Susanne F. Wolf: Lodern oder Schafe züchten

Ein Herz für das Österreichische. Toleranz und Abgründe ortet Susanne F. Wolf in ihrer Wahlheimat.
Ein Herz für das Österreichische. Toleranz und Abgründe ortet Susanne F. Wolf in ihrer Wahlheimat.(c) Michele Pauty
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Susanne F. Wolf bearbeitet Stoffe der Weltliteratur. Als nächstes: „Der Engel mit der Posaune“, eine Saga über eine österreichische Klavierbauer-Dynastie.
Besonders spannend sind die Frauengeschichten.

Wenn Susanne F. Wolf das Wort „Piefke“ ausspricht, lächelt sie entschuldigend. Nicht notwendig, die 1964 geborene Mainzerin ist seit ihrer Studienzeit da – und ganz „eingewienert“, wiewohl ihre Dramatisierungen für Adi Hirschals rustikales Lustspielhaus schon länger zurückliegen. Nun hat das Theater in der Josefstadt der Theaterwissenschaftlerin, Autorin und Dramaturgin Ernst Lothars Roman „Der Engel mit der Posaune“ anvertraut: Über 500 Seiten, eine Familiensaga, die vor allem durch Karl Hartls Film mit Starbesetzung von 1948 bekannt ist. Die Crème de la Crème der damaligen Schauspieler wirkte mit, Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Oskar Werner. Der Roman ist allerdings schärfer als der Film, eine Bestandsaufnahme österreichischer Verhältnisse und Befindlichkeiten von 1888 bis 1945.

Sie wirken wie eine feinsinnige Intellektuelle. Trotzdem haben Sie fürs erdige Lustspielhaus geschrieben.
Ich zitiere einen meiner wichtigsten künstlerischen Wegbegleiter, Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper in Berlin, der einmal gesagt hat: „What‘s wrong with Tingeltangel?“ Jedes Genre hat seine Existenzberechtigung, wenn man es liebevoll und mit Herz behandelt.


Sie haben auch für den ebenfalls eher schlichten Laxenburger Kultursommer gearbeitet.
Das ist alles schon sehr lang her. Ich hatte durchaus Zweifel. Doch kamen immer wieder Zuschauer auf mich zu, die mir versichert haben, dass sie eineinhalb Stunden alle Probleme und Sorgen vergessen haben. Da bin ich sehr demütig geworden. Theater darf auch Freude und Leichtigkeit schenken.


Ernst Lothars „Der Engel mit der Posaune“ ist eher das Gegenteil von Komödienstoff. Kurz gesagt, worum geht es da?
Es geht um einen Aufriss der österreichischen Geschichte, vielleicht auch der Seelengeschichte, in die die Klavierbauer-Familie Alt eingebunden ist. Das Buch beginnt kurz vor der Tragödie von Mayerling 1889 und endet mit dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich 1938.


Lothar lässt viele bekannte Persönlichkeiten auftreten, etwa Kaiser Franz Joseph. Eine zentrale Figur im Roman ist Henriette, eine schöne Frau, die eine Affäre mit Kronprinz Rudolf hat.
Sie sagt einmal: „Man kann sich niemandem offenbaren.“ Diese Frau hat ein großes Geheimnis, große Abgründe, sie lotet vieles in sich aus und sie lodert, sie ist sehr entschlossen, auch im falschen Moment. Sie versucht ihren Vater vor einer Erpressung zu retten, in dem sie eine Ehe eingeht, die nicht auf Liebe basiert – und dennoch zu einer rührenden Lebensgemeinschaft wird.


Henriettes Mann Franz ist ein schlichter, tüchtiger Unternehmer, aber er tut auch Ungeheuerliches. Er nimmt seinen zehnjährigen Sohn Hans und dessen Schulkollegen zu einem Duell mit dem Liebhaber seiner Frau mit.
Das ist einer der makabersten Momente in der Geschichte. Andererseits wieder nicht. Dieser Roman ist ja auch eine große Paraphrase über Autorität, die Härte geht vom Herrscher aus, schon Kinder müssen auf krasse Weise ertüchtigt werden.


