Maria Happel: „Ich hatte Wahnsinnsglück“

­Sündenpfuhl! Maria Happels Mutter war von den Theaterplänen ihrer Tochter entsetzt, der Pfarrer auch.
­Sündenpfuhl! Maria Happels Mutter war von den Theaterplänen ihrer Tochter entsetzt, der Pfarrer auch.(c) Stanislav Jenis
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Burgschauspielerin Maria Happel wollte ursprünglich zum Musical. An der Volksoper spielt sie in „Gypsy“ und spricht über Mütter und Töchter.

Die Wiener Volksoper pflügt sich erfolgreich durchs Musicalrepertoire und hat diesmal eine Rarität zutage gefördert: Bei „Gypsy“ von Jule Styne – Premiere ist am 10. September – denkt man zunächst an Roma, es geht aber um eine Mutter, die durch ihre Töchter Karriere machen will. Maria Happel spielt die Hauptrolle. Sie tritt in die Fußstapfen prominenter Vorgängerinnen, Mama Rose wurde zuvor von Ethel Merman, Angela Lansbury oder Bette Midler gegeben. „Gypsy“ beruht auf der Biografie der Sängerin, Burlesque-Tänzerin und Autorin Gypsy Rose Lee, die 1911 in Seattle geboren wurde und früh eine Showkarriere startete. Später schrieb sie ein Buch über ihre dominante Mama Rose.


Das Musical „Gypsy“ ist eine Mutter-Tochter-Geschichte. Sie haben selbst zwei Töchter. Haben Sie Parallelen erkannt?
Absolut! Ich habe mir schon überlegt, wie ich meinen Töchtern diese Geschichte in kleinen Dosen beibringe, indem ich sie zu den Proben mitnehme, damit sie nicht bei der Premiere die geballte Ladung abbekommen. Man fühlt sich oft ertappt. Man fragt sich: Hat man dieses und jenes richtig gemacht? Aber das fragt man sich sowieso bei der Erziehung tagtäglich. Oft weiß man gar nicht: Wo kommt das denn her?

Die Kinder wachsen einem so schnell über den Kopf.
Genau, das ging bei mir besonders schnell, ich bin ja nicht groß.

Es ist ein interessanter Moment, wenn das Kind, das jahrelang zu einem aufgeschaut hat, erstmals auf einen herabschaut.
Ja. Oder man wundert sich über den ersten Widerspruch, der berechtigt ist. Man sagt sich: „Stimmt, sie hat recht.“ Dann gibt es Phasen der Entfremdung. Abnabelung ist ja nötig, man kann sich erinnern, wie man selbst mit 13 oder 14 Jahren war.

Wie alt sind denn Ihre Töchter jetzt?
Die Große ist 20, die Kleine 15.

Gehen sie auch schauspielerische Wege?
Die Kleine ist in der Oberstufe. Da ist noch Zeit. Aber die Große tendiert zur Schauspielerei. Wir hatten gehofft, sie studiert Physik, aber dem ist wohl nicht so. Im Moment lässt sie sich nicht in die Karten schauen. Sie ist ja sehr gut in Physik, aber ich glaube, der Wunsch in Richtung Theater ist stärker. Film und Theater, das ist ein typischer Mädchentraum. Früher war das Stewardess.

Dabei ist die Schauspielerei in Wahrheit ein schwerer Beruf.
Ich bin, ehrlich gesagt, auch nicht sicher, ob ich meinen Töchtern das wünschen soll. Ich selber hatte wahnsinniges Glück, wenn dieser Beruf funktioniert, ist er der Himmel, wenn nicht, ist er die Hölle. Aber ist das nicht in jedem Beruf so?

Ich weiß nicht, ob Bilanzen erstellen so spannend ist?
Ich glaube schon, wenn man ein Zahlenmensch ist und die Bilanz aufgeht, ist das sicher ein irrsinniges Glücksgefühl. Es gibt außerdem genug Leute, die nicht das Bedürfnis haben, im Mittelpunkt zu stehen. Für mich sind die wahren Helden Menschen, die im Pflegebereich arbeiten, weniger die Ärzte in den Spitälern, die Krankenschwestern, die sich im Stillen kümmern. Wir tun ja auch Gutes, aber wir sind sehr privilegiert.

Schauspieler erfreuen das Publikum, befriedigen aber gleichzeitig ihren narzisstischen Selbstdarstellungstrieb.
Sicher!

