Christopher Wurmdobler: Leben ohne Leidensdruck

Nassrasur. Wie seine Romanfiguren hat auch Wurmdobler seinen Stammbarbier.
Nassrasur. Wie seine Romanfiguren hat auch Wurmdobler seinen Stammbarbier.(c) die Presse (Carolina Frank)
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Christopher Wurmdobler hat Wiens ersten Bobo-Schwulenroman geschrieben. Eines wollte er dabei nicht: homosexuelles Leben als Leidensweg zeichnen.

Wien kennt Christopher Wurmdobler seit bald 30 Jahren. Mit dem unterhaltsameren Teil des Stadtlebens innigst vertraut wurde er während vieler Jahre als Gesellschaftsreporter der Wochenzeitung „Falter“. Und nun hat Wurmdobler – ein gebürtiger Deutscher, der aber sprachlich so gut eingebürgert ist, dass er in den Texten seiner österreichischen Kollegen mit schöner Regelmäßigkeit aus fahrlässig hingeschriebenen Tomaten die wienerischen Paradeiser machte – seiner „Zuagrasten“-Heimatmetropole ihren ersten schwul-lesbischen oder eben queeren Großstadtroman beschert.

Sollte die Community dem Buch aufgrund möglicher Wiedererkennungsmomente nervös entgegenfiebern: Um einen Roman à clef im engeren Sinn handelt es sich nicht, wenngleich Wurmdobler sich für viele Charakterdarstellungen im Ge- und Erlebten seines persönlichen Umfelds bedient und hin und wieder auch kaum verstellte Akteure aus dem queeren Wiener Leben auftreten lässt. Den Tiroler und die Schwedin etwa, die einen Queer-Comedy-Club betreiben, gibt es auch im echten Wiener Kulturtreiben. Und zu den zärtlichen Cousinen vom Land, die sich auf der Hochzeitsparty eines lesbischen Paares begierig auf die schwulen Gäste stürzen, von denen sie sich stereotypgenährt hippe Entertainmentqualitäten erhoffen, existieren wahrscheinlich auch im einen oder anderen Dorf die realen Schwestern im Geiste. Die Hauptfiguren aber, das Paar Arnold und David, die ihre Hochzeit planenden Lesben Rita und Lena, Davids bester Freund Martin und die Schwulenmutti Steph, als heterosexuelle Frau unter den Dramatis Personae ein Unikat, sie sind Fantasiegeschöpfe und leben ein angenehmes, mit vielen Details der Bourgeoisie-Bohème aufgeladenes Leben, zu dem häufige Fitnesseinheiten und Shoppingausflüge ebenso gehören wie das Naheverhältnis zu einem für das perfekte Grooming der Gesichtsbehaarung zuständigen Barbier.

Fitness und Shoppen. Wenn es an einer Stelle in „Solo“, so der Titel von Wurmdoblers erstem Roman, mit Verweis auf andere Lebensmodelle, wo in diesem Lebensabschnitt in erster Linie das Kinderkriegen als lebensverändernde Option ansteht, heißt: „Welches Lebensereignis blieb Schwulen Anfang, Mitte dreißig?“, dann ist das schon die größte Herausforderung, der sich die Protagonisten zu stellen haben. Denn die Handlung bleibt bis zum Schluss locker-flockig, und Wurmdobler wollte auch ganz bewusst kein Problembuch schreiben, das schwule Leben nicht durch den Existenzproblemfilter darstellen: „Die Gefahr, das Negative, dass jemand leiden muss oder die ganze problematische Coming-out-Kiste: All das kommt oft in schwuler Literatur vor, und ich wollte das ganz bewusst nicht in meinem Buch haben. Sondern eben Menschen zeigen, die ein gutes schwul-lesbisches Leben führen, das sie sich am ehesten selbst kaputtmachen.“ Dazu kommt es freilich nicht, auch wenn der eingeschworene Freundeskreis kurzfristig etwas erschüttert wird.

Bloß einen leichten Unterhaltungsroman zu schreiben war aber nicht Wurmdoblers Anliegen. Jedoch hätten auch ihm in der Vergangenheit positive Identifikationsmodelle in der Literatur gefehlt. Der französische Soziologe Didier Eribon, hierzulande am ehesten bekannt für sein Buch „Rückkehr nach Reims“, legte in den Neunzigerjahren mit „Nachdenken über die Schwulenfrage“ („Réflexions sur la question gay“, 1999) ein streckenweise bis heute gültiges Standardwerk vor, in dem auch er die Bedeutung der Literatur in den Biografien von homosexuellen Menschen hervorhob.

Queere Populärkultur. Wurmdobler kann dies nachvollziehen: „Ja, klar, auch ich habe als Teenager zum Beispiel Oscar Wilde geradezu verschlungen.“ In rezenterer, nicht als Klamauk chiffrierter Schwulenliteratur fehlten Wurmdobler hingegen unproblematische Lebensbeschreibungen: „Wenn jemand vorgekommen ist, der so war wie ich, dann ging es dem schlecht. Entweder er war krank oder er hat unter seiner Situation gelitten.“ Dass dies heute anders sei und in Büchern wie auch in queeren Filmen oder Fernsehformaten, „zum Beispiel in der großartigen australischen Serie ,Please Like Me‘“, positiv besetzte Figuren vorzufinden sind, findet Wurmdobler gut, und mit „Solo“ trägt er nun selbst zu dieser Art queerer Populärkultur bei. Dass Aufmerksamkeit für ernstere Themen und Engagement für die Gleichstellung von Schwulen, Lesben und Transsexuellen weiterhin vonnöten sind und in der Gesellschaft keineswegs das Höchstmaß an Akzeptanz erreicht wurde, sieht auch der nachdenkliche Romanautor: „Ich glaube schon, dass viele unserer Errungenschaften der vergangenen Jahre fragil sind, und dass vieles noch sehr an der Oberfläche funktioniert.“

„Solo“. Christopher Wurmdoblers Romanerstling, vom Czernin-Verlag als Bericht über das „Leben in der queeren Wiener Großstadt-Blase“ angepriesen, erscheint Ende Februar. Der Autor denkt derweil bereits über den Stoff für sein zweites Buch nach.

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