Hochfliegende Ideen im zeitgenössischen Zirkus

Mehrschichtig. Tänzer, Jongleur, Performer: Arne Mannott und der „Neue Zirkus“.
Mehrschichtig. Tänzer, Jongleur, Performer: Arne Mannott und der „Neue Zirkus“.(c) Carolina Frank
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Der „Neue Zirkus“ balanciert zwischen den Künsten: Performer wie
Arne Mannott bewegen dabei nicht nur Bälle und sich selbst, sondern auch das Publikum.

Die Oper? Die steht selbstbewusst am Ring. Die Bildende Kunst, die hat gleich mehrere Häuser. Sogar der Tanz hat ein Quartier in Wien. Der Zirkus jedoch, den vermutet man bestenfalls temporär in Zelten. Raum, an dem er sich langfristig verorten könnte, gönnt ihm der Kunst- und Kulturbetrieb noch kaum. Seine Heimat sind eher die Menschen, die ihn leidenschaftlich pflegen. Vor allem auch als Kunstform: als „Neuer Zirkus“ oder „Zeitgenössischer Zirkus“. Unter der Wahrnehmungsschwelle des konventionellen Kulturbetriebs hat sich längst eine Szene in Österreich formiert, vernetzt und selbstbewusst aufgestellt. Eine Community, die sich austauscht, gegenseitig stützt, die improvisiert, weil es an Ressourcen und Infrastruktur mangelt, an Räumen und Geldern. So suchen sich die Künstler ihre Ventile und Nischen im Kulturbetrieb selbst, aus denen sie oft unvermutet in die Aufmerksamkeit des Publikums und oft tief in ihr Herz platzen dürfen. Vor allem, weil die breite Öffentlichkeit ihr Bild vom Zirkus gerne aus der Klischee-Lade herauskramt, zwischen gezwirbelten Bärten, geschmückten Ponys, stereotypen Geschlechterrollen, Trommeln, die uniformierte Trommler wirbeln lassen.

Auf konkrete Orte, an denen der „Neue Zirkus“ seine Kunst zeigen darf, hofft die Kunstform genauso wie auf einen der vorderen Plätze im Bewusstsein der Kultur-Rezipienten. Auf unterschiedlichsten Off-Bühnen, in unerwarteten Kontexten und auch großen Festivals, zeigen die zirzensischen Ausdrucksformen, wie man sie zeitgenössisch auch mit tiefgängigen Inhalten füllt. Arrangiert zu Dramaturgien, die inzwischen auch gerne mal einen Abend lang dauern dürfen. Da tragen Artisten in Balanceakten ganze Geschichte mit, stolpern Clowns absichtlich in poetischen Subtext, wirbeln Jongleure Botschaften herum und halten Tänzer gleichzeitig künstlerische Inhalte in Bewegung.

Überzeugungsarbeit. Arne Mannott tanzt und jongliert. Gerne auch gleichzeitig. Das eine mit dem anderen zu verbinden, das ist er auch in der Community bemüht: zu vernetzen, zu beraten. Und vor allem auch den „Neuen Zirkus“ sichtbar zu machen: Auch wenn es erst mal nur ein Fahnderl ist auf der virtuellen Landkarte Österreichs, auf der Plattform www.zirkusinfo.at. Auch inhaltlich verortet hat Mannott die Szene, zumindest über den Verein Kreativkultur, den er gemeinsam mit Elena Kreusch gegründet hat. Bei Mannott gehören nicht nur Tanz- und Jonglage-Training zum Alltag, sondern auch die Erledigung der Basisarbeit: „Menschen davon zu überzeugen, dass ‚Neuer Zirkus‘ eine Kunstform ist“.

Die kleine österreichische Szene verfestigt eine im Kunstbetrieb außergewöhnliche innere Solidarität. „Es gibt einen regen Austausch. Die Leute sind ja gewohnt, improvisieren zu müssen, sie helfen sich gegenseitig, lernen voneinander“, erzählt Mannott. Auch die IG Kultur setzt sich seit längerem dafür ein, dass der „Neue Zirkus“, auch von der öffentlichen Hand finanziell ernst genommen wird. Inzwischen schüttete das Bundeskanzleramt zumindest eine Förderung in Höhe von 200.000 Euro aus. Doch eine der dringendsten Ressourcen bleiben die Räume: Jene, in denen, die Künstler nicht nur ihren Visionen und Ideen genügend Luftraum geben, sondern auch ihren Keulen, Jonglierbälle und Trainingspartnern. In der künstlerischen Ausbildung genauso wie in der Performance. Länder wie Frankreich oder Finnland, erzählt Mannott, hätten da ganz andere Förder- und Ausbildungstraditionen.

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Tänzerisch. Und auch die Wahrnehmung hat eine Tradition – der Zirkus, da war doch was: effektvolle Unterhaltung, die Staunen machen wollte. Simple Dramaturgien, die auf Netzhaut-Rezeptoren und alle anderen Sinne gleichzeitig eintrommeln. Helden- oder Versager-Geschichten, die man emotional aufgeladen aus der Manege mitnehmen konnte. Der „Neue Zirkus“ schürft da künstlerisch deutlich tiefer. Er spannt seine Drahtseilakte auch ganz anders auf: als teils experimentelle Verknüpfungen unterschiedlichster Kunstrichtungen. Videoprojektionen, Singer-Songwriting, Tanz, Theater – neu konnotiert per zirzensischer Ausdrucksform. „Es sind Leute, die klassische artistische Formen, wie Akrobatik, Jonglage oder Clownerie mit Dingen aus anderen Kunstsparten verbinden“, sagt Mannott. So wie er selbst die Jonglage mit dem Tanz. Am 26. Oktober hat sein neues Stück Premiere, das er gemeinsam mit Elina Lautamäki performt, im Tanzhotel in der Wiener Zirkusgasse, im zweiten Bezirk. „Fallhöhe“ heißt es, ein Zirkusstück, das absurd und poetisch zugleich ist.

Salzburg, Zirkusstadt

Winterfest. Während viele Städte den Zauber des Dezembers vorwiegend dem Advent zuschreiben, hält sich Salzburg auch an die Kunstform des „Neuen Zirkus“. Seit über einem Jahrzehnt versuchen auch Zirkuszelte eine besondere Magie zu fassen, im Salzburger Volksgarten: Das „Winterfest“, diesmal von 28. 11. 2017 bis 7. 1. 2018 als erstes und größtes Festival für den „Nouveau Cirque“ im deutschsprachigen Raum, lädt internationale Compagnien nach Österreich. So erschließen sich dem Publikum ganz neue Facetten einer traditionellen Darstellungsform: artistisch-poetische Darbietungen, die diesmal Flip Fabrique aus Kanada, Cie XY aus Frankreich, Claudio Stellato aus Belgien und Baccalà Clown aus der Schweiz inszenieren. Mehr Informationen unter: www.winterfest.at

Tipp

„Fallhöhe“. Ein Zirkusstück von Elina Lautamäki und Arne Mannott, von 26. bis 28. 10. im Tanz*Hotel, Zirkusgasse 25, 1020 Wien. Mehr „Neuer Zirkus“: Companie Nie von 30. 11. bis
2. 12. im Theater Olé, 10. 12. im Schubert Theater; Fenfire am 21. 10. in der VHS Großjedlersdorf, von 2. bis 4. 11. im Kristallwerk Graz.

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