Wie verstauen Sie diese Riesenstory in einem Theaterabend?
Ich habe schon öfter Romane dramatisiert, ich habe dafür eine eigene Technik entwickelt, ich kürze, verdichte, ich gehe filmisch-dynamisch vor. Und ich fokussiere auf die dramatischen Momente.


Kennt heute noch jemand den berühmten Film?
Erstaunlich viele. Ich habe ihn als junges Mädchen gesehen.


Ernst Lothar war Jurist, Staatsanwalt, Oberspielleiter am Burgtheater, „Jedermann“-Regisseur in Salzburg. Er musste vor den Nationalsozialisten flüchten, das Buch schrieb er im US-Exil.
Ja. In den vierziger Jahren. In seinen Memoiren erzählt er, wie er über den Campus der Universität in Colorado ging und den Lindenduft wahrnahm und dachte: So süß wie in Österreich riechen sie nicht. Er spinnt dann seinen inneren Monolog weiter, er will über ein Haus in Wien schreiben, das ein Symbol für Österreich sein soll. Bald darauf begann er mit dem Buch und merkte an, er werde diesen Roman nicht ohne „unendliches Heimweh“ bewältigen können. Lothar war ein guter Österreicher.


Was meinen Sie damit?
Im Sinne übergeordneter kultureller Werte. Mozart zum Beispiel spielte eine große Rolle für Lothar und er erzählt von der „Zauberflöte“ ja auch im Roman. Es gibt natürlich nicht ein Österreich. Lothar schrieb „Der Engel mit der Posaune“, um Außenstehenden, die nur die Klischees kannten, zu zeigen, was hinter dem Lindenduft steckt, das Zwiespältige, Dämonische, Abgründige und Verletzende des österreichischen Wesens, aber auch ein Geist der Toleranz, ein Übernationalismus.


Es gab aber ziemlich viele Österreicher, die sich mit dem Nationalsozialismus identifiziert haben.
Das war genau die abgründige Seite des österreichischen Wesens, die da zum Vorschein kam.


Das typisch Österreichische ist auf den heimischen Bühnen nicht mehr sehr präsent.
Da zücke ich meine innere Posaune. Mir fehlt oft der österreichische Ton. Das deutsche Regietheater hat seine Berechtigung. Aber es gibt eine spezifisch österreichische Literatur: Nestroy war ein „Anarchist“, von ihm führt ein Bogen zu Werner Schwab.


Erzählen Sie etwas von sich selbst.
Ich komme aus einer Künstlerfamilie. Meine Mutter war Opernsängerin, mein Vater war Regisseur und Dramaturg und hat das ZDF mit aufgebaut. Ich bin ein Einzelkind.


Wie waren Sie als Mädchen? Eine Prinzessin?
Vielleicht, ich wurde sehr geliebt und war nicht sehr bubenhaft. Ich habe immer gern und viel Geschichten erzählt. Dass das mein Talent ist, war mir lang gar nicht so bewusst. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht und war viel allein. Aber es kamen auch Freunde und Freundinnen. Wir haben die TV-Vorabend-Serien nachgespielt, vor allem „Daktari“, die Frage, wer den Schimpansen Judy spielt und wer das Mädchen Paula, war für uns existenziell.


Sie wollten nie Bestsellerautorin werden – oder Anwältin?
Anwältin sicher nicht. Bestsellerautorin? Das kann man nicht planen. Tierärztin wollte ich mal werden, da war ich vier, und Bühnenbildnerin. Meinen jetzigen Beruf liebe ich – trotz Krisen. Zum Beispiel gibt es nichts Katastrophaleres als Endproben bei Komödien. Alle kennen schon alle Gags, keiner lacht. Die Schauspieler agieren ins Leere. Man möchte sterben. In so einem Moment dachte ich öfter: Schafe züchten wäre eine Alternative. Ich gehe dann in meine Küche, das ist meine „Therapie“.

Tipp

„Der Engel mit der Posaune“ von Ernst Lothar mit Maria Köstlinger, Michael Dangl, Alma Hasun, ab 2. 9. Theater in der Josefstadt (Roman: Zsolnay-Verlag).

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