam: „Das Synchronisieren war eine ziemlich gute Schule darin, bewusst mit Sprache umzugehen und sie einzusetzen. Kleine Nuancen bewirken total viel – ob ich zum Beispiel am Ende des Satzes mit der Stimme runtergehe oder sie oben lasse, und wie der Atem dabei fließt. Das ist also auch eine sehr technische Arbeit, und da ich das seit meiner frühen Jugend jahrelang gemacht habe, hilft mir das auch jetzt noch sehr beim Spielen.“

Wendekind. In den vergangenen Wochen hat der Schauspieler intensiv mit einer Gruppe Theaterschnuppernder gearbeitet: im Rahmen der „offenen Burg“ – des Nachfolgeprogramms der „jungen Burg“. Diesen 18- bis 25-Jährigen, die keineswegs alle Schauspieler werden wollen, vermittelt er seine Erfahrungen, zugleich lernt er für seine eigene Arbeit aus diesen Begegnungen: „Es ist interessant, die Seiten zu wechseln und dem Geschehen auf der Bühne von unten zuzusehen.“ Auch das habe ihm gezeigt, wie wichtig für alle Beteiligten schon beim Proben eine „angstfreie Atmosphäre“ ist. Und weil zuvor wiederholt von Präzision im Bühnentreiben die Rede war: Eine Punktlandung hat Tino Hillebrand auch mit seiner Geburt hingelegt. Er ist nämlich vier Tage nach dem Fall der Berliner Mauer, am 13.  November 1989, auf die Welt gekommen, weshalb seine Kindheit vor den Toren Berlins in eine Phase des Auf- und Umbruchs gefallen ist. „Meine Eltern sagen immer, ich sei ein typisches Wendekind“, erzählt er lachend. Die Euphorie der Menschen in seiner Umgebung, ihre Freude über vieles, was in der ehemaligen DDR als neu empfunden wurde, hat diese „Wendekindheit“ wohl besonders positiv geprägt, und zwar nachhaltig. Denn die gute Grundstimmung ist Tino Hillebrand, wo er sich nun als fixe Größe an einer der wichtigsten Bühnen des deutschen Sprachraums etablieren konnte, auch immer noch anzumerken.

Tipp

Am 9. 4. liest Tino Hillebrand ­Kinderliteratur im Rahmen der „Burggeschichten“. Seine nächste Premiere: „Carol Reed“ von René Pollesch am 28. 4.
www.burgtheater.at

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