Franz Schuh: Die Liebe zum Sitzen im Garten

Idylle und Schrecken. Sind nah verwandt, sogar in der Idylle Salzkammergut, so Philosoph Franz Schuh.
Idylle und Schrecken. Sind nah verwandt, sogar in der Idylle Salzkammergut, so Philosoph Franz Schuh.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
  • Drucken

Die Salzkammergut-Festwochen Gmunden feiern heuer 30. Geburtstag. Literaturexperte Franz Schuh über die Natur und Barbara Frischmuth.

Mathematik-Professor Rudolf Taschner, Literatin Barbara Frischmuth, Schauspielerin Elisabeth Augustin oder Filmemacher Kurt Palm – sie alle werden bei den 30. Salzkammergutfestwochen Gmunden zu Gast sein. Philosoph Franz Schuh betreut erneut den Literaturschwerpunkt. Im Interview outet er sich als Romantiker („Selbstverständlich!“), betont aber, dass die Literatur vor allem der Wahrheit diene. Im Übrigen sitzt er gern am Wasser und im Garten – wenn er nicht darin arbeiten muss.

Der Literaturschwerpunkt der Festwochen widmet sich heuer Barbara Frischmuth. Was schätzen Sie besonders an ihr?
Barbara Frischmuths „Die Klosterschule“ ist eines der wichtigsten Bücher Österreichs. Es ist ein Emanzipationsroman, der zu einer Zeit erschien, als die Befreiung vom eingebürgerten Druck erst einmal ausgedacht werden musste. Später ist „Emanzipation“ Mode geworden, was auf viele Errungenschaften zutrifft, sie werden zu Moden. Als Mode ergreifen sie die Massen. Ich finde aber auch Frischmuths Kenntnisse des islamischen Kulturkreises, speziell des türkischen, wichtig. Die Öffentlichkeit nutzt dieses Wissen viel zu wenig. Frischmuth ist ein polyglotter Mensch und eine großartige Autorin. Außerdem finde ich es interessant, wie sie ihren Garten hegt und pflegt und dass sie darüber schreibt.


Mögen Sie Gärten?
Solange ich in ihnen sitzen kann und nicht arbeiten muss, liebe ich Gärten. Es gibt zwei Fundamente der Kultivierung des Menschen, das eine ist das Begraben der Toten, das andere ist das Pflegen der Natur. Man nützt die der Natur eigenen Wachstumsmöglichkeiten zu menschlichen Zwecken, auch zu Zwecken der Ästhetik.


Das Salzkammergut ist eine intakte Idylle.
Die Idylle liegt im Auge des Betrachters. Im Salzkammergut wird sie vor allem durch das Wasser gewährleistet, das eine seltsam beruhigende, aber auch gefährliche Ausstrahlung hat: Es gibt einen Film von Andreas Prochaska: „In drei Tagen bist du tot“. Der Film, in dem die Leichen nur so unter Wasser herumschwimmen, handelt von Ebensee. Der Versuch, die Idylle in Schrecken zu verwandeln, gehört zur Idylle dazu. „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang“ – das gilt auch für das Salzkammergut.


Was machen Sie, wenn Sie in Gmunden Freizeit haben?
Ich schau aufs Wasser.


Sind Sie ein Romantiker?
Selbstverständlich. Ich möchte zum Beispiel gern den Garten von Barbara Frischmuth sehen, ich glaube, ich werde mich selbst einladen. Andererseits, ich muss ihn vielleicht gar nicht sehen. Allein die Vorstellung, hier ist ein Garten und ein Mensch, der für ihn Sorge trägt, macht mich schon glücklich.


Barbara Frischmuth war in den 1960er-, 1970er-Jahren relativ plötzlich berühmt. Mit literarischen Bestsellern bekannt zu werden, ist heute nicht mehr so einfach. Was sagen Sie?
Damals gab es eine junge Autorenschaft, Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die einander verbunden waren, nicht nur in Zuneigung, aber selbst das kam vor. Ich denke an den Kreis um Alfred Kolleritsch: Nach der Wiener Gruppe gab es eine Grazer Literaturgruppe, die durch die Zeitschrift „Manuskripte“ öffentlich präsent war. Am Anfang dieser Literatur gab es eine Zusammengehörigkeit einzelner – und es gab in der Gesellschaft ein Interesse an Autoren.