Darum geht es ja auch in „Gypsy“, einer wahren Geschichte.
Das Musical spielt in den 1920er-Jahren in Amerika. Gypsys Mutter Rose wollte für ihre Kinder ein besseres Leben haben. Das war im Vaudeville-Theater möglich, das später vom Fernsehen abgelöst wurde. Die Töchter sind dort aufgetreten. Aber das Ziel von Rose war, dass sie ernste Schauspielerinnen werden sollen. Rose hielt die kleine Tochter für begabt, sie liebte sie abgöttisch, die Große ist halt so mitgelaufen, die musste immer die Jungs spielen.

Die Kleinere heiratet früh.
Mit 16 Jahren. Sie machte der Mutter einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Diese legte nun ihre ganzen Projektionen von der kleinen Tochter auf die große um. Eigentlich ist sie selbst es, die berühmt werden wollte, ein Hollywoodstar. Sie war sehr schön, sie hätte bestimmt das Potenzial gehabt. Aber die Mutter hat mit 17 das erste Kind bekommen und gleich darauf das zweite, obwohl sie keine Kinder mehr haben wollte, weil die Geburt der älteren Tochter so schwer war.

Was wird aus der Karriere der großen Tochter?
Gypsy Rose Lee wird ein großer Star, aber im Burlesque-Theater, eben als Stripperin, was für die Mutter niederschmetternd ist.

Für jede Mutter, nehme ich an.
Absolut. Die größte Angst meiner Mutter, als ich auf die Schauspielschule gegangen bin, war der Sündenpfuhl. Ich wurde in Hamburg ausgebildet, von unserem Dorf im Spessart aus betrachtet war das gleichbedeutend mit der Reeperbahn. Der Pfarrer hat mich nicht mehr die Orgel spielen lassen, weil er sagte: „Wer weiß, was die junge Frau in Hamburg macht.“ Das hat sich bis in die 1980er-Jahre hineingezogen.

Früher behaupteten böse Zungen gern, der Weg ins Theater führe über die Couch des Intendanten. Haben Sie keine unmoralischen Angebote bekommen?
Nicht wirklich. Dazu war ich immer zu sehr ein Typ.

„Gypsy“ wurde mit Bette Midler verfilmt. Mögen Sie sie?
Ich liebe sie, sie ist auch ein Typ. So wie ich.

Sind Sie aufgeregt vor der Volksopern-Premiere?
Wahnsinnig, aber es ist eine gute Aufregung. Wie wenn man ein Rendezvous hat mit jemandem, den man toll findet, aber noch nicht so gut kennt. Ich freue mich riesig!

Sie haben ja auch eine musikalische Ausbildung.
Mein ursprünglicher Plan war, Musicaldarstellerin zu werden. Aber ich habe relativ schnell bemerkt, dass mich Katzen und Eisenbahnwaggons wie in „Cats“ oder „Starlight Express“ nicht so interessieren, sondern Menschendarstellung.

Das heißt, Sie müssen das Sängerische einstudieren.
Natürlich. Ich habe mich immer gefreut, wenn es im Schauspiel ein Stück gab, in dem ich auch singen konnte, wie zum Beispiel als Brechts Mutter Courage. Ich lese oft, ich sei ausgebildete Mezzosopranistin, das ist allerdings übertrieben.

Musiktheater ist ja insofern strapaziös, als man keinen Spielraum hat. Jeder Moment muss präzise sitzen.
Richtig. Und trotzdem muss das Ganze wie spontan klingen. Im Sprechtheater hat man viel mehr Freiheit.

Welche Musicals mochten Sie?
„Annie get your gun“ oder „Westside Story“. Meine ursprüngliche Idee war, meine Talente zu verbinden. Ich dachte, ich habe so eine lange Vorbildung bei Musik, die lasse ich jetzt nicht einfach links liegen. Die Möglichkeit, singen, sprechen und tanzen zu können, das hat mich gereizt. Im Schauspiel bin ich natürlich mehr zu Hause, zum Glück ist Rose eine absolute Schauspielerrolle.

Tipp

„Gypsy“. Werner Sobotka inszeniert, Lorenz C. Aichner dirigiert, Maria Happel, Toni Slama, Martina Dorak spielen in dem Musical in der Volksoper ab 10. 9.

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