Jette Steckel: Ibsen und die Ökologie

Dickköpfigkeit. Ein weites Feld zwischen Konsequenz und Verbohrtheit, findet Jette Steckel.
Dickköpfigkeit. Ein weites Feld zwischen Konsequenz und Verbohrtheit, findet Jette Steckel.(c) Stanislav Jenis
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Jette Steckel, Ex-Umweltaktivistin und Regisseurin, spricht über „Ein Volksfeind“.

„Wir spielen nicht mit Modernismen“, verspricht die 1982 in Berlin geborene Regisseurin Jette Steckel, die am Burgtheater „Ein Volksfeind“ von Ibsen inszeniert. Die Tochter des bekannten Regisseurs und Intendanten Frank-Patrick Steckel hat mehrere „Fluchtversuche“ unternommen, bevor sie sich endgültig für die Bühnenkunst entschieden hat. 2007 kürte die Jury der Fachzeitung „Theater heute“ Jette Steckel zur Nachwuchsregisseurin des Jahres. 2015 debütierte sie am Burgtheater mit Sophokles „Antigone“, eine Inszenierung, die mit Popmusik und Lichtorgel-Bühnenbild vor allem das jüngere Publikum begeisterte. Das Umweltthema im „Volksfeind“ – in dem ein Arzt gemobbt wird und seine Existenz gefährdet, weil er nachweist, dass das Wasser im Kurbad seiner Heimatstadt verschmutzt ist – steht Steckel nahe. Sie arbeitete bei Greenpeace. Die Mutter zweier Kinder macht sich Sorgen um den Nachwuchs und fordert, dass „wir auf bestimmte Privilegien und Annehmlichkeiten verzichten“, da wir wissen, dass sie „unsere Lebensgrundlage“ zerstören. Klassiker zu inszenieren sei viel Arbeit, erzählt Steckel: „Übersetzungen sind im Prinzip Archäologie. Man muss erkunden, welche Bedeutung Worte im Kontext der jeweiligen Zeit haben und sich hier auch mit norwegischer Geschichte befassen.“


Welche Erfahrungen haben Sie mit Dickköpfigkeit?
Viel, mit meiner eigenen und mit den Grenzen, an die ich gestoßen bin. Ich glaube aber schon, dass Dickköpfigkeit einen manchmal weiterbringt, auch wenn man sich Beulen holt.


Eben. Wo wären wir ohne unsere Dickköpfigkeit?
Es ist gut, wenn Dickköpfigkeit gleichbedeutend ist mit Konsequenz. Als Sturheit oder Verbohrtheit ist sie eher eine Schwäche.


Wie ist das in Ibsens „Volksfeind“? Ist Tomas Stockmann, der zum Buhmann im Ort wird, ein Held oder ein Selbstzerstörer?
In unserer Bearbeitung hat Tomas Stockmann recht. Er handelt in der Konsequenz seiner Überzeugung. Diese Überzeugung zu diskreditieren, indem man Stockmann in eine nahezu faschistoide Ecke rückt, wie das bei Ibsen im vierten Akt gedeutet werden kann, erscheint uns in Anbetracht der dramatischen Umweltzerstörung, gegen die Stockmann angeht, falsch.


Das Stück spielt bei Ihnen in der Gegenwart?
Wir haben versucht, das Umweltthema, also das verschmutzte Wasser und die damit verbundenen politischen und ökonomischen Mechanismen, auf den heutigen Stand zu bringen. Das war nicht schwer, denn das Thema ist leider virulenter denn je. Wir verstehen das Stück aber eher als eine Parabel mit dem Prinzip des Pars pro Toto, wir spielen nicht mit Modernismen.


Hitler soll sich bei Ibsens Polemik bedient haben.
Ja. In „Mein Kampf“ soll es Passagen geben, die in Wortwahl und Rhetorik an Stockmanns Rede erinnern. In der Gegenwart ist es die Gesellschaft, die nach rechts rückt, und Menschen wie Tomas Stockmann versuchen dem entgegenzuwirken. Bei uns geht es darum, wie lange man sich Tatsachen verschließen kann. Wir Menschen leben mit einer Umweltkatastrophe, die unseren Planeten vernichten wird. Wir wissen viel darüber, aber wir handeln nicht danach. Wieso nicht?


Sie sind überzeugt, dass wir unseren Planeten vernichten?
Absolut. Wir verlieren uns in Diskussionen über „Umstrittenheiten“, etwa über die globale Erwärmung und ob diese von Menschen gemacht ist. Wir reden uns auf Kompliziertheit aus, statt dass wir dem moralischen Imperativ folgen, der, meiner Überzeugung nach, in jedem von uns steckt.


