"Fantomas": Was können die Superhelden?

Multimedia. Edwarda Gurrola, Gin Müller, Jan Machacek entlarven Comiclegenden.
Multimedia. Edwarda Gurrola, Gin Müller, Jan Machacek entlarven Comiclegenden.(c) Stanislav Jenis
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Regisseur Gin Müller schickt Fantomas, den „anarchischen Dandy“, erst in den Iran, jetzt nach Mexiko. Kann er die Welt retten?

Die Presse: Sie haben den zweiten Teil ihrer Fantomas-Performance zunächst in Mexiko City gezeigt, bevor das Stück jetzt für das Brut Wien im Hamakom-Nestroyhof zu sehen ist. Wie war das in Mexiko?
Gin Müller: Leider konnte das Stück nur zweimal gezeigt werden. Die Premiere musste wegen des Erdbebens am 19. September verschoben werden.

Die Presse: : Wurden Sie verletzt?
Gin Müller: :
Wir waren gerade am Anfang der letzten Probe und im vierten Stock eines Hauses, alles hat so gewackelt, dass wir kaum hinunter gekommen sind. Wir waren völlig fertig. Zum Glück ist das Gebäude nicht zusammen gebrochen wie viele andere in der Gegend. Vor allem wussten wir nicht, was mit dem Baby ist.
Edwarda Gurrola: Das Kind von Jan und mir war beim Babysitter. Wir konnten nicht anrufen, die Handys, die Telefone waren lahm gelegt. Eine Stunde lang bangten wir. Die Angst zu fühlen war schrecklich. Mütter rannten durch Chaos und Feuer. Wir wussten ja, dass das große Erdbeben in Mexiko 1985 am gleichen Tag war.

Die Presse:: Ein Glück, dass Ihnen und dem Kind nichts geschehen ist. Wie kamen Sie auf Fantomas? Das ist ja eine uralte Comicfigur. Pierre Souvestre, einer der Erfinder, wurde 1874 in der Bretagne geboren.
Gin Müller: Ich kenne Fantomas aus den Louis-de-Funès-Filmen und aus den Donald-Duck-Comics. Die mexikanischen Hefte sind etwas Eigenes und Fantomas ist dort auch jemand anderer als im europäischen Raum.

(c) Pablo Casacuevas

Die Presse: Ich frage mich bei diesen Superhelden immer, sind die so gelenkig oder haben die eine echte Magie?
Gin Müller: Fantomas hat fast gar keine Zauberkraft. Das unterscheidet ihn von anderen Superhelden.
Edwarda Gurrola: Ich glaub schon, dass er ein bisschen Magie hat. Er kann sich verwandeln und fliegt manchmal. Er ist die elegante Bedrohung.
Gin Müller: In „Fantomas 2“ geht es vor allem um die 43 verschwundenen Lehramtsstudenten in Mexiko, die von der Polizei in der Stadt Iguala verhaftet 2014 wurden, und nie wieder aufgetaucht sind. Der Staat hat danach die Verantwortung auf die Drogenkartelle abgeschoben und sie für tot erklärt. Es ist ja bekannt, dass in den Bandenkriegen in Mexiko die arme Bevölkerung systematisch unter die Räder kommt.
Jan Machacek: Wir hatten ein Team von mexikanischen Researchern über den Fall. Zwei der Mütter der verschwundenen Frauen waren in Mexiko auf der Bühne. Das war sehr berührend.
Edwarda Gurrola: Bei uns ist Fantomas ein Intellektueller, der gegen die Bösen kämpft.

Die Presse: Wie Robin Hood.
Edwarda Gurrola:
Ein bisschen. Aber Fantomas ist auch ein Räuber und etwas egozentrisch. Er ist eine komische Superheld-Figur.
Gin Müller: Ein anarchischer Dandy.
Jan Machacek: Er gibt nicht unbedingt den Armen, aber er bekämpft die politische Kaste der Verbrecher. Durch seine Masken kann er sich verstecken und das System unterwandern. Es gibt Episoden von Fantomas mit Fidel Castro. Er ist auf der Seite der Linken, der Unterdrückten.
Gin Müller: Entstanden ist die mexikanische Fantomas-Version in den 1960er Jahren. Damals war in Amerika die Superman-Phase. Mexiko als Nachbarstaat wollte eine Gegenfigur, mit der sich auch Mexikanerinnen und Mexikaner identifizieren konnten. Es ging um soziale Gerechtigkeit. Fantomas und sein Team wollten den Reichen etwas wegnehmen. Die Partei der institutionellen Revolution, die in Mexiko seit 1929 regiert, hatte damals noch eine linkere Ausrichtung als heutzutage.
Edwarda Gurrola: Die Fantomas-Hefte boten auch Information, zum Beispiel eine Bio von Sigmund Freud.

Die Presse: Sie sind Mexikanerin. Aus diesem Land hört man viele Horrorgeschichten. Wie sehen Sie Ihre Heimat?
Edwarda Gurrola:
Es gibt die Horrorseite, aber auch eine sehr reiche Kultur. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind enorm. Du kannst es richtig sehen, dieses aggressive „In your face“ durch das soziale Gefälle. Übrigens, diese  Netflix-Serie Narcos ist nicht aus Mexiko, sondern aus Amerika und sie spielte zunächst in Kolumbien. Aber es wirken viele Mexikaner mit.

Die Presse: Sie wollten immer Schauspielerin werden?
Gin Müller:
Edwarda ist ein Telenovela-Star in Mexiko.
Edwarda Gurrola: Ich begann mit sieben Jahren im Kindertheater. Mein Vater war Theaterdirektor. Ich sah alle Seiten der Pop-Kultur und ich bin ein Teil davon.

