MoMA in Paris: Labor der Moderne

Paul Signac. Porträt des M. Félix Féneon, 1890, gestiftet 1991 von den Rockefellers.
Paul Signac. Porträt des M. Félix Féneon, 1890, gestiftet 1991 von den Rockefellers.(c) Fondation Louis Vuitton
  • Drucken

In der Fondation Louis Vuitton stellt das New Yorker Moderne-Museum seine Sammlung neu auf. Ein Testbericht.

Die Wartenden in der Schlange im „Bois de Boulogne“-Park in Paris haben es eindeutig netter als die, die sich 2004 um die Neue Nationalgalerie in Berlin wanden. Dort sorgte die Ausstellung „MoMA in Berlin“ für einen Rekord: 1,2 Millionen Besucher machten sie auf zu einer der bestbesuchten Ausstellungen in Deutschland überhaupt. Über zehn Jahre später jetzt also Paris: „Being Modern: MoMA in Paris“ wurde die Ausstellung getauft, die über 200 Hauptwerke des legendären Moderne-Museums teils erstmals hierher bringt. Hierher heißt nicht ins Grand Palais oder ein anderes gewichtiges staatliches Museum – sondern in die im Grünen liegende Juwelen-Box eines der größten privaten Kunstsammler der Welt: Bernard Arnault, dem Vorstandsvorsitzenden des französischen Luxusartikelkonzerns Moët Hennessy Louis Vuitton (LVHM). Daher auch der Name, Fondation Louis Vuitton, Beiname: das Glasschiff. Denn die Signature-Architektur stammt, leicht erkennbar, von US-Architekt Frank Gehry, berühmt für den Bau des Museums eines anderen US-Kunst-Giganten – des Guggenheim Bilbao.

Bruce Nauman. Human/Need/Desire, 1983.
Bruce Nauman. Human/Need/Desire, 1983.(c) Fondation Louis Vuitton

Jetzt kommt also auch einmal die Sammlung des MoMA in den Genuss dieser verspielten postmodernen Verschachtelung, die ganz im Gegensatz steht zum schlichten 1930er-Jahre-Bau in Midtown Manhattan, dem ersten „modernen“ Museumsbau von Stone/Goodwin, der immer wieder erweitert und umgebaut wurde, u. a. von Philip Johnson. Jetzt wieder, von Diller/Scoffidio, Eröffnung der neuen Galerien soll erst 2019 sein. Was auch als äußerer Anlass dieses Pariser Gastspiels angegeben wird. Nicht, dass in New York gerade kein Platz für die Werke wäre, wegen Umbau geschlossen gar, das kann man sich hier nicht leisten. „Being modern“ ist eher als Versuchsballon für den neuen Geist gedacht, mit dem das MoMA seine Sammlungen in Zukunft präsentieren will, erklärt Kurator Quentin Bajac, Fotografiespezialist des Museums. Es ist aber auch Zeichen für die mediale und kulturelle Öffnung des MoMA: Man will, so Bajac, in den neuen Galerien nicht mehr nur nach Gattungen präsentieren, also unterteilt nach Gemälden, Design, Fotografie, Architektur etc., sondern mischen. Nicht immer, nicht zwanghaft, aber doch. In der Fondation Louis Vuitton funktioniert das ziemlich gut. Das ganze Gebäude durfte er ausfüllen mit seiner Ausstellungs-Idee, die erkennbar macht, dass gerade in der Geschichte dieses US-Flaggschiffs der Moderne das Konzept der Überschreitung von Kulturgrenzen und Genregrenzen schon von Beginn an angelegt war. „Being Modern“ eben.

Cindy Sherman. Untitled Film Still #21, 1978
Cindy Sherman. Untitled Film Still #21, 1978(c) Fondation Louis Vuitton

Großartig: Alfred Barr. An so einem Beginn konnten nur drei Frauen stehen: Lillie P. Bliss, Abby Aldrich Rockefeller und Mary Quinn Sullivan. Was folgte, nachdem 1929 in gemieteten Räumen, ohne Sammlung, dafür mit einem großartigen Direktor, Alfred Barr, das „Museum of Modern Art“ eröffnet wurde, ist legendär und bestimmt den Kanon von dem, was wir heute als „modern“ wahrnehmen: Erst einmal natürlich die Kunst, die Barr zu sammeln begann, der sogar selbst Bilder aus Nazi-Deutschland herausschmuggelte, um sie zu retten, wie Malewitschs „Weiß auf Weiß“, das er 1935 als abgespannte Leinwand um seinen Regenschirm wickelte und durch den Zoll brachte. Jetzt hängt es hier, in Paris. In der Nähe das erste Gemälde, das vom MoMA, das heute 150.000 Werke in der Sammlung hat, angekauft wurde: Edward Hoppers „House by the Railroad“ (1925), ein einsames, vergessen wirkendes Geisterhaus. Sehr amerikanisch. Das sollte diese Sammlung auch sein, auch wenn Barr die europäischen Wurzeln betonte, schon in der ersten Ausstellung, die Cezanne, Gauguin, Seurat, Van Gogh gewidmet war.

„Being modern“ heißt aber nicht nur, über den nationalen Tellerrand zu schauen, sondern beinhaltete im Fall des MoMA auch vieles, was die Kunstwelt heute ausmacht: Sie ist flexibel, örtlich und finanziell und personell. Schon kurz nach der MoMA-Gründung etwa wurde ein Freundesverein für junge Sammler gegründet. Immer war man abhängig und beschenkt von Mäzenen, vom US-Philanthropentum. Fast logisch, dass das Gastspiel im Haus eines europäischen Pendants stattfindet, nicht in einer staatlichen Einrichtung.

Yayoi Kusama. Accumulation No. 1, 1962.
Yayoi Kusama. Accumulation No. 1, 1962. (c) Fondation Louis Vuitton

Herrlich, wie hier vor allem im Untergeschoss das Konzept aufgeht, zu zeigen, wie die verschiedenen Medien miteinander funktionieren: Hier läuft der erste Mickey-Mouse-Streifen. Dort hängt eine Fotoserie von Walker Evans. Da der erste Klimt, der in eine US-Museumssammlung kam, gestiftet von Ronald Lauder und Serge Sabarsky, „Die Hoffnung“. Da der Abstrakte Expressionismus mit Mark Rothko und Jackson Pollock. Hier eine Schiffsschraube. Und ein Abriss der Geschichte aus Archiv und Bibliothek. Das Konzept verschwimmt, je näher man sich Richtung Gegenwart bewegt, weil auch die Gattungen an sich nicht mehr trennbar sind heute. Wir enden, nach dem Abschreiten der Warholschen Suppendosen, dem Filzanzug von Joseph Beuys, einer Fender-Gitarre, Gerhard Richters Bild des Anschlags von 9/11 in einem Raum voll großer Lichte und Höhe, ganz oben: Hier stehen die 40 Lautsprecher, mit denen Janet Cardiff ein Renaissance-Chorstück „begehbar“ macht. Schon ein Gipfeltreffen der modernen Kunst und ihrer Mächte hier. Im Bois de Boulogne, wo sich einst die Impressionisten trafen, um die hier flanierende, picknickende, sich vergnügende Freizeitgesellschaft zu malen. Um damit zu beginnen, modern zu sein.

Tipp

Being Modern: Das MoMA in Paris, in der Fondation Louis Vuitton, bis 5. März.
www.fondationlouisvuitton.fr

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.