„Ring“-Trilogie: Wagner im Krebsgang

Bei den Proben. Martin Winkler (Alberich; in Rot), Regisseurin Tatjana Gürbaca.
Bei den Proben. Martin Winkler (Alberich; in Rot), Regisseurin Tatjana Gürbaca.(c) Herwig Prammer
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Eine behutsam verknappte Version des „Ring des Nibelungen“ erzählt den Mythos von Macht, Liebe und Verrat in Rückblenden – aus Sicht der Jungen.

Für Frau Wahl alias Adrienne Gessner war die Sache sonnenklar: „Gekürzt, nur gekürzt!“, rief sie in Ernst Lothars legendärer Burgtheater-­Inszenierung von Schnitzlers „Das weite Land“ extemporierend, als es darum ging, ob Wagner-Opern komplett aufgeführt werden sollten oder nicht. Doch selbst an großen Häusern gibt es noch heute fallweise Striche in seinen Werken, die an kleinen Bühnen von jeher nur mit reduzierter Orchesterbesetzung möglich waren.

Drei individuelle Sichtweisen. Im Theater an der Wien erarbeitet man den „Ring des Nibelungen“ nun in einer neuen Fassung: Als Trilogie, die dramaturgisch von Rückblenden lebt. Vor über drei Jahren haben sie begonnen, sich die Köpfe zu zerbrechen: Regisseurin Tatjana Gürbaca, Dirigent Constantin Trinks und Dramaturgin Bettina Auer. Zwei Dinge hätten ihnen den Weg gewiesen, sagt Gürbaca: „Erstens erzählt Wagner seine Geschichten im Krebsgang, die Zukunft seiner Figuren entsteht aus ihrem Erleben und Bewerten der eigenen Vergangenheit. Und weil bei Wagner kein Wort, kein Ton zu viel ist, kann man ihn nur kürzen, wenn man subjektiv erzählen lässt.“ Also griff man die Idee des Rückblicks auf – von jenem Punkt aus, der auch für Wagner den Beginn der Arbeit am „Ring“ bedeutet hat: Siegfrieds Tod. „Damit beginnt jeder der drei Abende, die von drei Personen aus ihrer Sicht geschildert werden: Hagen, der Mörder, als Alberichs Sohn der wichtigste Antagonist; Siegfried, das Opfer, der als Enkel Wotans die andere Seite vertritt; und Brünnhilde, Wotans Tochter, Siegfrieds Geliebte und Verratene.“ Gürbaca liebt es, dass der Fokus von Wotan und Alberich auf die nächste Generation rückt: „Wie wirkt die Schuld der Väter und Großväter auf die Kinder? Diese Frage beschäftigt uns hierzulande ja bis heute, sie ist mit Wagner eng verbunden. Ich finde es so unglaublich modern, dass er verschiedene Wahrheiten gleichwertig hinstellt und sie aufeinanderprallen lässt.“

Hinter den Kulissen. Studienleiter Raphael ­Schluesselberg und Dirigent Constantin Trinks.
Hinter den Kulissen. Studienleiter Raphael ­Schluesselberg und Dirigent Constantin Trinks.(c) Herwig Prammer

Wie kommt man nun von 15 Stunden Nettospielzeit der originalen „Ring“-Tetralogie auf drei Abende mit insgesamt neun Stunden? Trinks und Gürbaca haben sich strenge Regeln auferlegt. „Mit ein Grund für unsere Fassung war, dass viele schon vorhandene gekürzte Versionen unbefriedigend sind“, erklärt die Regisseurin. „Weder kann man den ‚Ring‘ einfach auf seine Action-Teile reduzieren, noch sind Striche innerhalb von Szenen gut. Das konnten wir bis auf wenige pragmatische Ausnahmen vermeiden. Bei Hagen greifen wir von der ‚Götterdämmerung‘ an den Anfang zum ‚Rheingold‘ zurück, bei Siegfried kommen die Geschichte der Eltern aus der ‚Walküre‘ und natürlich seine eigene Jugend in ‚Siegfried‘ hinzu, bei Brünnhilde wieder ‚Walküre‘ und natürlich ‚Götterdämmerung‘.“

„Ich hatte am Anfang Bedenken“, räumt Trinks ein, „konnte aber feststellen, dass sich die neue Abfolge der Szenen organisch aneinanderfügt.“ Dabei ergeben sich verblüffende Wirkungen, ist der Dirigent überzeugt: „Siegfried fragt Mime nach seinen Eltern, dann folgt ein fast filmischer Schnitt und wir blenden zurück in die ‚Walküre‘. Diesen Übergang erlebe ich als so überzeugend, dass ich mich selbst über diesen erzählerischen Effekt freuen kann.“ Weite Teile, der Schluss der ‚Götterdämmerung‘ beispielsweise, verlaufen also wie gewohnt und wurden nur im Orchester auf den Graben im Theater an der Wien maßgeschneidert, wobei Trinks eine historische Version für Meiningen 1905 von Alfons Abbass überarbeitet hat – und dabei im Soloposaunisten des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien einen Musiker hat, der bereit und auch fähig ist, zwischendurch auf die wichtige Basstrompete zu wechseln. Auf Wagner-Tuben müssen die Connaisseurs auch nicht verzichten. An wenigen Übergängen sind neue Passagen notwendig, für deren musikdramatischen Fluss im richtigen Stil der Komponist Anton Safronov sorgt.

Noch ohne Kostüm und Maske: Daniel Brenna (Siegfried), ­Mirella Hagen (Waldvogel).
Noch ohne Kostüm und Maske: Daniel Brenna (Siegfried), ­Mirella Hagen (Waldvogel).(c) Herwig Prammer

„Archäologische“ Regie. Für Gürbaca gibt das die Möglichkeit, einmal ganz anders auf die Personen des „Rings“ zu blicken. „Es gibt beim Regieführen zwei Richtungen: Die einen erfinden eher gern etwas hinzu, die anderen versuchen, tiefere Schichten freizulegen. Ich finde mich selbst in dieser zweiten, ‚archäologischen‘ Fraktion, möchte zum Kern eines Stückes vordringen und es so erzählen, dass es für uns heute eine brennende Notwendigkeit bekommt.“ Die Regisseurin, die von Kindesbeinen an in die Oper verliebt war, glaubt an ein Theater, dessen Kraft von den Darstellern ausgeht, und lobt die Besetzung: „Daniel Brenna hat unglaubliche Jugendlichkeit und Spielfreude, er schafft es, den Siegfried trotz seiner schwierigen Seiten berührend, wissbegierig, lernhungrig zu zeigen. Ingela Brimberg strahlt eine Sportlichkeit aus, durch die man ihr die reitende, kämpfende Brünnhilde abnimmt. Und Samuel Youn hat schon alle möglichen Partien im ‚Ring‘ gesungen, aber das wird sein erster Hagen.“ Die Faszination Wagner wirkt auch gekürzt: „Auf der Bühne spürt man: Es muss genau so sein, nicht anders!“

Tipp

Richard Wagner: die „Ring“-Trilogie von Tatjana Gürbaca, Bettina Auer, Constantin Trinks am Theater an der Wien. „Hagen“: 1., 7., 17., 29. 12. (19 Uhr); „Siegfried“: 2., 9., 18., 30. 12. (18.30 Uhr);
„Brünnhilde“: 3.,  10., 19., 31. 12. (18.30 Uhr).

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