Küken im Schwanensee

Rikako Shibamoto tanzt einen kleinen Schwan, Leonardo Basilio den Prinzen: Zu Besuch bei den Jungtalenten des Staatsballetts.

Zwölf Mal tanzen die weißen Schwäne samt ihrer Königin dem Saisonschluss entgegen. Rudolf Nurejew hat sich die Choreografie 1964 ausgedacht, die sich ins Ohr schmeichelnde Musik zum Ballett „Schwanensee“ hat Tschaikowsky fast hundert Jahre davor geschrieben. Nur Bühnenbilder und Kostüme sind ganz frisch, Luisa Spinatelli hat sie für die Neueinstudierung von Ballettdirektor Manuel Legris geschaffen. Jung und frisch sind auch viele Schwäne und so mancher Prinz. Legris mag es, neue Talente vorzustellen.

Eines der jüngsten ist die Japanerin Rikako Shibamoto, mit ihren 18 Jahren noch ein Küken im Corps de ballet. Ihre Bewegungen, die Haltung und Präzision sind Simone Noja, Direktorin der Wiener Ballettakade­mie, bei einem Besuch in Japan aufgefallen. Von Fukuoka, ihrer Heimatstadt, hat sie die begabte Balletttänzerin nach Wien an die Akademie geholt. Nach zwei Jahren Feinschliff ist Shibamoto mit dem druckfrischen Zeugnis direkt auf die große Bühne gesprungen. Schon nach wenigen Wochen ist die zierliche Tänzerin bei der Nurejew-Gala 2016 in einem Ausschnitt aus Frederick Ashtons Ballett „La fille mal gardée“ hervorgestochen. Und danach immer wieder.

Rikako Shibamoto ist sichtbar, auch wenn sie nur 1,64 Meter groß ist. Damit hat sie sich längst abgefunden: „Ich bin jetzt ganz zufrieden mit meiner Größe.“ Zufrieden ist sie auch mit der Wiener Compagnie. „Ich kenne ja noch nichts anderes“, sagt sie mit entschuldigendem Lächeln und lässt den dunklen Haarvorhang fallen. Freundinnen hat sie auch schon gefunden, in den Probenpausen sieht man sie mit den Kolleginnen lachen. Nach der Mitwirkung im Nurejew-Ballett „Don Quixote“ fliegen ihre Träume zu Höherem: Die gewitzte Lise in „La fille mal gardée“, die temperamentvolle Kitri in „Don Quixote“ möchte sie probie­ren. Vorerst lässt John Neumeier sie in „Le Pavillon d’Armide“ sich selbst tanzen: eine entzückende Ballerina, die ihren Spitzenschuh an den kranken Star Waslaw Nijinskij verliert und dessen Herz heftig klopfen lässt. In der kommenden Serie der „Schwanensee“-Aufführungen werden alle Augen auf die Corpstänzerin gerichtet sein. Im berühmten Pas de quatre muss sie als einer der „vier kleinen Schwäne“ mit nickendem Kopf exakte Beinarbeit zeigen. „Ich fühle mich sehr geehrt“, sagt sie und verneigt sich in japanischer Höflichkeit. „Doch“, fügt sie hinzu, „im zweiten Akt bei dem großen Fest bin ich auch im neapolitanischen Tanz.“ Raus aus dem Tutu, weg mit den flatternden Armen: Bei der Tarantella heißt es Charakter zu beweisen.

Erste Hauptrolle. Das muss auch Leonardo Basilio, der zum ersten Mal eine große Rolle tanzen und spielen darf: Prinz Siegfried, die untreue Seele. „Nein“, widerspricht der Portugiese, mit blitzenden Zähnen und schwarzen Locken Urbild des charmanten Latinos, „er liebt die Schwanenprinzessin wirklich, er ist ihr verfallen, aber Rotbart wendet einen fiesen Trick an, Siegfried bemerkt das nicht.“ Vor vier Jahren ist Basilio von Lissabon über Zürich nach Wien gekommen und bald zum Halbsolisten ernannt worden. Neben markanten Auftritten in Harald Landers „Études“ oder im Pas de deux mit Alice Firenze in Edwaard Liangs „Murmuration“ überzeugte er als Liebhaber von Marie Antoinette in Patrick de Banas gleichnamigem Ballett.

Jetzt aber: Hauptrolle. Die Schritte hat er bereits in den Beinen: „Ich kann mich auf die Person, den Menschen mit heftigen Gefühlen, konzentrieren.“ Gleich summt er „seine“ Melodien, erzählt von der plötzlichen Liebe, die den Prinzen überflutet: Wie in Trance folgt er der verzauberten Prinzessin. Kann Basilio das nachvollziehen? Aufleuchten der Kirschaugen: „Klar!“ Seine Angebetete hat er im Ballettsaal gefunden. Auf der Bühne wird er nicht an sie denken: „Da ist der Fokus ganz auf Liudmila gerichtet. Mit ihr zu tanzen ist wunderbar.“ Die Erste Solotänzerin, Liudmila Konovalova, ist Odette und Odile, sanfter weißer und furioser schwarzer Schwan. Beiden erliegt Siegfried gleichermaßen.
Lampenfieber verspürt Basilio nicht: „Ich fühle die Verantwortung, aber ich bin nicht nervös.“ So nebenbei hat er auch sein Debüt als Choreograf erlebt, Anfang Mai war sein erstes Tanzstück zu sehen. Obwohl er die Freiheit als Choreograf genießt, hat er nichts gegen die strengen Vorgaben eines klassischen Balletts: „Ich akzeptiere die Regeln, habe Respekt vor der Choreografie und bin bemüht, sauber und technisch einwandfrei zu tanzen. Doch bin ich auch ein Individuum    – jeder Prinz ist anders.“ Ob er zum „Danseur noble“ geboren ist? „Wie man eingestuft wird, klassisch oder modern, hängt doch von der Perspektive und der Tanzkultur der Compagnie und deren Heimatland ab. In Paris oder Lissabon tanzt man dasselbe Stück sicher anders als in Wien oder Zürich.“
Als Lebenskünstler und Pragmatiker will er sich nicht festlegen: „Jetzt ist Tanzen das Einzige, was ich tun will. Wenn mir etwas anderes einfällt, dann werde ich das machen. Ich muss nicht sterben, wenn ich nicht tanze.“ Prinz Siegfried allerdings muss. Aus Liebe ertrinkt er im See. So wollte es Choreograf Nurejew, so will es auch das Wiener Publikum.

Tipp

Rudolf Nurejew. „Schwanensee“, von 12. Mai bis 8. Juni, zwölf Vorstellungen mit den Solisten des Wiener Staatsballetts und Gästen. www.wiener-staatsoper.at

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