Heute ist das alles ein Business und in der Hand der Verlage.
Das ist eben der Kommerz. Das andere ist ein Freundeskreis – abseits von den berühmten Seilschaften: Menschen, die abgesehen von ihrer finanziellen Wohlfahrt Ideen haben, durch die sie mehr oder weniger stark verbunden sind.


Sie kümmern sich in Gmunden auch um die Philosophie.
Ja, um philosophische Themen. Sieben oder acht Leute referieren, zum Beispiel über Tugendlehren.


Gibt es heute noch Tugenden? Diese sind nicht stark gefragt.
Das ist ein genereller Verdacht, der gern erhoben wird. Tatsache ist, seit es Menschen gibt, gibt es Tugenden. Sollten sie einmal mehr und einmal weniger zählen, so existieren sie trotzdem.


Ein weiteres Tätigkeitsfeld für Sie in Gmunden ist Architektur.
Architekturphilosophie. Ich war überrascht, wie viele Menschen sich dafür interessieren.


Wieso hat Sie das überrascht? Architektur umgibt uns, ob wir wollen oder nicht. Wenn man einen Roman liest und er gefällt einem nicht, kann man ihn weglegen, seine Wohnung nicht.
Ja. Der kunstvolle Geistesblitz oder der Einfall zählen – anders als beim Schreiben – in der Architektur nichts, wenn es nicht eine Umsetzung gibt. Und die Umsetzungen sind äußerst komplex und schwierig. Ein Dichter setzt sich hin und notiert, was ihm einfällt. Er beklagt sich, was das für eine harte Arbeit ist. Ein Architekt muss vieles beachten, die Politik, die Einsprüche, die Bürokratie. Und er ist sogar selbst eine Bürokratie, denn er hat ja ein Büro. Sein Beruf ist vom Widerstand des Wirklichen erfüllt.


Was ist heuer das Thema bei der Architekturphilosophie?
Die Gmundener Intendantin Jutta Skokan ist ein Genie im Erfinden von Titeln. Diesmal heißt der Titel: „Andere Baustelle“. Es wird unter anderem darum gehen, wie der Widerstand gegen architektonische und politische Pläne organisiert wird, nach dem Motto: „Sucht euch eine andere Baustelle!“ Nur ein Beispiel aus der Gegenwart: die Diskussion um die Verbauung des Eislaufplatzes auf dem Heumarkt.


Ich finde es bemerkenswert, dass sich so viele Festivals, angefangen in Salzburg, mit so vielen Veranstaltungen nebeneinander halten, Gmunden und dann auch noch der Attergauer Kultursommer . . .
Konkurrenz belebt die Sinne. Das Geheimnis von Salzburg sind nicht nur die wunderbaren Festspielaufführungen, sondern das ist auch die leibhaftige Anwesenheit von Prominenz. Das ist die mythische Präsenz. Der Fürst hat seinen Körper privat und den öffentlichen Körper des Herrschers – und das gilt auch für den Schauspieler, mit dem einen Körper verschlingt er seine Frühstückssemmel, mit dem anderen kursiert er durch die mediale Landschaft – und dann steht er auch noch als Jedermann auf dem Domplatz.


Und die Kasse klingelt und klingelt.
Es gibt aber auch gute, tugendhafte Engagements, die ganze Gebiete aus der Vergessenheit retten, wie Christiane Hörbiger als Bezirksrichterin Julia in Retz in der Serie „Julia – Eine ungewöhnliche Frau“. Da klingelt es nur ein bisschen.


Da sind wir wieder bei der Romantik. Dient die Kunst der Romantik? Heute ist sie oft betont unromantisch.
Romantik ist ein relativ kleiner Teil der Kunst. Kunst hat mit Wahrheit zu tun, denken Sie an Zola oder sogar Proust, der zwar einen Sinn für Romantik hatte, aber nicht wirklich romantisch war. Ich glaube, ein Leben ohne Tugend und ohne Romantik gibt es nicht. Denn würde ich die Welt mit der Nüchternheit sehen, in der sie sich darbietet, wäre sie langweilig, öde, gewöhnlich und ordinär. Wenn ich die Welt romantisiere, kann ich sie auch ertragen.

Tipp

Salzkammergut-Festwochen Gmunden. Mit Michael Heltau, Daniel Hope, Grischka Voss, Ingolf Wunder u. v. a.; 13. 7. bis 20. 8. (Veranstaltungen ab 25. 6.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.