Angst und Begierde

Isolda Dychauk gibt bei den Salzburger Festspielen als Lulu ihr Theaterdebüt: Über das Fließenlassen von Emotionen, Schauspiel als Selbstheilung und einen weiblichen Blick auf ein Männerstück.

Man hat ja schon so viel davon gehört", erzählt Isolda Dychauk, als sie vor dem "Schaufenster"-Modeshooting in einem Halleiner Kaffeehaus sitzt, hundert Meter von der Pernerinsel entfernt, wo sie demnächst ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen geben wird: "Es ist natürlich ein großes Ding und eine Ehre, dass ich hier sein kann." Vor Kurzem ist die 24-jährige Schauspielerin aus ihrer Heimatstadt Berlin temporär nach Salzburg gezogen, um ihre Rolle als Lulu in Wedekinds gleichnamigem Stück einzustudieren. "Ich bin einmal kurz durchs Zentrum von Hallein gegangen, es sieht bezaubernd aus! Aber wir sind leider hauptsächlich im Proberaum." Dieses "Wir" und gar nicht so sehr der Ruf der Festspiele scheint auch der Hauptgrund für ihre Vorfreude zu sein: "Dass etwas renommiert ist, war mir noch nie so wichtig. Es sind eher die Leute um mich herum, die mich weiterbringen."

Vom Film zum Theater

Eine dieser Leute ist die Regisseurin des Stückes, Athina Rachel Tsangari. Mit der griechischen Filmemacherin hat Dychauk bereits gedreht, sie kennen sich gut: "Ich arbeite sehr gerne mit ihr, es ist ein großes Geschenk." Nun werden sie mit der Premiere von "Lulu" gleichsam eine weitere, gemeinsame Premiere feiern: Für beide wird es die erste größere Theaterarbeit sein. "Theater ist ein komplett anderes kreatives Arbeiten als vor der Kamera zu stehen", sagt Dychauk, die mit elf Jahren für einen Kurzfilm entdeckt wurde, seither bei etlichen Projekten für Kino und Fernsehen gespielt hat, aber bisher nie am Theater: "Zuerst hatte ich große Angst davor. Dementsprechend habe ich mich intensiver und anders als sonst vorbereitet, mit einem Sprechtrainer und einer physischen Vorbereitungswoche." Für Dychauk ist es ungewohnt, so viel zu proben wie jetzt: "Ich glaube, jeder Schauspieler entwickelt eine eigene Herangehensweise. Für mich habe ich mit den Jahren gemerkt, dass ich am besten funktioniere, wenn ich mich wenig vorbereite, offen bleibe und die Emotionen bis zum letzten Moment aufhebe, dann alles fließen lasse."

Auch wenn sie nun körperlich bereit ist, auf der Bühne zu stehen große Theatergesten wird sie bei "Lulu" nicht machen: "Das Stück wird etwas sehr Natürliches haben." Gleichzeitig bleibt bei der Aufführung nicht verborgen, dass auch Tsangari vom Film kommt, verrät Dychauk: "Sie hat einen visuellen Blick und wird Filmprojektionen benutzen. Es entstehen eindrucksvolle Bilder, sehr Science-Fiction-mäßig. Mich erinnert das Bühnenbild an einen Kosmos, in dessen Mitte wir uns befinden. Es wird verrückt."

Projektionsfläche

Der Filmhintergrund der Beteiligten macht sich auch bemerkbar, wenn Dychauk erzählt, wie sich das Team dem Stück annähert: "Wir machen momentan ,blocking , ein Verfahren aus der Filmproduktion, wo man nur die physischen Handlungen der Figuren nachmacht. Das ist wichtig, um ein Gefühl für die Bühne zu bekommen, ohne sich dabei auf Charakter- oder Figurenarbeit zu konzentrieren." Trotzdem hat sich Dychauk freilich schon mit dem Inhalt von Wedekinds "Lulu" und der Fassung der Neuinszenierung befasst: "Für mich ist Lulu eine der kompliziertesten Figuren, die ich bis jetzt spielen musste. Deswegen bin ich froh, dass Tsangari Regie führt, weil ich weiß, dass wir es zusammen schaffen, die Essenz ihres Charakters zu erschließen."