Was sollen wir tun? Keine Plastikflaschen mehr verwenden?
Das ist nur ein kleines der möglichen Beispiele. Wir haben nur eine kurze Spanne Lebenszeit, die wir jedoch nicht dazu nutzen, aus den globalen Risiken auszusteigen, im Gegenteil. Das Problem ist inzwischen so groß, dass eine gewaltige Anstrengung aller Länder nötig wäre, um Entwicklungen wie den Klimawandel abzumildern.


Ist das Stück neu übersetzt? Sie arbeiten oft mit Ihrem Vater, dem bekannten Regisseur Frank-Patrick Steckel.
Mein Vater hat eine Übersetzung und Bearbeitung gemacht, und ich habe mit der Dramaturgin Anika Steinhoff eine Fassung gemacht. Ich arbeite gern mit meinem Vater zusammen. Es ist für uns eine gute Art, sich indirekt in der Arbeit auseinanderzusetzen. Wir haben ja denselben Beruf.


Sind Sie manchmal auch Rivalen?
Nein, wir sind eine Familie.


„Ein Volksfeind“ schließt mit einem Satz aus „Wilhelm Tell“, sinngemäß: Der Starke ist am mächtigsten allein. Stimmt das?
Ich würde das nicht bestätigen. Es ist die Frage, wie man den Machtbegriff in dem Moment konnotiert. Wenn ich allein mit einem Lkw in eine Masse rase, bin ich stark, aber das ist der negative Teil der Macht. Wenn du dich unabhängig machst von jeglicher Andersartigkeit, bist du natürlich mächtig, aber auch bereit zu töten, theoretisch. Doch selbst wenn man den Satz positiv konnotiert, im Sinne von Kraft, würde ich seine Stichhaltigkeit bestreiten.


Ihre „Antigone“-Inszenierung läuft seit 2015 am Burgtheater. Ein großer Erfolg. Aufführungen halten sich immer kürzer.
„Antigone“ ist einfach ein Text, der seinesgleichen sucht. Er diskutiert die zeitlos gültige Frage nach der menschlichen Macht. Ich war voller Glück, und die Burgschauspieler sind toll.


Die Aufführung hat eine Popästhetik, oder?
Ja, schon. Obwohl: Ich bin nicht froh über solche Schubladen. Musik ist sehr wichtig in dieser „Antigone“. Anja Plaschg und Anton Spielmann haben etwa die Chöre vertont und sie auf eine andere Weise zugänglich gemacht als auf einer rein sprachlichen Ebene. Und Martin Schwab spielt den Seher Teiresias. Er singt „The Future“ von Leonard Cohen, dieses Lied stellt eine moderne Übertragung des Prophetischen dar.


Wussten Sie immer, dass Sie zum Theater gehen?
Nein. Ich bin ja am Theater groß geworden und habe mir überlegt, wie ich da herauskomme. Ich hatte das ernsthaft vor, aber es ist mir nicht gelungen. Als Teenie wollte ich Jura und Journalismus studieren. Ich habe bei Greenpeace in einem Green Team gearbeitet. Ich habe das Plastikmonster vorm Supermarkt gespielt. Ich wollte mir den Theaterzahn ziehen, indem ich mich für Regie bewerbe, ich dachte, ich werde abgelehnt. Ich wurde aber angenommen. Ich bin dann noch ein Jahr nach Russland gegangen. Aber ich bin wiedergekommen.


Würden Sie gern Filme drehen?
Ja. Autorenfilm würde mich sehr interessieren. Ich bin mir aber nicht klar darüber, ob ich in der Lage wäre, zu schreiben, andererseits habe ich gerade in Hamburg den Roman einer Freundin dramatisiert: Nino Haratischwilis „Das achte Leben“. Vielleicht versuche ich mal eine Romanverfilmung. Ich bewundere diese Menschen, die sieben Jahre nur für einen Film denken und leben. Das ist eine Passion. Dagegen prostituieren wir uns geradezu, wenn man drei Stücke im Jahr macht. Film ist einfach eine andere Sportart.

Tipp

Ibsens „Ein Volksfeind“ mit Joachim Meyerhoff, Mirco Kreibich, Peter Knaack, Irina Sulaver, Ignaz Kirchner, Dorothee Hartinger, demnächst im Burgtheater.

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