Die Presse: Welche Rolle spielen Sie in „Fantomas 2“?
Edwarda Gurrola
: Ich spiele Fantomas! Das ist eine tolle Erfahrung für mich. Ich habe noch nie einen Mann gespielt. Eine Comicfigur zu sein, gibt einem außerdem viel Freiheit. Es macht großen Spaß.

Die Presse: In Fantomas 1 über den Iran waren Sie die junge Frau, die zwischen den Welten pendelt, heute am Naschmarkt, morgen in Teheran.
Edwarda Gurrola:
So ist es. Ich spielte die Künstlerin und Aktivistin Parastou Forouhar.

(c) Pablo Casacuevas

Die Presse: Ist Fantomas der rote Faden durch Ihre Arbeit?
Gin Müller:
Fantomas ist ein Zweijahresprojekt über Staatsterror und menschliche Superhelden, die dagegen ankämpfen. Man könnte die politischen und sozialen Probleme auch auf andere Länder übertragen, Brasilien zum Beispiel würde mich interessieren.

Die Presse: Bei Ihren Aufführungen ist Fantomas eigentlich ein Wichtigtuer, der wenig verändert.
Gin Müller
: Gerade jetzt sind Superhelden wieder sehr gefragt. Warum? Sie zeigen, worauf eine Gesellschaft ihre Hoffnungen setzt. In unserer hyperkapitalistisch-apokalyptischen Ära erleben Superhelden wieder einmal einen totalen Aufschwung.

Die Presse: Besser ein Superheld als ein Führer, lieber Fußballchoreografie als Justizpalastbrand.
Gin Müller:
Auf jeden Fall. Trotzdem muss man sich damit auseinandersetzen. Wir beziehen uns konkret auf das Buch von Julio Cortázar, der die Novelle „Fantomas gegen die multinationalen Vampire“ in den 1970er Jahren geschrieben hat. Anlass war das Russell-Tribunal, das sich mit Verbrechen der Amerikaner in Vietnam auseinandersetzte. Viele Intellektuelle und Künstler nahmen daran teil. Untersucht wurden Interventionen und Putschversuche der USA in verschiedenen Staaten, auch im Iran. Wir wollen zeigen, wie sich diese Dinge wiederholen.

Die Presse: Die Telenovela ist ja ein Klassiker im spanischen Kulturraum, inzwischen auch im deutschen. Was hat der Kitsch für einen Sinn?
Edwarda Gurrola:
Die Telenovela ist sehr mächtig, sie hält die Leute davon ab, kritisch zu denken. Da ist eine Cinderella-Story, Mädchen, die auf den Prinzen warten, die guten Kerle sind gut, die bösen sind die reichen. Alles ist einfach und leicht erkennbar. Mit der Endlosschleife von Telenovelas kann man Leute über über Jahrzehnte zu manipulieren.  Wenn eine aufhört, fängt die nächste an.

Die Presse: Was haben Sie in den Telenovelas gespielt?
Edwarda Gurrola:
Als ich klein war, arme Mädchen. Ich musste sehr viel weinen. Ich kann das auf Kommando. Dann habe ich richtig böse Mädchen gespielt. Das hat viel mehr Spaß gemacht.

Die Presse: In Mexiko gibt es Machismo und trotzdem ein Matriarchat. Wie geht das zusammen?
Edwarda Gurrola: 
Mädchen werden in der Gesellschaft nach wie vor oft als Jungfrauen oder Huren gesehen. Die Mütter erziehen die Söhne zu Machos. Die Mutter ist aber auch heilig. Das sind die starken Ambivalenzen der mexikanischen Kultur.

(c) Pablo Casacuevas

Die Presse: Wie entstehen die Multimedia-Installationen?
Jan Machacek: Ich habe Bühnenbild und Bildhauerei studiert. Bei den Videos bin ich Autodidakt. Ich arbeite mit dem Videoprogrammierer Oliver Stotz zusammen. Die Live-Erzeugung der Comics erfordert eine sehr komplexe Software, die wie ein Prototyp ist, den wir für die Fantomas-Stücke entwickelt haben. Ich interessiere mich sehr für Experimente, wie man Video live ins Bühnengeschehen integrieren kann. Das ist ja schon inflationär jetzt. Drum muss man neue Zugänge finden.

Die Presse: Die Fantomas-Stücke sind auch Medienkritik.
Jan Machacek: Für uns war es interessant, Fiktion und Dokumentation gegenüberzustellen. Das Publikum sollte das direkt miterleben, das Spiel und den cinematografischen Raum.

Die Presse: Wird das Theater überleben oder wird es vom Kinotheater ersetzt?
Gin Müller: Das Theater lebt vom Live-Erlebnis. Bei unseren Aufführungen geht es gerade darum, die Wahrnehmungsdifferenzen zu zeigen. Wir haben das Narrative, den Comic, die Dokumentation. Wir fächern alles auf, im Spiel, und Brecht kommt auch noch dazu. Der Moment der Verfremdung wird thematisiert.

Die Presse: Was kommt als nächstes?
Gin Müller:
Wir möchten beide Teile von Fantomas noch einmal in Mexiko und auch in Europa zeigen. Beim nächsten Zweijahresprojekt geht es darum Theatergeschichte queer und dekolonial zu lesen. Wir möchten mit Klassikern arbeiten, die viele von uns durch das Burgtheater oder die  Schule kennen und einen neuen Blick auf die Stücke gewinnen.

Tipp

„Fantomas Monster – Teil 2/Mexiko“ in spanischer Sprache mit deutschen Übertiteln, Politthriller, Graphic Novel ab 29. 11., Brut im Theater Nestroyhof Hamakom.

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