»"Film und Theater können Sichtweisen verändern. Jede Figur erweitert deinen Blick."«

Was könnte der Charakter dieser Lulu sein, die Wedekind Ende des 19. Jahrhunderts zur Kritik an der bürgerlichen Moral als verführerische Kindfrau geschaffen hat und die bei ihrem gesellschaftlichen Aufstieg reihenweise Männer betört und zerstört, bis sie selbst ins Verderben stürzt? "Es ist schwer, sie zu greifen. Sie ist Projektionsfläche für Männer, sei es für deren Begierde, Frustration oder Angst. Von jedem Mann kriegt sie einen neuen Namen. Man könnte sagen, sie würde gar nicht existieren ohne die anderen, sie ist auf sie angewiesen", meint Dychauk. Weil man Lulu nicht auf ein, zwei Eigenschaften festsetzen kann, wurde die Figur gleich mit drei Schauspielerinnen besetzt Dychauk wird sich Lulu mit Anna Drexler und Ariane Labed teilen: "Die Rolle gewinnt ganz viel dadurch. Ich glaube, wir können uns vielmehr gegenseitig unterstützen, als dass wir gegeneinander arbeiten würden." Noch ist nicht ganz klar, wer welche Seite der Figur spielen wird; jede wird aber auch ihren eigenen Typ mit einbringen, ist Dychauk sicher: "Ein Teil von Lulu steckt eventuell in jeder Frau, weil jeder Mann irgendwo in der Frau eine Lulu sieht." Auch in jeder Mann-Frau-Beziehung seien Themen des Stücks vergraben. Dass Lulu oft auf ein einseitiges Menschenbild festgelegt wird, meist auf das eines Vamps, findet sie schwierig: "Ich hoffe, dass ich einfach den Menschen und eine Schönheit in ihr finde und die Figur dann vor allen Gerüchten verteidigen kann", sagt sie auch wenn sie selbst nicht gern Lulu wäre, zu fremdbestimmt ist sie ihr und zu verloren.

Selbstheilungsprozess

"Lulu" wurde schon oft inszeniert und gedeutet, bei den Festspielen geschieht dies nun aus einer weiblichen Perspektive. "Es ist ja ursprünglich ein Männerstück, und wenn man es liest, hat man teilweise das Gefühl, dass da viel Wut über Frauen drinsteckt", so Dychauk. Was hält sie von der Position von Frauen in ihrem Hauptberufsfeld Film, in dem oft Männer das Sagen haben? "Ich persönlich hatte noch nie Schwierigkeiten damit, im Filmgeschäft eine Frau zu sein", meint sie. Dychauks Liste an Projekten liest sich, als wäre sie von Hindernissen bisher recht verschont geblieben. Viele nationale und internationale Filme und Serien konnte sie schon verwirklichen: von Alexander Sokurows "Faust" über Denis Côtés Film "Boris sans Béatrice", der voriges Jahr bei der Berlinale lief, bis zum von Terrence Malick produzierten "The Book of Vision", an dem sie nach den Auftritten in Hallein weiterdrehen wird. Doch auch Schattenseiten des Berufs kennt sie bereits: "Nach ,Borgia bin ich in ein Loch gefallen. Es hat lang gedauert, bis ich wieder die Kraft und Kapazität hatte, um eine andere Figur aufzunehmen."

Dychauk wurde mit der Rolle der Lucrezia in der TV-Serie "Borgia" erwachsen. Sie stieg mit 17 Jahren ein und spielte sie vier Jahre lang, brach dafür die Schule ab: ",Borgia hat sich selbst wie eine Schule angefühlt. Je mehr ich drehe, umso mehr merke ich, wie ich immer wieder auf das zurückgreife, was ich da gelernt habe. Es war teilweise aber so extrem, dass ich jetzt eigentlich auf alles vorbereitet bin." Kurz hat sie nach dem Ende dieses Drehs gedacht: "Vielleicht möchte ich doch etwas ganz anderes machen. Aber das ging schnell vorbei, ich liebe, was ich mache!" Eigentlich wusste Dychauk, die in Sibirien geboren wurde und mit neun Jahren nach Berlin zog, nach ein wenig Ballett- und Schauspielunterricht sehr schnell, dass sie ihr Leben dem Schauspiel widmen will. Heute kann sie ganz klar sagen, was sie am Spielen fasziniert: "Ich denke, dass Schauspielerei eine Art Selbstheilungsprozess ist. Mit jeder Figur und Situation, die du darstellst, erweiterst du deinen Blick. Du kannst Situationen durchleben und zurücklassen, die dir schon bekannt sind, aber dir wird auch eine große Palette an neuen Gefühlen und Eindrücken geschenkt." Auch für das Publikum sei dieser Prozess bereichernd: "Mich berührt es unheimlich, Menschen fühlen zu machen, und ich glaube, dass Film und Theater noch Sichtweisen verändern können. Nämlich nicht mit Argumentation, sondern wirklich mit Gefühlen."

"Lulu"

Die Neuinszenierung von Wedekinds Tragödie feiert am 17. 8. auf der Pernerinsel Premiere. Neben Isolda Dychauk spielen Anna Drexler und Ariane Labed die Lulu. www.salzburgerfestspiele.at

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